Im Amtsgericht: Afro-Skin Power?
■ Hamburger Bauwagen-Punk wegen Nazi-Gruß am Sielwall verurteilt
„Verfassungswidrige Kennzeichen“ soll er verwendet haben: Ein Hitlergruß gegenüber einem Polizisten und Sieg-Heil-Rufe werden Jean-Claude Z. vorgeworfen. Allgemeines Stirnrunzeln, als der Angeklagte den Saal betritt: Mit seiner dunklen Haut und in einer speckigen Weste entspricht er nicht gerade dem Klischee eines Rechtsradikalen. Über die Vorwürfe ist er empört: „Wieso sollte ich sowas sagen? Da würde ich ja meinen afrikanischen Vater verleugnen. Wenn die an die Macht kommen, bin ich doch als erster dran.“
Aber die Polizisten bleiben im Zeugenstand dabei: Der 29-Jährige und sein Kumpel sollen sie am 7. März letzten Jahres am Sielwall mit „Heil Hitler“ und erhobenem Arm begrüßt haben. Als sie die beiden deswegen festnahmen, versuchten Leute aus den umliegenden Kneipen, die Gefangenen zu befreien. Einer von ihnen wurde so auf den Streifenwagen gedrückt, dass unter seinem Kopf die Heckscheibe brach. Die Stimmung kochte über. Da soll Jean-Claude Z., der in Handschellen auf der Rückbank saß, seine Chance gewittert haben: Mit dem Kopf voraus soll er versucht haben, durch die kaputte Scheibe zu fliehen. Dabei habe er zweimal laut „Sieg Heil“ gerufen. Auf dem Weg zur Wache soll er antisemitische Hasstiraden zum Besten gegeben haben.
„So ein Quatsch“, unterbricht der Angeklagte, „meine Oma musste wegen jüdischer Vorfahren selbst vor den Nazis fliehen.“ Den Polizisten erschienen seine Ausfälle trotz seiner Hautfarbe plausibel. Auf der Wache wollen sie nämlich rechtsradikale Tätowierungen auf dem Körper des Angeklagten gesehen haben: „White Skin Power“ erinnert sich einer, sei auf dem braunen Rücken zu lesen gewesen. Da springt der Angeklagte auf: „Lügner“, beschimpft er den Polizeizeugen, „nie würde ich so was auf meine Haut tätowieren lassen“. Dann zieht sich der arbeitslose Maurer aus. Unter dem schmuddeligen Unterhemd kommt mitten auf dem Rücken eine Uzi-Maschinenpistole zum Vorschein. „Weirder than a pitbull“ – „Verrückter als ein Pitbull“ ist darüber mit Mühe zu lesen. Auf der Brust heißt es gar „Natural born asshole“ – „ein typischer Punkerspruch“, sagt sein Anwalt.
„Ich bin Punk“, bestätigt der Sonderschul-Abbrecher, auf dessen Handrücken ein Anarchostern prangt. Der Mann, der in Heimen groß wurde und in linken Wohnprojekten mitgearbeitet hat, wohnt heute auf dem stadtbekannten Bauwagenplatz an der Gausstraße in Hamburg. „Keinen Tag würde er da geduldet, wenn er rechte Sprüche machen würde“, sagt sein Anwalt. In letzter Zeit sind Bewohner des Platzes mit Angriffen auf NPD-Stände in der nahen Altonaer Fußgängerzone aufgefallen. „Ich kann so was gar nicht gesagt haben“, sagt der Angeklagte – auch nicht im Vollsuff, den er sich beim Besuch einer Bremer Party angetrunken haben will. Das Gericht folgt der Polizei-Darstellung und verhängt eine Geldstrafe von 900 Mark über den Sozialhilfeempfänger.
Jan Kahlcke
Für die Berufung sucht Anwalt Manfred Getzmann noch Zeugen unter 040 / 43 25 40 33
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen