: Wie mach ich ne schnelle Klima-Mark?
von MATTHIAS URBACH
1. Die Entscheidung verzögern. Traditionell fallen die Entscheidungen auf den Kimagipfeln erst nach Konferenzende: Wenn die Uhr bereits angehalten ist und die Delegierten todmüde sind, lässt sich noch so manches Schlupfloch aufreißen. In Kioto etwa gelang es 1997 im letzten Moment noch Australien, Russland und der Ukraine, sich satte Zuschläge für ihre erlaubten Emissionen zu sichern.
2. Gerechtigkeitslücken finden. Verhandlungen mit rund 170 Staaten verlangen einen ausgeklügelten Konsens. Der Konsens braucht Ausgewogenheit. So kann jeder Verhandlungsteilnehmer lustig draufsatteln und das dann als „Gerechtigkeitslücke“ deklarieren. So verlangten die USA etwa, sich auch den Bau von Atommeilern in der Dritten Welt auf ihrem Klimaschutzkonto gutschreiben zu dürfen. Nicht weil sie das wirklich für sinnvoll hielten – aber so hat man mehr Verhandlungsmasse. Ruhig auch offensichtlich idiotische Forderungen stellen. Das tarnt weniger auffällige Zumutungen. Und die anderen tun das schließlich auch.
3. Das Regelwerk kompliziert halten. Je mehr Regeln und Ausnahmeregeln, desto schwerer lässt sich das fertige Protokoll von Den Haag überprüfen. Und umso leichter daran verdienen. Die Blockiererfront hat bereits eine Reihe von „flexiblen Maßnahmen“ ins Gespräch gebracht. Leuchtendes Vorbild sind wie so oft die USA: Würden ihre Vorschläge Realität, könnten sie nach Berechnungen der US-Umweltverbände 84 Prozent ihrer Klimaverpflichtungen gutschreiben lassen für Maßnahmen, die dort ohnehin aus ganz anderen Gründen geplant oder sogar realisiert sind. Etwa Stilllegungen von Ackerfläche oder Waldschutz in den Naturparks. Auf dass die Straßenkreuzer weiter lustig Sprit schlucken.
4. Heiße Luft verkaufen. Die wichtigste „flexible Maßnahme“ ist der Emissionshandel (Artikel 17 des Kioto-Protokolls). Ein Land, das seine Reduktionspflichten übererfüllt, darf die entsprechende Menge an nicht ausgestoßenen Treibhausgasen gegen Bargeld an säumige Staaten übertragen. Die dürfen mit dieser Verschmutzungslizenz dann entsprechend mehr in die Luft blasen. Hauptanbieter werden zwei Staaten sein, die überhaupt nichts für ihre Umwelt tun: Russland und die Ukraine. Dort ist nach dem Zerfall der Sowjetunion die Schwerindustrie zusammengebrochen. Weil sich ihre Reduktionspflicht auf die Zeit davor (1990) bezieht, haben die beiden das Recht auf Mehr-Emission von rund 1.200 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Der Marktwert dieser „heißen Luft“ wird auf 10 bis 150 Euro pro Tonne geschätzt. So teuer ist es nämlich, das Abgas durch technische Maßnahmen einzusparen.
5. Export alter Technik als Klimaschutz tarnen. Der Export von Klimaschutztechniken in Entwicklungsländer ist über den Clean Development Mechanism (CDM) geregelt (Artikel 12). Danach dürfen sich die Industrieländer für diese Ausfuhr Emissionsrechte gutschreiben. Die schönste CDM-Idee hatte Indien. Es wollte sich von einem Industrieland Umgehungsautobahnen um seine Großstädte bauen lassen. Schließlich verringerten Umgehungsstraßen kurzfristig Staus und minderten so zunächst die Emissionen. Die sollte sich der ausländische Investor gutschreiben. Mit dem CDM ließen sich auch prima Atomkraftwerke finanzieren. AKW sind die mit Abstand teuerste Methode, etwas fürs Klima zu tun, sie sind überhaupt sehr teuer. Freimütig bekannten Pakistan, Indien, China und Vietnam auf dem letzten Treffen der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), keine oder nur wenig neue Meiler bauen zu können, falls der CDM keine Atommeiler einschließe. Japan und Kanada, beides Länder mit steuerzahlender Atomindustrie, würden China und Vietnam gerne entgegenkommen.
6. Anpassungshilfen fordern. Viele Entwicklungsländer sind dem Klimawandel hilflos ausgeliefert. Vor allem die kleinen pazifischen Inselstaaten brauchen Unterstützung, wenn der Treibhauseffekt mehr Fluten bringt. Deshalb sieht das Protokoll Anpassungshilfen vor. Dies rief reiche Ölstaaten auf den Plan: Schließlich müsse man sich auch auf sinkenden Ölkonsum einstellen, klagt Saudi Arabien und fordert Kompensation.
7. Vom Thema ablenken. Warum immer nur über Emissionen reden? Es gibt neben Fabriken, Autos und Heizungen, die Kohlendioxid ausstoßen, doch auch Bäume und Sträucher, die das Treibhausgas binden – im Unterhändlerjargon „Senken“ genannt. Die Senken nach Artikel 3.3 sind an sich schon ein schönes Schlupfloch, das die Staaten belohnt, die es zufällig noch nicht geschafft haben, ihren Wald wegzuholzen. Es lässt sich aber noch mehr herausholen. In Tasmanien läuft bereits ein Projekt der Tokyo Electric Power Company (Tepco). Die roden dort 3.000 Hektar Urwald und pflanzen stattdessen schnellwachsende Eukalyptushölzer in Monokulturen. Nach japanischer Lesart ist so eine Monokultur besser als Urwald: Denn das schnellwachsende Holz würde regelmäßig gerodet und daraus entstünden neben Papier auch „dauerhafte Speicher“ für Kohlendioxid wie Möbel und Häuser. Ergo will Tepco zum Ausgleich Emissionsrechte gutgeschrieben kriegen und aus seinen Kraftwerken noch mehr Kohlendioxid herausblasen.
8. Bloß keine Strafen erlauben. Alle derzeit in die Verhandlung geworfenen Schlupflöcher geben den Industrieländern der OECD bei üppiger Auslegung das Recht, ihre Emissionen gegenüber 1990 sogar noch um gut 40 Prozent zu steigern, anstatt sie, wie versprochen, um 6,9 Prozent zu senken. Das errechnete Greenpeace. Wenn es doch nicht so gut läuft, gibt es immer noch ein letztes Mittel: Die Sanktionen müssen lasch sein. Die nörgelige EU fordert als Strafen Ausschluss vom Emissionshandel und Strafzahlungen in einen Klimafonds. Die USA sind da kulanter: Wer sein Ziel bis 2010 nicht erreicht, schlagen sie vor, darf anschreiben lassen. Er muss dann halt in der nächsten Reduktionsperiode bis 2020 etwas mehr tun. Falls nicht, kann man ja wieder anschreiben lassen. Den Russen ist das zu kompliziert. Falls sie doch ein bisschen mehr heiße Luft verscherbeln, als sie wirklich übrig hatten, schwebt ihnen als Sanktion eine Zwangsberatung durch Klimaexperten vor. Unverbindlich, versteht sich.
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