: Alle Augen nach rechts
Seit Bundesaußenminister Fischer den Rechtsradikalismus zur Chefsache erklärte, stürzt sich die Republik auf ein lange verdrängtes Thema. Wer etwas auf sich hält, wirft mit Ratschlägen um sich
BERLIN taz ■ Auf der Suche nach einem geschärften Profil haben die Grünen eine Welle der Berichterstattung über rechte Gewalt ausgelöst. Nur wenige Tage, nachdem Bundesaußenminister Joschka Fischer in der taz forderte, der Aufschrei in der Bevölkerung müsste bei den rechtsradikalen Gewalttaten mindestens so groß sein wie bei den Kampfhunden, beherrscht das Thema die Schlagzeilen.
Auch gestern sahen sich viele genötigt, Stellung zu beziehen und ihr eigenes Süppchen zu kochen. So rief die Expo-Generalkommissarin Birgit Breuel dazu auf, die bislang schwach besuchte Weltausstellung in Hannover als Forum gegen Fremdenfeindlichkeit zu nutzen, da sie für Schüler „ein wirksames Gegengift für fremdenfeindliche Parolen und Ausländerhetzte sei“.
Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) entdeckte, dass es sich bei den Rechtsradikalen nicht um „irregeleitete Einzeltäter“ handelt, sondern um ein präzise organisiertes Netz. Weiteres über sein präzises Wissen teilte Trittin nicht mit. Dafür warnte er umso eindringlicher vor der Gefahr von negativen Auswirkungen des Rechtsextremismus auf den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Die Staatssekretärin im Innenministerium, Cornelia Sonntag-Wolgast (SPD), wiederum setzt auf mehr Zivilcourage. Die Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) geißelte eine Mentalität des Wegsehens.
Diese Mentalität wird vor allem in den Innenministerien der Länder intensiv gepflegt. Denn der Bundesverband kritischer Polizisten enthüllte gestern eine zunehmende Ausländerfeindlichkeit unter Polizisten. Gegen diese Tendenz, klagt die Sprecherin des Bundesverbandes, Bianca Müller, gehe die Polizeispitze „nur halbherzig“ vor.
Vier Tage nach dem Bombenanschlag von Düsseldorf, bei der zehn Menschen verletzt wurden, hat die Polizei vor einer voreiligen Konzentration auf einen möglichen rechtsradikalen Hintergrund gewarnt. Bislang fehlt von den Tätern jede Spur. Auch die Großfahndung nach dem rechtsextremistischen Gewalttäter Gunnar Doege ist bislang ergebnislos verlaufen. Der 24-Jährige soll vor einer Woche zusammen mit drei Jugendlichen in Ahlbeck einen Obdachlosen zu Tode getreten haben.
Die Sprecherin des Bundesvorstandes der Grünen, Renate Künast, kündigte gegenüber der taz an, dass der Kampf gegen rechts genauso ein Schwerpunkt für die Grünen werde wie die Atompolitik. Von Bundesfinanzminister Hans Eichel fordert sie „eine zweistellige Millionensumme“ für Opferberatungsstellen, spezielle Jugendarbeit und mobile Sozialarbeiterteams. „Wir wollen keine Weiterführung der so genannten akzeptierenden Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen“, stellt Künast klar. Gefördert werden sollen zukünftig „demokratisch denkende junge Leute“. EBERHARD SEIDEL
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