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Das Volk kann nicht rechnen

In einem richtungsweisenden Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht jetzt entschieden: Volksentscheide sind unzulässig, wenn sie gewichtige staatliche Einnahmen oder Ausgaben auslösen und damit den Haushalt wesentlich beeinflussen

von CHRISTIAN RATH

Volksinitiativen über haushaltsrelevante Fragen sind nicht zulässig. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem gestern bekannt gemachten Beschluss entschieden.

Konkret ging es nur um die Auslegung der schleswig-holsteinischen Landesverfassung. Die Entscheidung dürfte jedoch nach einer Einführung von Plebisziten auf Bundesebene auch große überregionale Bedeutung haben.

In Schleswig-Holstein hatte eine Bürgergruppe unter dem Namen „Schule in Freiheit“ eine von 37.000 Menschen unterzeichnete Volksinitiative gestartet. Ziel des Gesetzentwurfs war die finanzielle Gleichbehandlung von öffentlichen und privaten Schulen, die insbesondere den kostenlosen Zugang zu Privatschulen gesichert hätte.

Der Kieler Landtag hielt diesen Gesetzentwurf jedoch für unzulässig, weil er in die Budgethoheit des Parlaments eingreife. Er berief sich dabei auf die schleswig-holsteinische Landesverfassung, in der es heißt: „Initiativen über den Haushalt des Landes, über Dienst- und Versorgungsbezüge sowie über öffentliche Abgaben sind unzulässig.“ Nach Berechnung des Landtags hätte eine Annahme der Gesetzesinitiative Mehrkosten in Höhe von 50 Millionen Mark pro Jahr bewirkt.

Nach Auffassung der Bürgergruppe verbietet die Landesverfassung allerdings nur direkte Eingriffe in den Landeshaushalt, nicht aber Initiativen mit mittelbaren finanziellen Folgen. Gesetze ohne jede Auswirkung auf den Staatshaushalt seien schließlich kaum denkbar.

Da in Schleswig-Holstein kein eigenes Verfassungsgericht besteht, wurde der Streit jetzt in Karlsruhe entschieden. Dabei schloss sich der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts der restriktiven Linie des Kieler Landtags und anderer Landesverfassungsgerichte an. Gesetzesinitiativen aus der Bevölkerung sind demnach ausgeschlossen, wenn sie „gewichtige staatliche Einnahmen oder Ausgaben auslösen und damit den Haushalt wesentlich beeinflussen“. Haushaltswirksame Entscheidungen seien nämlich von so „komplexer Natur“, dass ein plebiszitäres Ja oder Nein weitgehend ausgeschlossen sei. Die in Schleswig-Holstein erst 1990 eingeführte Volksgesetzgebung laufe dennoch nicht „leer“, da zum Beispiel Initiativen und Plebiszite über polizeiliche Eingriffsbefugnisse oder kostenneutrale Fragen der Schulpolitik weiterhin möglich seien.

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