: „Ich spucke nicht auf meine Geschichte“
Ein linker Türke will seine Genossen nicht verraten. Deshalb sitzt er in Hamburg in Haft. Obwohl er Frau und Kinder hat, soll er nach Verbüßung der Strafe abgeschoben werden ■ Von Kai von Appen
„Ich habe aus politischer Überzeugung meinen Leuten geholfen“, sagt Ertugrul Yigit. Er macht keinen Hehl daraus, dass er nach seiner Flucht aus der Türkei auch in der Bundesrepublik gegen das türkische Regime aktiv war. Zurzeit verbüsst er deshalb eine Haftstrafe in Glasmoor. Nicht deswegen aber droht ihm jetzt die Ausweisung. Sondern weil er sich der „TE Bonn-Meckenheim“ nicht als Kronzeuge zur Verfügung stellt. Die „Terroristenfahnder“ des Bundesinnenministeriums sind eine Spezialeinheit, die sich auch um RAF-Aussteiger bemüht.
Nach dem Verbot der Organisation „Devrimci Sol“ (Revolutionäre Linke) floh Yigit 1983 aus der Türkei. Seitdem hält er sich überwiegend in der Elbmetropole auf, ist hier politisch aktiv und seit über 15 Jahren in der links-alternativen Szene unter dem Namen „Adil“ bekannt. 1988 heiratete er eine Hamburger Journalis-tin und hat mit ihr zwei Kinder.
Asyl hatte Yigit allerdings 1985 in Frankreich beantragt, nachdem sein Genosse Kemal Altun während seines Prozesses aus Furcht vor einer Abschiebung aus einem Fenster des Berliner Kammergerichts in den Tod gesprungen war: „Ich hatte Angst, dass auch mir die Abschiebung in die Türkei droht.“
In Hamburg baute Yigit danach den Verein „Dev Genc“ (Revolutionäre Jugend) auf – ein Ableger der verbotenen Dev Sol – und organisierte Kampagnen für politische Gefangene in der Türkei oder Spendensammlungen für den türkisch-kurdischen Widerstand. Als freier Journalist verfasste er Artikel für deutsche Zeitungen oder türkische Oppositionsblätter, er trat auf Demos oft als Redner auf oder nahm an demonstrativen Go-Ins bei türkischen Banken oder Reisebüros teil.
Seine politischen Aktivitäten riefen nicht nur den türkischen Geheimdienst, sondern auch den bundesdeutschen Staats- und Verfassungsschutz auf den Plan. Jahrelang wurde sein Telefon abgehört und fast jeder seiner Schritt observiert, Treffen und Meetings wurden mit Wanzen und Richtmikrophonen belauscht.
1993 spaltete ein Machtkampf in der Dev Sol-Führung zwischen Dursun Karatas und Bedri Yagan die Anhängerschaft. Fortan bekämpften sich der „Karatas-Flügel“ und der „Yagan-Flügel“, die beide den Anspruch erhoben, die „wahren“ politischen Erben der Dev Sol zu sein. Die Kampf wurde bis vor zwei Jahren zum Teil gewaltsam ausgetragen. „Ich konnte es nicht begreifen, dass langjährige Genossen plötzlich aufeinander schießen“, sagt Yigit. Zwei Mal schossen Karatas-Leute auf ihn, weil er für sie zu den „Putschisten“ zählte. „Ich schämte mich deswegen und versuchte, es vor deutschen Genossen zu verheimlichen.“
Die Feindseligkeiten führten dazu, dass konspirative Wohnungen zum Untertauchen angemietet und Waffen zur Verteidigung angeschafft wurden. Yigit war für den Unterhalt einer Wohnung in der Langenfelder Straße verantwortlich. „Ich war mir sicher, dass da nichts passiert“, sagt er. Im Mai 1996 wurde das Versteck von der Polizei ausgehoben. Sie fand eine Maschinenpistole, weitere Waffen und Munition, Plastiksprengstoff und Fälscherutensilien. Sie waren für die Türkei bestimmt, sagt Yigit, „ich wusste davon, hatte aber damit nichts zu tun“. Er wurde auch nicht verhaftet, obwohl er wegen der Mietzahlungen mit der Wohnung in Verbindung zu bringen war.
Erst ein Jahr später geriet „Adil“ ins Visier des Bundeskriminalamtes, als der Kronzeuge Tashin „Erdal“ Ayvalioglu ihn als „Rückgrad der Organisation“ bezeichnete. „Adil“ sollte trotz permanenter Observation „Spezialist für Waffenbeschaffung und Passfälschung“ gewesen sein. Aufgrund dieser Angaben – wofür der Kronzeuge 50.000 Mark kassierte und die Zusage für eine neue Identität für die gesamte Familie in Spanien bekam – wurden zehn Personen verhaftet und Yigit zur Fahndung ausgeschrieben. Zwar widerrief „Erdal“ seine Angaben, so dass die meisten Inhaftierten wieder auf freien Fuß gesetzt werden muss-ten. Die Suche nach „Adil“ aber wurde fortgesetzt.
In Hintergrundgesprächen mit der taz hamburg im Herbst 1998 kündigte Yigit an, sich den bundesdeutschen Behörden stellen zu wollen: Die BAW machte aber in informellen Gesprächen mit Yigits Anwalt eine umfangreiche Aussage zur Vorbedingung für einen möglichen Deal. Yigit lehnte ab: „Verrat kommt nicht in Frage.“
Im September 1998 wurde er verhaftet. Tage später standen die TE-Fahnder aus Meckenheim bei ihm in der Zelle. Sie wollten eine umfangreiche Aussage, anderenfalls drohten sie ihm mit einer Verurteilung zu mindestens sechs Jahren Knast. Er lehnte erneut ab: „Ich spucke nicht auf meine Geschichte.“
Da der vermeintliche Kronzeuge aufgrund seines Widerrufs für die Staatsschutzorgane unbrauchbar geworden war, wurde der Vorwurf der „Mitgliedschaft in einer terroris-tischen Vereinigung“ gegen Yigit fallen gelassen und auf „Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz“ reduziert: Der Prozess fand daher nicht vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht, sondern nur vor dem Amtsgericht statt. Im Januar 1999 wurde Yigit zu zwei Jahren und acht Monate Haft verurteilt.
Anfang dieses Jahres – Yigit befand sich im Freigang und absolvierte einen Computerkurs – versuchten die TE-Fahnder abermals mit dem linken Türken ins Geschäft zu kommen. Falls er noch immer nicht gegen seine Genossen auspa-cken würde, könnte noch ein Verfahren wegen Passfälschung angestrengt werden, das zuvor wegen des vermeintlichen Waffenschmuggels fallen gelassen worden war. Dann würden ihm erneut drei Jahre Haft drohen. Zur Untermauerung der Ernsthaftigkeit wurde der Freigang gestrichen, Adil landete wieder im geschlossenen Vollzug.
Doch auch diesmal ließ er sich nicht zum „Verrat“ nötigen – zumal er die Passfälschungen nicht bestritt: „Ich wollte damit Leute vor Verfolgung in der Türkei schützen.“ Nach seinem Geständnis verurteilte ihn das Landgericht im Juni dieses Jahres zu einem weiteren Jahr Gefängnis, zusammengefasst mit der Restschuld zu drei Jahren und acht Monaten. Da die strafrechtlichen Druckmittel, Yigit zur Aussage zu bewegen, mittlerweile erschöpft sind, trat nun die Ausländerbehörde auf den Plan. Nach der ersten Verurteilung hatte sie „Adil“ eine mögliche Ausweisung nach der Haft nur vage angedroht. Nun verfügte sie seine Ausweisung zum Jahresende nach Frankreich – wegen seines Asylstatus ist eine Abschiebung in die Türkei nicht möglich.
Entgegen der Auffassung seines Anwaltes Hartmut Jacobi, dass aufgrund des Geständnisses und der veränderten Verhältnisse keine „Wiederholungsgefahr“ bestehe, sieht die Ausländerbehörde – obwohl ja keine neue Straftaten verübt worden ist – das anders: „Angesichts der Art und Schwere der Taten und seiner ebenfalls politisch motivierten Vorstrafen muss von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden, zumal er früher als freier Journalist tätig war und andere friedlichere Möglichkeiten gehabt hätte, seine politische Tätigkeit wahrzunehmen.“
Genau dies tut Yigit seit Monaten. „Ich schreibe für viele türkische Zeitungen, auch über die deutsche Abschiebepraxis.“ Und nun sei er selbst davon betroffen: „Hamburg ist für mich eine zweite Heimat geworden, ich hab' die Hälfte meines Lebens hier verbracht, und meine Kinder leben hier“, sagt „Adil“: „Ich will diese Stadt nicht verlassen.“
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