: Viel Nabelschau
Wie hältst du es mit Gebären? Eine Ausstellung im Heimatmuseum Neukölln sucht den „ersten Schrei“
„Guter Hoffnung“ sagt man ja heute nicht mehr. Frauen sind lieber „schwanger“, auch wenn das wenig mehr als „schwerfällig“ bedeutet. Leider sind sie auch das nicht mehr so oft, wie überhaupt die Kinder in unserem Land nicht eben den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit darstellen. Vielleicht wird das jetzt anders. Vielleicht wird es erst einmal in Berlin anders, oder, noch ein bisschen bescheidener: in Neukölln. Dort ist am Freitag die Ausstellung „Der erste Schrei oder Wie man in Neukölln zur Welt kommt“ eröffnet worden.
Eine Menge Frauen guter Hoffnung waren gekommen. Renate Bremmert, Frauenbeauftragte des Bezirks Neukölln, erzählte von der Geburt ihrer Tochter vor achtundzwanzig Jahren, und Udo Gößwald, Leiter des Heimatmuseums, gestand freimütig, dass es zunächst vier Männer waren, die sich für die Erarbeitung der Ausstellung zusammenschlossen. Und dass diese Vorbote einer größeren ist, die 2003 unter dem Titel „Born in Europe“ kulturgeschichtliche Vergleiche anstellen wird. Immerhin geht es um den Menschen. Das ist ein endloses Thema, und so ist auch die Neuköllner Version ein Schnittpunkt der Lokalgeschichte mit den ganz großen Fragen der Gegenwart.
Die Ausstellungsmacher haben sich jedoch weder für das eine noch für das andere richtig entscheiden wollen; an die Stelle eines Gesamtkonzepts ist eine unendliche Fülle von Details und Ideen zum Thema getreten. Aufgebaut wie ein Gang durch eine Wohnung mit je zeittypisch eingerichteten Kinderzimmern gibt es im großen Raum traditionelle Entbindungsutensilien und Phantomunterleibe zu besichtigen, in den Kammern Zeitgeschichte. Bald geht es um Verhütung und Abtreibung, bald um den Vorrang von „Butter Lindner“-Milch nach Tschernobyl.
Die Kinder von Zwangsarbeiterinnen in Neukölln sind ebenso mit aufgenommen wie die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die hypokritische Bürgerlichkeit der Neuköllner Fünfzigerjahre wird ebenso gestreift wie die Probleme, die die Antibabypille für die Frauenbewegung aufwarf. Immer wieder geht es um die Geschichte der Neuköllner Hebammenschule und der Frauenklinik, deren geburtsmedizinische Abteilung sich seit den Siebzigerjahren internationale Reputation erworben hat. Ihr stand jahrelang Professor Saling vor, und so sind auch die von ihm für die Geburtshilfe entwickelten Instrumente ausgestellt.
Zwischen all dem: die Kunst. Unter dem Titel „Les innommées“, die Unbenannten, schaukeln Babys, in einem Stoffzelt steht ein Fernseher mit einem Bauch darin. Der Bauch ist sehr schwanger und sehr schwerfällig. „Beulen und Senken wandern“, steht bei der Nabelschau, „Dann ist nichts außer Atmen.“ Von anderen Dingen erzählen da die Porträts von sieben Neuköllner Frauen im Eingangsraum. Hier zeigt sich, wie sehr der Blick auf die bevorstehende Entbindung mit dem auf ein ganzes Menschenleben verknüpft ist. „Ich freue mich jetzt schon auf all die Sachen, die wir miteinander erleben werden“, hat eine Frau zu Protokoll gegeben. „Vor Veränderungen habe ich keine Angst.“ CHRISTIANE TEWINKEL
Bis April 2001, Mi–Fr 18–18; Sa/So 12–18 Uhr, Ganghoferstrasse 3
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen