: „Wir wollen uns nicht schämen“
Interview BARBARA JUNGE und ANNETTE ROGALLA
Frau Künast, Sie laufen durch den Park, Ihnen kommt ein Mann im Hitler-T-Shirt entgegen. Wie reagieren Sie?
Renate Künast: Ich nehm’ dem nicht das T-Shirt ab. Diese Art von Einzelauseinandersetzung bringt nichts. Ich nehme das, was ich sehe, als Information mit und agiere da, wo es nützt. Wenn ich eine Ausländerin oder einen Ausländer in der S-Bahn sehe, setze ich mich genau dorthin und zeige damit: Sie sind nicht allein.
Eine Woche nach dem Brandanschlag sind Sie zu den Asylbewerbern nach Ludwigshafen gefahren, um Mitgefühl zu zeigen. Haben Sie Innenminister Schily gebeten mitzukommen?
Die Grünen sehen sehr viel klarer, wie sich der Bereich des Rechtsextremismus in letzter Zeit verändert hat und wie gefährlich das ist. Insofern kommt uns die Rolle zu, auf das Problem hinzuweisen und andere dazu zu zwingen, zu erkennen und aktiv zu werden. So läuft das.
Haben Sie Herrn Schily angerufen?
Wir weisen seit Wochen öffentlich auf die Gefahr des Rechtsextremismus hin.
Sie freuen sich, das Thema zu besetzen und den Koalitionspartner auszugrenzen?
Das unterstellt eine formale Strategie, ich habe ein inhaltliches Motiv. Seitdem ich Bundesvorsitzende bin, betreiben wir das Thema mit Nachdruck. Aus meiner Zeit als Innenexpertin im Land Berlin weiß ich, dass dort für die Bekämpfung des Linksextremismus doppelt so viel Geld ausgegeben wird, wie für die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Fast täglich kommt es aber zu rechtsextremistischen Überfällen. Diese Schieflage macht mich wütend, da muss man mal einen Punkt setzen. Außerdem soll grüne Politik sichtbarer werden. Wir werden uns stärker den Zukunftsfragen zuwenden. Und so makaber es klingt: Die Bekämpfung des Rechtsextremismus hat eine Menge mit der Zukunft der Bundesrepublik zu tun.
Sieht auch der Kanzler so: Das muss weg, sagt er. Rechtsradikalismus ist nicht gut für den Wirtschaftsstandort.
Es ist keine Schande, auch an dieser Stelle auf wirtschaftliche Dinge hinzuweisen. Wir können die Zukunft nicht organisieren, wenn sich Menschen nicht mehr nach Deutschland trauen.
Sie wollen den Kampf gegen rechts zum neuen Dreh- und Angelpunkt grüner Politik machen?
Das wird genauso ein Schwerpunkt wie die Atompolitik werden. Jugendliche, die heute heranwachsen, sind die Zukunft des Landes. Wenn sie mit rechten Parolen sozialisiert werden, kommt das nur schwer wieder aus ihren Köpfen raus. Der Rechtsradikalismus ist keine abgeschottete Zelle. Er ist wie eine Amöbe, die überall hineinwabert, die keine klaren Konturen besitzt. Das macht ihn so gefährlich. Seit Hoyerswerda und Rostock wissen wir, welchen Rückhalt die Täter in der Gesellschaft haben. Solchen Rückhalt hatte die RAF selbst zu ihren Hochzeiten nicht.
Und wie die SPD zu RAF-Zeiten fordern jetzt die Grünen mehr staatliche Repression. Sie setzen in Ihrem Rechtsradikalismus-Papier auf law and order. Reichen Schnellverfahren und die bestehenden Möglichkeiten der Bestrafung nicht aus?
Ich fordere keine neuen Straftatbestände und keinen Abbau im Verfahren. Ich thematisiere, wie wir mit der Ressource Polizei und Justiz umgehen. Gaffiti etwa sind ärgerlich für Hausbesitzer, aber müssen wir wirklich so viel in die Strafverfolgung investieren? Ich plädiere dafür, dass wir mehr Personal und Sachmittel im Bereich der Bekämpfung des Rechtsextremismus konzentrieren. Wenn Polizei und Justiz ihre Schwerpunkte verlagern, senden sie damit ein eindeutiges Zeichen.
Sondereinsatzkommandos jagen im Osten Neonazis hinterher – mit eher bescheidenem Erfolg.
Es reicht nicht, wenn man – wie in Brandenburg – Sonderkommandos losschickt, wenn sich der Ministerpräsident aber gleichzeitig hinstellt und sagt: Wir müssen noch Demokratie lernen, das hatten wir vorher ja nicht. Mir stockt dabei der Atem. Auch Ministerpräsidenten müssen ganz klar sagen: So nicht. Es reicht nicht, die Gewalt zu ächten, man darf sie auch nicht entschuldigen.
Speziell im Osten der Republik helfen SPD-Politiker ihren CDU-Partnern, das Problem zu bagatellisieren.
Das ist gerade dort angesichts des konkreten Ausmaßes an Gewalt völlig absurd.
Insbesondere die CDU-Innenminister stellen Rechtsextremismus so dar, als sei er mit der Gewalt von links vergleichbar.
Die Frage, ob der Linksextremismus eine Gefahr für die Sicherheit des Bundes ist, stellt sich nicht. Solcher Versuche, etwas hochzustilisieren, vergrößern meine Sorge nur noch. Rechtsextreme und antisemitische Einstellungen teilen etwa zehn Prozent der Bevölkerung, unter jungen Gewerkschaftern sind es sogar fast zwanzig Prozent – in Ost wie West. Das reicht weit in das SPD-Wählerklientel hinein. Da muss man sich doch fragen, wer gefährdet hier die innere Sicherheit? Aus dieser Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus resultiert vielerorts ein defensiver Umgang mit der Gewalt von rechts.
Auch bei den Grünen?
Bei uns engagieren sich viele Leute gegen den Rechtsextremismus, gerade in den Neuen Bundesländern. Aber man muss auch ehrlich sagen: Gerade im Osten ist es verdammt schwer, als Kommunalpolitiker offensiv an die Sache heranzugehen, zumal wenn man bedroht wird. Deshalb müssen wir die Engagierten unterstützen.
Wie?
Wir müssen finanzielle Hilfe geben. Es gibt ja bereits Opferberatungen, spezielle Jugendarbeit und mobile Sozialarbeiterteams. Aber nahezu all diese Einrichtungen sind momentan fast arbeitsunfähig. Ihre finanzielle Ausstattung ist zwar Angelegenheit der Länder, aber hier muss gegebenenfalls der Bund einspringen.
Was sagt Finanzminister Eichel zu diesen Vorstellungen?
Die Gespräche darüber laufen noch. Der Bundeshaushalt wird ja erst im November verabschiedet. Bis dahin müssen wir erst mal in der Koalition für unser Vorhaben werben.
Wie viel Geld verlangen Sie?
Es braucht eine zweistellige Millionensumme.
Dieses Konzept haben Sie sich von Angela Merkel abgeguckt. Zwischen 1992 und 1996 spendierte sie als Bundesjugendministerin jährlich 20 Millionen für ein Antigewaltprogramm.
Es gibt ein berühmtes Lied: „... Wo sind sie geblieben? ...“ Ich sehe nicht, dass Lehrer in den Neuen Bundesländern jetzt qualifizierter im Umgang mit Rechtsradikalen sind. Und für diese Arbeit ist ja auch nicht jeder geeignet. Schule muss aber wieder der Ort werden, an dem demokratische Werte vermittelt werden. Da braucht es auch externe Spezialisten.
Grüne Glatzenpflege, und die auch noch auf Staatskosten?
Nein. Wir wollen keine Weiterführung der so genannten akzeptierenden Jugendarbeit. Wir wollen Räume schaffen und erhalten – für demokratisch denkende junge Leute. Das ist die Umsetzung von Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen zu achten und zu schützen, ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Und: Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und körperliche Unversehrtheit.
Was soll mit Jugendklubs geschehen, die bereits fest in rechter Hand sind? Dort beanspruchen junge Persönlichkeiten für sich, sich frei neonazistisch zu entfalten.
Eine klare Aussage tut not. Wir dulden keine antiegalitären Ansätze.
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse macht sich im Osten ein konkretes Bild vom rechten Alltag. Nun wollen auch die Grünen ausschwärmen. Besucht Renate Künast auch einen Glatzenklub?
Ich werde bestimmt nicht in einen rechten Klub maschieren und sagen: Hier bin ich. Ich treffe solche Leute in Diskussionen an Schulen. Demnächst fahre ich nach Eberswalde in Brandenburg und treffe Uta Leichsenring, die Polizeipräsidentin. In dieser Stadt gibt es Initiativen, die dringend Unterstützung und Geld brauchen, sonst brechen die zusammen. Diese Reise hat zum Ziel, auf den brandenburgischen Landtag Druck auszuüben.
Wie stellen Sie das an?
In dem ich Journalisten mit auf die Reise nehme, die über die Zustände berichten.
Wolfgang Thierse sagte kürzlich: Gelegentlich schäme ich mich für dieses Land. Können Sie diese Empfindung des Bundestagspräsidenten nachvollziehen?
Scham ist mir zu passiv. Es gibt viel zu tun, und wir wollen jetzt was tun. Vielleicht kann Herr Thierse dafür sorgen, dass auch viele aus seiner Partei mitmachen, wenn es am Ende wieder knallhart auf die Frage zuläuft: Wer gibt das Geld für die Sache? Denn wer Geld ausgibt, sendet auch eine Botschaft. Wir wollen uns nicht schämen – wir müssen gemeinsam loslegen.
Hinweise:SOLIDARITÄT MIT AUSLÄNDERN Wenn ich einen Ausländer in der S-Bahn sehe, setze ich mich genau dorthin
WESEN DES RECHTSRADIKALISMUSRechtsradikalismus ist wie eine Amöbe, die überall hineinwabert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen