: Linke wollten ins Gefängnis
8.000 protestierten in Köpenick – eigentlich gegen die Zentrale der NPD. Doch dann machte der vom Kanzler geforderte „Aufstand der Anständigen“ auch vor der Abschiebehaftanstalt nicht halt
von ANDREAS SPANNBAUER
Einen Moment lang geriet die Bundesgeschäftsstelle der NPD bei ihren Gegnern fast in Vergessenheit. Für viele der rund 8.000 Teilnehmer der Demonstration „Gemeinsam gegen Rechts“ am vergangenen Samstag in Köpenick wurde der Tag vor allem eines: Eine Manifestation gegen die Asylpolitik der Regierung.
Bei vielen jüngeren Demonstranten sorgte der Anblick des hermetisch abgeschotteten Abschiebegefängnisses in der Grünauer Straße, vor dem eine Zwischenkundgebung abgehalten wurde, für mehr Wut als der Gedanke an die rechtsextreme Partei. „Schily macht sich doch mit seinen Sprüchen zum Wortführer der Rechtsradikalen“, sagte ein 31-jähriger Mann.
Als ein Sprecher dann die sofortige Freilassung der inhaftierten Asylbewerber forderte, wollten einige Demonstranten die vorhersehbare Antwort nicht abwarten. Vermummte machten sich mit einer Säge an den schweren, grünen Eisentoren zu schaffen, hinter dem abgelehnte Asylbewerber auf ihre Abschiebung warten müssen. Andere rammten ein Absperrgitter gegen das Sicherheitsglas der Pförtnerloge.
Die anrückenden Polizisten wurden mit Flaschen und Holzlatten beworfen. „Nicht allen Menschen hier ist es gleichgültig, was in Deutschland mit Ausländern passiert“, sagte der Sprecher. Ob die Adressaten diese Botschaft hören konnten, blieb unklar: Vergitterte Fenster verhinderten den Sichtkontakt. Die Polizei setzte einen Wasserwerfer ein und räumte den Platz.
Bei einem Rentner, der wegen des Protestes gegen die NPD gekommen war, stieß die symbolische Befreiungsaktion auf Kritik: „Solche Provokationen nutzen doch nur der Polizei.“ Trotzdem nahm er weiter an der Veranstaltung teil. Auch das Köpenicker Jugendbündnis „Bunt statt Braun“ hatte, als einziger von rund 200 Aufrufern aus dem ganzen Bundesgebiet, den Marsch vor die Abschiebehaftanstalt abgelehnt und schloss sich dem Zug später an. Viele jugendliche Teilnehmer äußerten dagegen Verständnis für die Aktion.
Als sich die Situation beruhigt hatte, zogen die Demonstranten bei Nieselregen zur NPD-Bundesgeschäftsstelle. Die Polizei hatte das Gebäude abgeriegelt. Die Fensterläden waren verschlossen, nur hinter den Dachfenstern beobachteten ein paar Rechte ihre Gegner. Der ehemalige Widerstandskämpfer Fritz Teppich nannte den Polizeischutz für die NPD „einen Angriff auf meine in Auschwitz ermordete Mutter“. Vereinzelt warfen Demonstranten Flaschen gegen die Absperrung. Die Polizei nahm daraufhin mehrere Teilnehmer fest. Gegen 40 Menschen wurde Anzeige erstattet.
Auf der Abschlusskundgebung riefen mehrere Redner zu entschlossenem Widerstand gegen die NPD auf. Peter Venus vom Hauptvorstand der IG Medien warf der Polizei vor, mit übertriebener Härte gegen die Teilnehmer vorgegangen zu sein. Nahezu alle Sprecher kritisierten die deutsche Ausländerpolitik und verlangten „Gleiche Rechte für alle“. „Die oft geforderte Zivilcourage bedeutet auch, Flüchtlinge vor ihrer Abschiebung zu retten“, forderte Michael Kronewetter von der Antifaschistischen Aktion. „Schade, dass sich heute so wenige beteiligen, die sonst so gerne Gesicht zeigen wollen“, spielte Judith Demba vom Bündnis „Gemeinsam gegen Rechts“ auf die Kampagne der Regierung gegen den Rechtsextremismus an. Nur nach einer Abschaffung der Asylgesetze würden „Talkshow-Bekenntnisse gegen rechts“ glaubwürdig.
Erst gegen Abend beendeten die Veranstalter die in diesem Jahr bislang größte Demonstration gegen die NPD in der Bundesrepublik. Als die Demonstranten dann zum S-Bahnhof Köpenick zogen, warf ihnen ein Ehepaar um die Fünfzig von ihrem Fenster aus Scherben und Obst hinterher. Der Mann reckte den gestreckten rechten Arm in die Höhe. Die Polizei griff erst nach Aufforderung ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen