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Schlagen und Schweigen

Prügelnde Männer fallen nicht vom Himmel. Ihre Gewalt wurzelt in einem Männlichkeitsbild von Dominanz und Kontrolle: Nicht reden, zurückschlagen

von HEIDE OESTREICH

„Nein, wir haben die Kriminalstatistik nach so vielen Kriterien aufgeschlüsselt, häusliche Gewalt ist nicht dabei. Man kann ja nicht alles machen“, sagt die freundliche Dame aus der Pressestelle des Bundeskriminalamtes.

Alles kann man nicht machen, stimmt. Obwohl Frauenverbände, die Frauenministerin und auch die EU schon lange fordern, dass solche Zahlen erhoben werden. Das Kriminologische Institut Niedersachsen befragte 1998 Jugendliche in neun Städten, ob sie im Verlauf des Jahres gewalttätige Handlungen zwischen ihren Eltern beobachtet hätten: 13 Prozent antworteten mit ja. Nur in Kanada hat man eine umfassende Befragung durchgeführt: 29 Prozent der Frauen gaben an, mindestens einmal im Verlauf ihrer Partnerschaft physische oder sexuelle Gewalt durch ihre Partner erlebt zu haben. Medizinisch betrachtet wäre das eine Epidemie. Gerade ist erstmals ein Frauenministerium in Deutschland darauf gekommen, eine ähnliche Studie in Auftrag zu geben.

Gewalt von Männern gegenüber Frauen ist anscheinend nicht besonders interessant. Hooligans, Rechtsradikale, die sind ein Problem. Das ist Gewalt in der Öffentlichkeit. Männer, die Frauen schlagen? Zu Hause? Schicksal. Und das, obwohl die regierungsamtlich eingesetzte „Gewaltkommission“ 1990 feststellte, dass Gewalt in der Familie die häufigste Form der Gewalt überhaupt ist. Wie kommt das?

„Familienstreit“ stand lange Zeit auf den Einsatzprotokollen der Polizei, wenn mal wieder Nachbarn anriefen, weil Geschrei und Gepolter aus der Nebenwohnung tönte. Und dann wurde es merkwürdig still. In der Wohnung, in den Polizeidienststellen, in der Gesellschaft. Warum schlagen Männer Frauen? Und warum schweigt man davon?

Im Gegensatz zu den beginnenden Bemühungen der Politik, die Privatgewalt der Männer öffentlich zu machen und dem Argument „Frauen schlagen doch auch“ mit Zahlen zu begegnen, machen sich Psychologen schon lange Gedanken über das Schlagen der Männer. Uwe Heilmann-Geideck und Hans Schmidt von der Männerberatung „Jedermann“ in Heidelberg etwa haben ihre schlagende Klientel befragt. Ihrer Ansicht nach gibt es eine merkwürdige Parallele von öffentlichem und privatem Schweigen. Wenn es um die Beziehung geht, reden die Frauen und die Männer schweigen, ist die Erfahrung der Psychologen. Was wollen die Frauen eigentlich die ganze Zeit? „Ich hab ihr halt die Kehle zugedrückt. Die mit ihrem ewigen Gequatsche“, sagt einer.

Notwehr sei das gewesen, sagen die Männer oft, die Frau habe provoziert: „Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, wenn Männer gewalttätig werden, sind Frauen am Ende selbst daran schuld, denn bewusst oder unbewusst führen sie es herbei“ erklärte einer. Psychische Gewalt würden die Frauen ausüben, sagen sie. Einer regt sich auf, weil sie die Wohnung nicht aufgeräumt hat und stattdessen mit ihrer Freundin telefoniert, ein anderer, weil sie abends allein ausgehen will. „Für mich ist wichtig, dass sie nicht das tut, was einfach vernünftig ist, was ich von ihr will“, erklärt ein Klient. Hören, was die andere will, sich gekränkt fühlen und das sagen, kurz: kommunizieren, das fällt den Schlägern schwer. Mit einem Regime der Angst aber kann man die Frau in Schach halten: „Willst du eine treue Frau, schlage ihr die Augen blau“ stand mal in einem bayerischen Bierzelt an der Wand.

Schläger schweigen auch über das Schlagen: Es ist einfach so passiert. Das kennt man doch, dass man mal ausrastet, dass einem die Hand ausrutscht. Was sie da wirklich gefühlt haben, darüber herrscht lange Schweigen.

Warum? Gedemütigt werden – zurückschlagen. Ist das nicht normal?

Ja, ist es. Das lernen Jungen schon in der Schule. Schwäche zeigen ist nicht. Nicht drüber reden, sondern zurückschlagen, sonst bist du unten durch. Männerpsychologen haben untersucht, wie Männer mit Verunsicherungen umgehen: Sie ziehen sich zurück, verstummen. Sie externalisieren („Die anderen sind schuld“). Sie benutzen etwas, was ihr Selbstwertgefühl steigert: einen Gewaltfilm, einen Porno, eine Hure. Und sie haben ein großes Bedürfnis nach Kontrolle – im Extremfall eben Gewalt.

Die Gewalttäter, so folgern viele Männerforscher, sind Symptom einer Männlichkeit, die sich über Dominanz und Kontrolle definiert. Obwohl angeblich allerorten die neuen Männer sprießen, die alten Anforderungen gibt es nach wie vor. Der aggressive Alphamann ist nicht ausgestorben, er wird nur selten so klar propagiert, wie es der Hamburger Managementtrainer Jens Weidner dem Schweizer Onlinemagazin F@cts sagte: „Aggression ist Chance“. „Dirty tricks“ sind unvermeidbar: „Wutausbrüche beispielsweise oder verbale Frontalangriffe auf Mitabeiter.“ Nichts anderes setzen deutsche Politiker ein, über die es später in Presseberichten ehrfürchtig heißt: „Der Kanzler erteilte einen Rüffel“ oder „sprach ein Machtwort“.

Weidner, ursprünglich Erziehungswissenschaftler und Kriminologe, hat in seinem Vorleben straffällige Jugendliche therapiert. „Gewalttäter und Topmanager haben ein ziemlich ähnliches Persönlichkeitsprofil“ erklärt er ungerührt, „der Unterschied ist: Die einen nutzen ihre Aggressionen destruktiv, die anderen kreativ“. Wie man’s nimmt.

Solche Erfolgsstrategien geben den Standard vor, an dem Männer sich messen. „Das maskuline Dilemma“, schreibt der Männerforscher Walter Hollstein, „entsteht dadurch, dass nur wenige Männer die obersten Stufen dieser Erfolgsleiter erreichen. Die Folge ist andauernder Stress.“ Wenn wir Pech haben, lässt etwa ein Drittel von ihnen diesen Frust an Frauen aus. Aber darüber gibt es dann ja bald eine Statistik.

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