Neue Konjunktur der Stadt

Gleich drei Kongresse finden zum Thema Krise der Stadt, Soziales oder Wohnungspolitik statt. Die Wiederentdeckung der sozialen Stadt ist auch ein Hinweis auf den abblätternden Lack des New Berlin

von UWE RADA

Berlin ist wieder eine Reise wert. Nicht nur für Touristen, sondern auch für Experten der Stadtentwicklung und Stadtplanung. 2.000 von ihnen erwartet die Bundesregierung in der kommenden Woche zur Weltstädtekonferenz „Urban 21“, darunter die Bürgermeister der 30 größten Städte der Welt. Thema: nachhaltige Stadtentwicklung unter dem Vorzeichen einer zunehmenden Verstädterung der Welt.

Doch nicht nur ausländische Experten tagen zum Thema Stadt. Im Vorfeld des Weltstädtekongresses veranstalten SPD und PDS stadtpolitische Kongresse. Die SPD lädt morgen zu einem „Zukunftskongress“ ein, die PDS diskutiert heute und morgen das Thema „Soziales Wohnen“. Und nicht zuletzt veranstalten das Habitat Forum sowie andere Gruppen mit „Local Heroes“ eine Art Gegenkongress, bei dem die Probleme der Stadt aus Sicht der Betroffenen thematisiert werden sollen.

Nachdem in der Berliner Stadtpolitik lange Zeit die Ansiedlung globaler Unternehmer oder neuer, vor allem im Medien- und Technologiesektor tätiger Firmen im Mittelpunkt stand, rücken nun mehr und mehr so genannte „weiche Themen“ ins Blickfeld. Dass es dabei auch um die Wähler geht, gesteht SPD-Sprecherin Anja Sprogies gerne ein. „Mit dem Zukunftskongress geht es um die politische Profilierung der SPD“, sagt Sprogies. Die Wähler sollten schließlich wieder wissen, wofür die Sozialdemokraten stehen. Ganz konsequent wird auf dem SPD-Meeting deshalb über „soziale Stadt“, Bildung und Arbeit diskutiert.

Dass die erwünschte Profilierung damit ausgerechnet in jenen Ressorts stattfindet, in denen die SPD in der Großen Koalition auch die Senatoren stellt, ist sicher kein Zufall, konnten doch weder Stadtentwicklungssenator Peter Strieder noch Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler oder Schulsenator Klaus Böger die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen. Zwar dementiert Parteisprecherin Sprogies, dass es darum gehe, den drei SPD-Senatoren politisch auf die Sprünge zu helfen. Doch die Zielsetzung des Kongresses, sich als Partei und nicht nur als Senatspartner der CDU um inhaltliche Positionen zu bemühen, ist deutlich genug. Ende des Jahres wird die SPD zum Thema „Zukunft für eine solidarische Stadt“ sogar einen eigenen Parteitag abhalten. Etwas konkreter als bei den Sozialdemokraten geht es bei der PDS zu. Weil der von der SPD im Senat mit getragene Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften, vor allem der der GSW, in den Augen der PDS mit dem Thema „soziale Stadt“ nur wenig zu tun hat, setzen die oft genug des Populismus geziehenen Sozialisten diesmal auf praktische Alternativen. Mehrere Monate lang haben zwei Unternehmensberater Alternativen zum Verkauf der GSW durchgerechnet.

Herausgekommen ist ein „Modell der Bestandsprivatisierung an Bewohner-Genossenschaften“, das einen Ausweg aus dem Dilemma der Berliner Wohnungswirtschaft bieten soll, wie es die wohnungspolitische Sprecherin der PDS, Kathrin Lompscher, sagt. Auf einer Podiumsdiskussion wird auch Finanzsenator Peter Kurth (CDU) Rede und Antwort stehen.

Woher aber plötzlich diese Gesprächsbereitschaft, diese Konjunktur, die das Thema „soziale Stadt“ erfährt? Eine Konjunktur, von der sich ja nicht einmal die CDU ausnimmt, obwohl deren Innenstadtkonferenzen eher Beschwichtigungs- denn Diskussionsveranstaltungen waren.

Während Sprogies von den klassischen SPD-Themen spricht, verweisen die sich häufenden Diskussionen zu Segregation, Verarmung, Quartiersmanagement in Wirklichkeit auf einen Notstand. Berlin ist nicht nur hip, sondern auch arm geworden, und diese Armut steht plötzlich in seltsamem Kontrast zur gebauten Glitzerwelt des „New Berlin“. Die Versprechen, die mit dem Bau von Millionen Quadratmeter Bürofläche verknüpft waren, haben sich nicht erfüllt, sind aber noch in bester Erinnerung. Kein Wunder, dass sich Politiker wie Peter Strieder, der noch vor zwei Jahren Berlin im „Konzert der Weltstädte“ sah, nun bemühen, andere Töne anzuschlagen.

Und noch etwas. Gerade weil der Zusammenhang zwischen den urbanen Highlights wie dem Hackeschen Markt und den Armutszonen in Innenstadtbezirken so offensichtlich ist, greifen auch vormalige Antworten nicht mehr. Mit einem Mix an Großprojekten und Polizeiknüppel kann sich nicht einmal mehr die CDU begnügen. Schließlich ist es auch die eigene Klientel, die plötzlich am Thema „soziale Stadt“ ein Interesse hat.

Ob die Konjunktur dieser Themen allerdings zum Umdenken beizutragen vermag, darf bezweifelt werden. Der GSW-Verkauf etwa steht beim SPD-Kongress nicht zur Diskussion. Und der PDS-Vorschlag wird, so gut oder schlecht er auch gerechnet ist und so aufmerksam der Finanzsenator auch zuhören mag, ein Werk für die Schublade sein. Noch zweifelhafter erscheint das neue Interesse aber, wenn eines der wichtigsten Themen der Stadtentwicklung vollends ausgeblendet wird. Obwohl bundesweit heftig über eine neue Einwanderungspolitik diskutiert wird, bleibt dieses Thema bei den Kongressen von PDS und SPD außen vor. Dabei ist gerade Berlin mit einer Quote von 30 Prozent Migranten ohne Schulabschluss bundesweit an der „Spitze“. Diese „Drop out“-Quote ist etwa für Ulrich Pfeiffer, der im Auftrag der Bundesregierung bei Urban 21 den „Weltbericht zur Zukunft der Städte“ vorlegt, „schlicht unerträglich“.

Für Schulsenator Böger spielt das Thema freilich keine Rolle. Er diskutiert die Bildungsmisere auf dem Kongress lieber mit Vertretern der Wirtschaft. Trotz der Konjunktur des Themas scheint die alte Selbstlüge der Berliner Politik, es werde irgendwann schon besser werden, immer noch zu funktionieren.