: Ein Kronzeuge atmet auf
Das Verfahren gegen das frühere Mitglied der linksradikalen Revolutionären Zellen, Tarek Mousli, endet mit einer zweijährigen Bewährungsstrafe. Im Frühjahr wird er wieder aussagen. Diesmal gegen frühere Gesinnungsfreunde
aus Berlin PLUTONIA PLARRE
In früheren Zeiten wären bei einer vergleichbaren Urteilsverkündung Stinkbomben zertreten worden oder Farbeier geflogen. Doch der Teppichboden im Berliner Kammergericht blieb gestern ebenso unbefleckt wie der graue Anzug des Angeklagten. Nach viertägigem Prozess ist das frühere Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ), Tarek Mousli, gestern zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Das milde Urteil gegen den 41-jährigen Berliner Karatelehrer entspricht exakt dem Antrag der Bundesanwaltschaft. Es wurde gestern damit begründet, dass Mousli sich der Bundesanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung gestellt hat und umfassend über Strukturen und Tatgenossen bei den RZ ausgepackt hat. Bis zu Mouslis Aussagen war die so genannte Feierabend-Guerilla, der zwischen 1973 bis 1995 mindestens 186 Anschläge zugerechnet werden, für die Terrorismusverfolger ein nahezu unbeschriebenes Blatt.
Auch wenn die RZ schon längst keine Rolle mehr spielt – die letzten Anschläge wurden 1995 verzeichnet – für das, was Mousli getan hat, gibt es in der Berliner linken Politikszene nur ein Wort: „Verrat“. Dieses und andere Worte wurden dem Angeklagten aus dem voll besetzten Zuschauerraum während des Prozesses entgegenrufen. Tatsächlich hat der Karatelehrer der Ermittlungsbehörde ungeahnte Einblicke geliefert. Im Gegensatz zur RAF lebten die Mitglieder der RZ in der Legalität, gingen ganz normalen Berufen nach und waren in politischen Initiativen aktiv, aus deren Schutz heraus die Anschläge geplant und begangen wurden. Mousli war von 1985 bis 1995 Mitglied einer Berliner Zelle und nach Feststellung des Gerichts an den Knieschussattentaten auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg (1986) und den Vorsitzenden Richter des Asylsenats beim Bundesverwaltungsgerichts, Günter Korbmacher (1987) sowie an einem Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber beteiligt. Anfangs etwas verkrampft, dann aber zusehends locker, nannte Mousli im Verfahren Namen und nochmals Namen von Kreuzberger Szeneangehörigen und Untergetauchten. Für die RAF habe man in der RZ nur das Schimpfwort KSV (Kommunistischer Studentenverband) übrig gehabt.
Zu den übergeordneten RZ-Treffen im Bundesgebiet habe man sich durch Geburtstagsgrußanzeigen in der taz verabredet. Nach dem Tod des früheren RZ-Mitstreiters Gerd Albartus, der 1987 von einem palästinensischen Revolutionskommando im Libanon erschossen worden ist, will sich Mousli zum Aussteigen entschlossen haben. Er habe gemerkt, dass die RZ-Aktionen bei den Leuten nicht so angekommen seien wie angenommen. Außerdem mache diese Art von Politik „kalt und hart“. Von 1990 bis 1995 habe er der RZ aber noch als so genannter Schläfer für Reservefälle zur Verfügung gestanden und Sprengstoff in seinem Keller deponiert. Letzteres ist ihm 1999 schließlich auf Umwegen zum Verhängnis geworden.
Seitdem Mousli im vergangenen Jahr seine Kenntnisse auf den Tisch gelegt hat, steht er im Zeugenschutzprogramm. Im kommenden Frühjahr steht Mousli wieder im Gerichtssaal: in einem Prozess als Zeuge gegen vier seiner mutmaßlichen Tatgenossen, die er durch seine Aussagen belastet hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen