: Am Fiskus vorbei gehandelt
Vietnamesische Textilhandelsfirma soll 1,2 Millionen Mark Steuern und Zölle unterschlagen haben. Inhaberehepaar, das als sehr wohlhabend gilt, wurde festgenommen. Viele Kleinhändler haben keine Kenntnisse von Zoll- und Steuerrecht
von MARINA MAI
Bisher wurde organisierte Kriminalität von Vietnamesen immer mit Zigarettenschmuggel in Verbindung gebracht. Das scheint sich geändert zu haben.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zwölf überwiegend vietnamesische Textilhändler wegen Steuerhinterziehung und Zollvergehen in Millionenhöhe. In der vergangenen Woche wurden ein eingebürgerter ehemaliger Vietnamese und seine vietnamesische Ehefrau festgenommen. Sie sollen über anderthalb Jahre hinweg Zölle und Einfuhrumsatzsteuern in Höhe von mindestens 1,2 Millionen Mark hinterzogen haben.
„Zum Teil haben sie die eingeführten Textilien als private Waren getarnt und keine Zölle und Steuern gezahlt. Zum anderen Teil wurden systematisch zu geringe Einfuhrsteuern und Zölle entrichtet,“ erklärt Axel Werner von der für die Berliner Zollfahndung zuständigen Oberfinanzdirektion Cottbus.
Darüber hinaus seien Markenwaren gefälscht worden. Werner: „Bei Betrug in dieser Größenordnung gehen wir beim gegenwärtigen Ermittlungsstand von organisierter Kriminalität aus.“ Die Zollfahndung hat nach einer Großfahndung in Berlin und weiteren 54 Orten in den neuen Bundesländern 20.000 Kartons mit Textilien, Bargeld in Höhe von einer halben Million Mark und einen Firmen-LKW beschlagnahmt. Das Ehepaar, Inhaber der in Berlin ansässigen V. GmbH (vollständiger Name ist der taz bekannt), die zahlreiche Niederlassungen in ostdeutschen Städten unterhält, gilt als die reichste vietnamesische Familie in Berlin und eine der reichsten bundesweit.
In vietnamesischen Großhandelszentren in Marzahn und Höhenschönhausen unterhält die Firma V. Verkaufs- und Lagerräume, die in der vergangenen Woche von der Justiz versiegelt wurden. Die einstigen Vertragsarbeiter sollen Textilien aus Vietnam, Polen und möglicherweise aus weiteren Staaten eingeführt und in den Großhandelszentren an vietnamesische Wochenmarkthändler verkauft haben.
Experten schätzen, dass etwa jeder zweite Berliner Vietnamese vom Wochenmarktgewerbe lebt. Reich werden dabei die wenigsten. Neben den Endverkäufern haben sich in den vergangenen fünf Jahren Groß- und Zwischenhändler etablieren können, die ihre Waren zum Teil direkt in Vietnam in von Familienangehörigen betriebenen Fabriken fertigen lassen.
Anders als der Zigarettenhandel ist der von Vietnamesen betriebene Textilhandel legal. Im Unterschied zu den Zigarettenhändlern haben die Textilhändler ein Aufenthaltsrecht und einen Gewerbeschein. Da es sich hierbei jedoch um weitgehend geschlossene Wirtschaftskreisläufe handelt, können sich zivilgesellschaftliche Strukturen nur schwer etablieren, während traditionelle, durch den Konfuzianismus geprägte Sozialbeziehungen, die Kriminalität ebenfalls stigmatisieren würden, nicht mehr funktionieren.
Hinzu kommt: Die vietnamesischen Großhändler haben überwiegend gar keine berufliche Ausbildung, keinesfalls aber die auf dem internationalen Handelsparkett geforderten Kenntnisse. „Dass die Markenwaren, die die Firma V. verkauft, nicht echt sind, habe ich gewusst,“ sagt ein Textilgroßhändler gegenüber der taz. „Ich habe mich nur gewundert, dass die Polizei die Firma erst reich werden ließ, bevor sie zuschlug.“
Andere im Großhandelszentrum halten sich mit öffentlichen Äußerungen bedeckt. Sie zeigen keine Freude oder gar Mitleid darüber, dass ein unlauterer Konkurrent vorläufig ausgeschaltet ist. Eher klingt Unsicherheit durch, ob man selbst immer korrekt handelte. „Ich habe meinen Zoll ordentlich gezahlt, aber sicher bin ich nicht,“ sagt ein Verkäufer hinter vorgehaltener Hand. Wer Waren aus Polen einführt, der brauche keinen Zoll zu entrichten, lautet ein Gerücht unter vietnamesischen Textilhändlern, das jedoch schlicht falsch ist.
Tamara Hentschel vom Beratungszentrum für Vietnamesen „Reistrommel“ geht davon aus, dass die mutmaßlichen Straftaten möglicherweise einmal aus Unwissenheit heraus begonnen wurden und durch eine rechtzeitige Aufklärung der Zollverwaltung in der jetzt von den Ermittlern angenommenen Größenordnung hätte verhindert werden können. „Hätten sie rechtzeitig Schulungen über Zollbestimmungen durchgeführt, wäre das rechtsstaatliche Bewusstsein der vietnamesischen Händler und damit die gegenseitige Kontrolle der miteinander konkurrierenden Firmen besser ausgeprägt“, sagt Hentschel. Weil Textilhändler anders als Zigarettenhändler eine Perspektive in Deutschland hätten, seien sie, von Ausnahmen abgesehen, bereit, sich an Gesetze zu halten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen