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einwanderungspolitikDIE SUBVERSION DER CDU

Jürgen Rüttgers ist ein subversiver Mann. Deshalb hat sein Slogan „Kinder statt Inder“ nichts mit Rassismus zu tun, und er ist auch kein Votum gegen Einwanderung. Wer solche Sprüche von Unionspolitikern für bare Münze nimmt, der hat das Prinzip ihrer Einwanderungspolitik noch nicht begriffen. Es lautet: Gutes tun und schlecht darüber reden!

Dieses Einwanderungskonzept der Union ist außerordentlich erfolgreich. Die CDU hat die Republik immerhin 38 von 51 Jahren regiert. Ergebnis: Zwischen 1958 und 1998 zogen fast 30 Millionen Menschen nach Deutschland – und nur 21 Millionen wieder weg. Bereits Konrad Adenauer, dem Vater der deutschen Einwanderungsgesellschaft, gelang in den 50er-Jahren das schier Unmögliche: die Öffnung deutscher Städte für Italiener, Spanier und Türken – gegen heftige Widerstände in der Bevölkerung und der SPD. Eine reife Leistung. Schließlich hingen damals wie auch heute noch viele Bürger der völkischen Vorstellung einer möglichst ethnisch-reinen Nation an.

Dieses CDU-Format werden die Sozialdemokraten nicht so schnell erreichen. Sie mögen sich mit der Green-Card-Debatte zwar auf der Höhe der Zeit fühlen. Fakt ist aber: Noch nie wanderten so wenige Menschen in die Bundesrepublik ein wie während der sozialliberalen Koalition 1972 bis 1982.

Der CDU-Beitrag zur multikulturellen Gesellschaft kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Er wird erst im europäischen Vergleich so richtig deutlich: Während in Deutschland zwischen 1990 und 1996 fast neun Millionen Menschen zuzogen, waren es in Großbritannien weniger als zwei Millionen, in Italien weniger als eine Million und in Frankreich nicht einmal eine halbe. Klarer formuliert: Dank der CDU-Politik der offenen Grenzen wanderten in den 90er-Jahren mehr Menschen in Deutschland ein als in den übrigen 15 Staaten der EU zusammen.

Voraussetzung für diesen Erfolg, so scheint es, ist der miserable migrationspolitische Ruf der CDU und CSU. Wer inbrünstig „Grenzen dicht!“ schreit, dem traut man eine liberale Zuwanderungspolitik erst gar nicht zu. Das ist raffiniert und subversiv zugleich.

Wie protestantisch wächsern wirkt dagegen Rot-Grün. Ständig redet man über das Gute, das man will. Aber entscheidend ist, was hinten rauskommt. Und da lautet die Bilanz 98/99: Die Zahl der Einwanderer geht zurück. Und erstmals seit 1985 wandern wieder mehr Menschen aus statt ein. EBERHARD SEIDEL

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