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Der freundliche Unterhändler

von LUKAS WALLRAFF

Glaubt er das wirklich? Wird jetzt alles gut? „Das ist klasse, das funktioniert spitze, so wünsche ich mir die restlichen zwei Jahre.“ Cem Özdemir gerät ins Schwärmen, wenn er über seine neue Parteichefin spricht. Mit ihrer Kampagne gegen rechte Gewalt habe es Renate Künast geschafft, die Aufmerksamkeit erstmals seit langem wieder auf die grüne Parteispitze zu lenken. „Das ist auch eine Entlastung für mich“, sagt Özdemir und beschreibt, wie er sich die Arbeitsteilung bis zur nächsten Wahl vorstellt. „Ich muss mit der SPD verhandeln, und Renate Künast macht Druck im Hintergrund, das ergänzt sich hervorragend.“

Wenn Özdemir so sehr betont, wie er sich über den Neuanfang freut, gibt er vor allem zu erkennen, wie unzufrieden er bisher war. Wenn er andeutet, dass er bisher zu wenig Unterstützung von der Parteiführung bekam, kann man dies auch als Entschuldigung für eigene Misserfolge verstehen. Denn allzu viele Punkte haben die Grünen in der Innenpolitik bisher nicht gemacht.

Alle wollen den „Spätzle-Türken“

Öffentlich kritisieren würde ihn kein grüner Spitzenpolitiker – die Parteistrategen wissen viel zu gut, was sie an in ihm haben. Den populären „Spätzle-Türken“ würden auch andere Parteien mit Kusshand nehmen. Weil er selten einfach draufdrischt, sondern meist moderate Töne wählt.

Erste Abwerbeversuche der FDP hat Özdemir zurückgewiesen. Doch glücklich ist er nicht darüber, wie die Grünen mit ihm umgehen. Nach der gewonnenen Bundestagswahl durfte er nicht wie gewünscht Ausländerbeauftragter werden. Im Juni wurde er nur halbherzig unterstützt, als er die Grünen in der neuen Einwanderungskommission vertreten wollte.

Keine Frage, der 34-Jährige fühlt sich ungerecht behandelt. „Die Partei vergisst dich sehr schnell“, klagte er im vergangenen Herbst. „Du wirst merken“, warnte er Özcan Mutlu, der für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt, in einem taz-Gespräch, „dass die Freunde, wenn du auf gleicher Augenhöhe mit ihnen bist und du dich nicht zum unterdrückten Ausländer machst, sehr schnell sagen werden: Hoppla, so haben wir nicht gewettet.“

Wie ist es zu bewerten, wenn Özdemir politische Niederlagen auf Ressentiments in der eigenen Partei zurückführt, wenn er sagt: „Selbstbewusste Migranten mögen viele nicht“? Falls dem wirklich so ist, müsste er eigentlich austreten – weil die Grünen ein Haufen von Heuchlern wären. Falls es nicht stimmt, verwendet er ein Totschlagargument, mit dem er sich immun macht gegen Kritik und mit dem er einer politischen Auseinandersetzung ausweicht.

Das will er natürlich nicht. Inzwischen äußert sich Özdemir zurückhaltender. Ihm sei klar, dass er seine persönlichen Interessen im Sinne der Sache zurückstellen müsse. „Es geht nicht darum, das Profil des Abgeordneten Özdemir zu schärfen.“ Ob er wirklich benachteiligt wird, darüber lässt sich zumindest streiten. Der Posten als innenpolitischer Sprecher einer Regierungsfraktion ist nicht gerade unbedeutend. Und im Vergleich zu anderen grünen Promis wird Özdemir selten kritisiert. Zumindest nicht öffentlich.

Für seine Niederlagen gab es Gründe. Dass Özdemir nicht Ausländerbeauftragter wurde, lag auch an der Frauenquote. Dass er nicht in die Einwanderungskommission berufen wurde, lag auch daran, dass Innenminister Schily (SPD) keine aktiven Politiker wollte. Dass er von seiner Partei nicht massiv unterstützt wurde, ist wahr. Aber auch dafür gab es Gründe, die nichts damit zu tun haben, ob er ein „selbstbewusster Migrant“ ist oder nicht.

Özdemir ist umstritten, weil er seit Jahren einen knallharten Realo-Kurs verfolgt und einen Politikstil pflegt, der viele Grüne zu sehr an Jürgen Möllemann erinnert. Für eine Tierschutzkampagne ließ er sich als „Grill-Kotelett“ ablichten, für eine Zeitschrift posierte er neben „peep“-Moderatorin Nadja „Naddel“ Abdel Farrag auf der Titelseite. Auch wenn er sagt, er tue all dies nur, um grüne Inhalte zu transportieren – in seiner Partei hat er sich damit nicht nur Freunde gemacht. „Er ist an der innerparteilichen Linken gescheitert“, sagte Fraktionschef Rezzo Schlauch zu seiner Nichtnominierung zum Ausländerbeauftragten. „Ich stehe immer im Verdacht, dass ich den schnellen Medienerfolg einem Erfolg in der Sache vorziehe“, sagt Özdemir selbst. „Dass dem nicht so ist, versuche ich beim Thema Innenpolitik zu beweisen.“

Innenpolitik also. Özdemir hat die neue Aufgabe angenommen, weil er darin auch eine Chance sieht, aus der Nische des Migrationsspezialisten herauszukommen und als „normaler Politiker“ wahrgenommen zu werden. Nun hört er die ganz normalen Vorwürfe, wie sie an fast alle grünen Politiker seit zwei Jahren gerichtet werden: zu viele Kompromisse mit der SPD, zu viele grüne Prinzipien aufgegeben. Diese Vorwürfe nimmt Özdemir ernst, auch wenn er sie oft als ungerecht empfindet.

Staatsmännisch wie ein Minister

Von der abgespeckten Bannmeile bis zum eigenständigen Aufenthaltsrecht für angeheiratete Frauen fallen ihm sofort viele grüne Erfolge ein. Allein, sie werden kaum registriert. „In der Innen- und Rechtspolitik verkaufen die SPD-Minister die Fortschritte, die wir durchgesetzt haben.“ Ist das auch einfach nur ungerecht?

Aus Özdemirs Sicht hat die SPD mit den „ausgesprochen starken Ministern“ Schily und Däubler-Gmelin einen riesigen „Startvorteil“. Für die Grünen sei es deshalb schwer deutlich zu machen, was sie erreicht hätten. Das müsse sich bei einer Neuauflage der Koalition unbedingt ändern. Dann müssten die Grünen auf Ministerposten pochen.

Özdemir verhält sich schon jetzt oft so staatsmännisch, als wäre er ein Regierungsmitglied und in die Kabinettsdisziplin eingebunden. Dabei wird von einem Fraktionssprecher erwartet, dass er Druck auf die Regierung macht. Dass er deutlich sagt, was die Grünen wollen. Doch Konfrontation um der Konfrontation willen, das ist Özdemirs Strategie nicht. „Wenn mir ein guter Kontakt zur SPD nützt, dann ist das doch im Sinne der Sache nicht schlecht“, findet er. „Es gibt Schlimmeres, als von Otto Schily als Freund bezeichnet zu werden. Mir fällt auch kein Zacken aus der Krone, wenn ich sage, dass Schily durch seinen Auftritt im Flick-Untersuchungsausschuss einer der Politiker war, die mich motiviert haben, in die Politik zu gehen.“

Die persönliche Nähe zu dem SPD-Hardliner ist für ihn kein Problem: „Ich kann unterscheiden zwischen meiner Rolle und seiner Rolle als Politiker und dem Menschen Otto Schily.“ Wirklich immer? Özdemirs Feststellung, „der Innenminister betätigt sich nicht mehr als Scharfmacher“, ist für einen Grünen erstaunlich wohlwollend. Gelinde gesagt.

Doch Özdemir ist überzeugt, gerade dadurch mehr zu erreichen, weil er „fair und anständig“ mit dem Koalitionspartner umgeht. „Manchmal ist Effekthascherei das Gegenteil dessen, was Erfolg bringt“, sagt er und nennt als Beispiel die Situation illegaler Ausländer, für die er sich momentan einsetzt. Hinter verschlossenen Türen. Entscheidend sei für ihn, dass er am Ende etwas erreicht.

Das ist vielen zu wenig. So zogen die Flüchtlingsräte von Berlin und Brandenburg eine bittere Bilanz: Die Hoffnung auf eine „neue positive Flüchtlingspolitik“ unter Rot-Grün hätte sich nicht erfüllt. So kritisierte der Sprecher der grünen LAG ImmigrantInnen und Flüchtlinge, Bernd Parusel, die grünen Innenpolitiker hätten es beim Flughafenverfahren für Asylbewerber versäumt, „zu ihren Überzeugungen zu stehen“.

Keine unrealistischen Forderungen

Die Zustände auf den Flughäfen sind unter Rot-Grün schlimmer als früher. „Aber wir tun doch was“, wehrt sich Özdemir. Beim Flughafenverfahren sei er hingefahren, da hätten die Grünen Krach geschlagen. Özdemir setzte sich dafür ein, dass Kinder nicht mehr ins Flughafenasyl müssen. Parusel geht das nicht weit genug. Er erinnert daran, dass die Grünen ursprünglich das Flughafenverfahren ganz abschaffen wollten. Das würde auch Özdemir gern tun. Aber seine Strategie ist nicht, unrealistische Forderungen zu stellen. „Mit der Gefahr, die auch ich sehe, dass nachher nicht mehr klar ist, dass die Grünen diejenigen waren, die da viel erreicht haben.“

Völlig unklar war Mitte Mai, was die Grünen beim „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ erreicht haben wollten. Viele Nichtregierungsorganisationen boykottierten die Auftaktveranstaltung, weil sie an der Vorbereitung nicht beteiligt wurden und kein Konzept zu erkennen war. Unter den NGOs, die absagten, war auch „Aktion Courage“. Nicht so deren Vorsitzender Cem Özdemir. Er erschien zum Festakt und erklärte nur sein Bedauern, „dass das im Vorfeld nicht besser gemanagt wurde.“ Heute sagt er: „Ich muss den ganzen Initiativen ein Kompliment machen: Ihre Kritik blieb nicht folgenlos. Dank der Grünen.“

Dank der Grünen soll sich bis zur nächsten Bundestagswahl noch viel mehr ändern. So wünscht sich Özdemir „ein gutes Einwanderungsgesetz noch in dieser Legislaturperiode“. Aber nicht um jeden Preis. Das ist auch eine Lehre aus dem unbefriedigenden Kompromiss beim Staatsangehörigkeitsrecht im vergangenen Jahr. „Ich habe das Gefühl, dass da eine große Chance vermasselt wurde.“

Jetzt ist erst mal rot-grüne Halbzeit. Nach der Sommerpause werden die Karten neu gemischt. Zumindest die Autogrammkarten. Cem Özdemir hat neue in Auftrag gegeben. Nicht mehr so altmodisch sollen sie sein. Um zu verdeutlichen, was er meint, zieht er ein paar von diesen Karten, „die wir ja alle haben“, aus der Innentasche seines Jacketts. Sie sehen aus wie Passfotos. Die neuen sollen peppiger, origineller werden. Dafür will er sich von unten oder schief von der Seite fotografieren lassen. Aber sicher nicht, um sein Profil zu schärfen. Nein, nur um Inhalte zu transportieren.Vorher werden aber die alten noch aufgebraucht, da ist er Schwabe, da kennt er nix.

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