: Auf die Chemie kommt es an
Hans Maierski (51), Geschäftsführer der „Story of Berlin“, hat schon viele Schüler unter die Erde bzw. in den Atomschutzbunker der Ausstellung gebracht. Nur gelegentlich schießt er übers Ziel hinaus
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Der Mann tanzt gerne aus der Reihe: Am Gymnasium erbat er sich vom Direktor einen Tag Sonderurlaub, um zur documenta zu fahren. Während des Chemiestudiums pausierte er für ein Jahr, um sich bei Proben in den Münchner Kammerspielen rumzutreiben. Für seine Dissertation über „Chlororganische Verbindungen in Schwimmbadwasser“ baute er in einem Freibad in München ein Labor auf und fand heraus, dass nicht Kinder, sondern ältere Frauen am häufigsten ins Wasser pinkeln. Als er längere Zeit im Ausland arbeitete und seine Familie nur noch an den Wochenenden sah, warf er den Fernseher aus dem Fenster, um seine Kinder auf sich aufmerksam zu machen.
Der Erzähler solcher Anekdoten ist Hans Maierski. Der 51-Jährige, der in Ludwigshafen aufwuchs, in München studierte und seit zwei Jahren in Berlin lebt, trat im September vergangenen Jahres an, um die Ausstellung „The Story of Berlin“ im Ku’damm-Karree aus den roten Zahlen herauszuführen. Weil sich nach der Eröffnung im Juni 1999 nur wenige hundert Besucher täglich auf den 7.000 Quadratmetern multimedialer Geschichte verloren, wurde ein Macher gesucht und Maierski als „Generalbevollmächtigter“ angeheuert. Der Unternehmensberater war zuvor als Prokurist und Geschäftsführer im Dienstleistungsbereich in der Umwelttechnik und in etwa einem Dutzend Unternehmen verschiedenster Branchen als „Problemlöser“ tätig – mit einer Erfolgsquote von 60 Prozent, wie er sagt.
Maierski, der sich nach eigenen Angaben schon immer für Geschichte interessiert, fackelte auch in dem beruflich fremden Terrain nicht lange. Als studierter Chemiker weiß er: Auf die Mischung kommt es an. Zuerst warf er alle Berater und einen Großteil des Personals raus und stellte sich ein neues Team und einen „Maßnahmenkatalog“ zusammen, den er Schlag auf Schlag abarbeitete.
Kaum war die Wahl in Berlin gelaufen, ließ er die Plakate der Parteien in der Stadt mit einem einzigen Motiv überkleben: „The Story of Berlin“. Kurz darauf überzog er die Stadt mit provokanter Werbung in Form von historischen Fotos mit flotten Sprüchen. Selbst böse Reaktionen freuten ihn. Denn endlich war die Ausstellung im Gespräch.
Wenige Wochen nach Maierskis Antritt wurde an einigen Tagen die 1.000-Besucher-Grenze überschritten – für den Krisenmanager ein kleiner Anfang, mehr nicht. Er brauchte mehr Publicity. Behilflich war ihm dabei der Atomschutzbunker aus den 70er-Jahren, der direkt unter der Ausstellung liegt.
Ganz frech rief er im Bundesumweltministerium an und lancierte die Nachricht, dass es in dem Strahlenschutzbunker einen „Trittin-Raum“ gäbe. Das Ministerium, zu dieser Zeit stark erpicht auf medienwirksame Auftritte des Chefs, biss an. Nur: Der Raum existierte noch gar nicht. Maierski hielt die Pressestelle hin und stampfte innerhalb einer Woche eine Installation mit dem pompösen Titel „Der Bundesumweltminister verhandelt mit den Energiekonzernen über den Ausstieg aus der Atomenergie“ aus dem Boden. So entstand der vom Minister höchstpersönlich eingeweihte „Trittin-Raum“.
Erzählt Maierski diese Geschichten, zeigt er sich halb erschrocken und halb amüsiert über seine eigene Verwegenheit. Nach seinen Kalkulationen erreichte die Berichterstattung über den Trittin-Besuch 2,6 Millionen Leser. Nicht schlecht, aber noch lange nicht genug für einen wie Maierski. Obwohl er Schnickschnack aus der Anfangszeit der Ausstellung – Honecker- und Ulbricht-Doubles – als „oberflächlich und doof“ ausrangiert hatte, wurde er infolge seiner Bunker-Begeisterung zum Vorreiter von „Big Brother“. Über Fernsehspots rekrutierte er 250 Freiwillige, die sich 24 Stunden in dem für 3.500 Menschen konzipierten Strahlenschutzbunker unter Beobachtung eines SFB-Fernsehteams einschließen ließen, um den Kalten Krieg hautnah zu erleben.
Doch die Idee floppte. Die Teilnehmer waren enttäuscht, weil die angeblich hermetisch abgeriegelten Türen offen standen und die versprochene Authentizität nur von den Fernsehkameras vorgegaukelt wurde (taz berichtete). „Da habe ich zu Recht saftige Ohrfeigen abgekriegt“, sagt Maierski rückblickend. Er sei „der Verführung der Medien“ erlegen und habe sein „Lehrgeld“ bezahlt, gesteht er kleinlaut. Auch mit seiner Frau und seinen vier Kindern im Alter zwischen 9 und 14 Jahren geriet er aneinander. Maierski hätte sich in der Bunkernacht außer dem Schlafsack gerne seine Familie inklusive seiner Mutter als Zeitzeugin unter den Arm geklemmt. „Hans, wir lassen uns nicht vermarkten“, stellte seine Frau klar. „Das war ein Tritt vors Schienbein“, erinnert sich Maierski und guckt, als schmerze ihm noch immer das Bein.
Maierski ist einer von diesen Managern, die ruppig werden können im Ton, wenn ein Mitarbeiter nicht so spurt, wie sie es erwarten, sich Kritik an der eigenen Person aber nicht verschließen – wenn sie berechtigt ist. Privat gehört er zu den Genießern. Er spielt gern Klavier – passenderweise gehören Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ zu seinen Lieblingsstücken –, geht mit großer Begeisterung ins Theater und in Ausstellungen und ist für alles Mögliche zu haben. „Wenn Sie mir sagen, da und da gibt es eine tolle indonesische Froschzucht, dann gehe ich da hin“, sagt er. Man glaubt es ihm aufs Wort.
Maierski scheut auch keine Mühe, wenn es um kulinarische Genüsse geht. „Um einen guten Zander zu kriegen, fahre ich an einen der Seen im Umland.“ Der Grund: „Wer nicht gerne isst und trinkt, ist schlecht im Bett“, sagt er und lacht dabei auf eine kokette Art, dass man wissen will, wie er den Fisch zubereitet.
Am Bunker hält Maierski weiterhin fest – als „geile Location“. Statt auf „Klamauk“ setzt er jetzt aber auf Geschichtsunterricht für Schulklassen. So wie Steven Spielberg die Dinosaurier in die Jetztzeit holte, will Maierski die Historie gegenwartsfähig machen. Hunderte von Schülern hat er schon unter die Erde gebracht. In den Bunker gelockt hat er sie mit Diskussionsrunden zu Themen wie „8. Mai – Kapitulation oder Neubeginn?“ oder „Revolutionen in Deutschland“ und einem Auftritt des Schauspielers Sedan Somuncu mit seinem Stück „Hitler – Mein Kampf“. Einige der Diskussionen sind als CD zu haben, worauf Maierski besonders stolz ist. „Die Botschaft ‚Geschichte macht Spaß‘ ist rübergekommen“, freut er sich. Damit der Eventcharakter nicht zu kurz kommt, durften Schüler nach stundenlangen Diskussionen mit Politikern wie Petra Pau, Christian Ströbele oder dem ehemaligen Innensenator Heinrich Lummer in der Nacht Techno im Bunker auflegen. „Das war eine tolle Erfahrung“, so Maierski, der es mehr mit klassischer Musik hält. Ganz so, als sei sein Schienbein schmerzresistent, schießt Maierski wieder übers Ziel hinaus, wenn es aus ihm herausplatzt: „Die jungen Leute haben mit ihrer Lebendigkeit den Kalten Krieg platt gemacht.“ Auch ein Chemiker dürfte wissen, dass es sich bei dem Kalten Krieg nicht um eine kalte Suppe handelt, die man beliebig aufwärmen kann.
Doch Maierskis Bemühungen sind nicht ohne Folgen geblieben. Im Schnitt kommen jetzt 10.000 Besucher pro Monat ins Ku’damm-Karree. Aber der break even, wie er es nennt, ist noch nicht erreicht. Im September soll das Theaterstück „Wollt Ihr den totalen Krieg?“ mit der Rede von Propagandaminister Goebbels und Einspielungen der Philharmoniker vom Mai 1945 im Sportpalast Schülerscharen in den Bunker locken. „Für härtere Nerven“, so Maierski, gibt es zudem Liveeinspielungen von Fliegergeräuschen.
Damit nicht genug: Maierski hat es geschafft, nun doch einen Teil seiner Familie einzuspannen. Seine Mutter, die die Rede damals hörte, wird als Zeitzeugin auftreten, und zwei seiner Kinder werden ebenso dabei sein. „Ein Gespräch zwischen drei Generationen, das ist doch eine aufregende Geschichte!“, freut sich Maierski schon jetzt. Wenn es die Besucher ebenso sehen und die Zahlen weiter steigen, wird er am Jahresende oder spätestens im Frühjahr kommenden Jahres als Krisenmanager überflüssig sein. Für die Zeit danach hat er noch keine konkreten Pläne, nur einen Wunsch: „Ich würde gerne eine Partei reorganisieren.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen