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Erzfeinde im Coltan-Rausch

aus Goma DOMINIC JOHNSON

Tief in den Wäldern des bürgerkriegszerrissenen Kongo, Eldorado für Glücks- und Raubritter aus aller Welt, beginnt die Kette eines Milliardengeschäfts, das dem „New Economy“-Boom der Gegenwart zugrunde liegt und zugleich den größten Krieg Afrikas am Laufen hält. Vor ein paar Jahren kannten es nur ein paar Insider, heute ist es der Renner in Kongos Bergbau: Colombo-Tantalit, kurz „Coltan“, eine Mischung seltener Erze, deren Produkte von höchster ökonomischer und strategischer Bedeutung sind (siehe oberer Kasten).

Noch zu Beginn der Kongo-kriege 1996, als der Altguerillero Laurent Kabila innerhalb von sieben Monaten den damaligen zairischen Diktator Mobutu vom Thron kippte, stürzten sich die Mineralienhändler der Welt vor allem auf Kongos Gold und Diamanten. Heute verharrt der Goldpreis im Keller, das Diamantengeschäft wird international immer kritischer gesehen, und Kongos Minen sind mangels Infrastruktur und Sicherheit sowieso kein lohnendes Investitionsziel mehr. Anders ist es bei Coltan: Es ist am leichtesten als Neben- und Abfallprodukt der biederen kongolesischen Zinnförderung zu finden. Daher eignet es sich hervorragend für Kleinschürfer. Sie sind ohnehin die einzigen Bergleute im Kongo seit der industrielle Bergbau zusammengebrochen ist.

Die Coltan-Abbaugebiete im Ostkongo befinden sich im Regenwald, wo keine Straßen hinführen. Ein Großteil der Bevölkerung verlor in den Kriegen der letzten Jahre Heimat und Auskommen. Der Bergbau bietet für sie eine letzte Überlebenschance. Aber die Bedingungen sind hart: „Diese Ausbeutung zerstört eine ganze kongolesische Generation“, sagt Victor Ngezayo, früher Bergbaumagnat dieser Region. „Männer, Frauen und Kinder haben ihre gesamte Kultur, ihre Dörfer aufgegeben. Kleinkinder sind dabei, sie gehen nicht zur Schule, sie haben keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung. Die Leute sterben, sie leben unter dem Gesetz des Dschungels.“ Der belgische Wissenschaftler Erik Kennes fasst die Lage so zusammen: „Die Bevölkerung arbeitet, um die Armeen zu ernähren, die sie ausbeuten, bis hin zur physischen Erschöpfung.“ Was die Kleinschürfer finden, kaufen ihnen Zwischenhändler ab, die zum Teil Soldaten oder Milizionäre sind. Denn die ehemaligen Minen dieser Gegend sind umkämpft (siehe unterer Kasten).

Die Coltan-Ausbeutung ist ein Pokerspiel, das zwischen den Kriegsparteien auf einem Ruinenfeld ausgetragen wird. Das Ruinenfeld besteht aus den Resten der früher hier tätigen belgisch-kongolesischen Firma „Sominki“ (Minengesellschaft des Kivu). Sie wurde in den letzten fünf Jahren in den Ruin getrieben. 1995 verkaufte der damalige zairische Diktator Mobutu sie an einen kanadischen Konzern, der zwei mit Ruanda kooperierende lokale Konzessionäre namens Sakima und RMA einsetzte. 1998 annullierte Mobutus Nachfolger Kabila diesen Verkauf. Wenige Tage später verlor er die Kontrolle über den Osten des Kongo, als eine von Ruanda unterstützte Militärrevolte ausbrach, die später zur bis heute hier herrschenden RCD-Rebellion wurde. Die Mineralien des Kivu waren ein Hauptmotiv für den Ausbruch dieses zweiten Kongokrieges, in deninnerhalb weniger Wochen halb Afrika hineingezogen werden sollte.

Was die Minen angeht, ist dieser Krieg bis heute nicht entschieden. Kabila hatte nämlich wichtige Konzessionen einem lokalen König übergeben, dem „Mwami von Mwenga“, traditioneller Herrscher über ein sehr großes Gebiet im Ostkongo. Der schlug sich beim Ausbruch der Rebellion auf die Seite der Kabila-Feinde von der RCD und wurde daraufhin vom Kabila-treuen General Lwetcha zusammen mit Hunderttausenden seiner Untertanen in die Wälder gejagt. Lwetcha wollte Kabilas Kontrolle über das Bergbaugebiet erhalten. „Lwetcha sagte: Niemand hat das Recht, diese Region zu verlassen“, erzählt der Mwami, der vergangenes Jahr seine Rückkehr in die Zivilisation aushandelte. „Wir waren seine Geiseln.“ Tausende Vertriebene starben oder landeten in den Bergwerken.

Diese Kabila-treuen Kämpfer, darunter auch ruandische Hutu-Milizen, übernahmen die Kontrolle über die verwüsteten Minen und über mehrere Flugpisten der Bergwerke tief im RCD-Territorium. Die RCD und die Armee Ruandas ihrerseits beherrschen schon Coltan-Vorkommen tiefer im Landesinneren. Beide Seiten gaben sich aber mit ihren Vorkommen nicht zufrieden und kämpften weiter um die Bergbaugebiete. Zugleich beschlagnahmte die RCD in ihrem Gebiet sämtliche Lagerbestände von Sakima und RMA und erlaubte danach den ausgeplünderten Firmen gnädigerweise, ihre Aktivitäten wieder aufzunehmen. Das konnten diese natürlich angesichts des Krieges nicht.

Im August 2000 ging die RCD noch einen Schritt weiter. Sie enteignete Sakima und RMA und setzte ein „provisorisches Management“ ein, um deren „herrenlose Güter“ zu verwalten. „Sollen sie doch kommen und ihre Kaufverträge neu aushandeln!“, meint RCD-Bergbauminister Nestor Kiyimbi. Das Ergebnis: Heute sind die Eigentumsverhältnisse vollständig verworren. Der entmachtete RMA-Leiter Victor Ngezayo gründete aus Protest eine Partei, gab dies aber nach Morddrohungen wieder auf.

Die Chaotisierung des ostkongolesischen Bergbaus hat jede Menge Schmuggler auf den Plan gerufen. Sie kaufen das Coltan von allen Konfliktparteien. In der nordöstlichen Stadt Bafwasende hat sich sogar ein aus der RCD ausgetretener Warlord ein eigenes Hoheitsgebiet geschaffen, das er durch den Coltan-Export über Uganda am Leben hält.

Der Kongo kenne keine Kriegsfronten mehr, sondern nur Minenfronten, meint eine kirchliche Menschenrechtsorganisation. Diese Verquickung von Rohstoffexporten und Krieg hat die UNO alarmiert. Schon seit Jahren versucht sie, illegale Diamantenexporte aus Angola per Sanktionen zu beenden. Eine UN-Untersuchungskommission ist nun dabei, die Strukturen der Ausplünderung des Kongo zu durchleuchten. Dabei geht es auch um Coltan. Der Kommission liegt bereits eine Expertise über die Lage im Osten Kongos vor.

Der Bericht nennt als Hauptankäuferin für Coltan eine Frau, deren Name in der gesamten Region der Großen Seen einen besonderen Klang hat: Aziza Gulamali Kulsum. Sie besitzt eine Zigarettenfirma in der kongolesischen Stadt Bukavu an der Grenze zu Ruanda und war jahrelang Hauptgeldgeberin der Hutu-Rebellen in Burundi, die inzwischen auch ihre Basen im Kongo haben. Laut dem Bericht an die UNO hat Gulamali „ein gigantisches Schmuggelnetzwerk aufgebaut – Zigaretten, Gold, Elfenbein, Waffen und so weiter“. Erst als sich im Mai 1998 die burundischen Rebellen spalteten, distanzierte sie sich von ihnen. Aber bis heute sagt man ihr nach, sie habe einen großen Teil des Netzwerkes aus lokalen Milizen, die im Kongo gegen die RCD kämpfen, finanziell in der Hand. Indem sie beiden Seiten über ihr Einkaufskontor „Shelimed“ Coltan abkaufte, konnte sie das An- und Abschwellen des Krieges im Osten Kongos mitbestimmen.

Je höher in den letzten Monaten die Coltan-Preise stiegen, desto mehr ärgerten sich die kongolesischen RCD-Rebellen darüber, wie wenig sie daran verdienten. Das Coltan des RCD-Gebietes verließ den Kongo in Flugzeugen unter ruandischem Schutz und wurde aus Ruanda weiterexportiert. „Die Ankäufer deklarierten zusammen eine Ankaufsmenge von 40 Tonnen im Monat, aber wir wissen, dass sie bis zu 140 Tonnen im Monat ausführten“, schimpft RCD-Bergbauminister Nestor Kiyimbi. „Und viele deklarierten einen Ausfuhrpreis von acht Dollar pro Kilo. Dabei kriegt man für ein Kilo Coltan 30 bis 80 Dollar, je nach Qualität.“

So beginnt die RCD jetzt, den Bergbausektor an die Kandare zu nehmen. Im November gründete sie die Exportfirma „Somigl“ (Minengesellschaft der Großen Seen). Sie besitzt seit dem 25. November das Coltan-Exportmonopol. Alle Einkäufer und Zwischenhändler verlieren ihre Ausfuhrlizenzen und müssen stattdessen ihr Coltan der Somigl verkaufen. Diese bezahlt der RCD dann für jedes exportierte Kilogramm zehn Dollar.

Nach eigenen Angaben hält die RCD 75 Prozent der Anteile der Somigl. Partnerin ist, wie die RCD selber zugibt, die mächtige Gulamali. Sie ist Geschäftsführerin der Somigl. „Ihr Geschäftssinn kann uns nützlich sein“, meint Bergbauminister Kiyimbi und behauptet: „Seit wir da sind, schmuggelt sie keine Waffen mehr.“

Ganz offiziell arbeiten Kongos RCD-Rebellen nun also beim Rohstoffexport mit jener Frau zusammen, die die bewaffneten Gegner der RCD aufgebaut hat. Was das der RCD bringt, zeigt die Entwicklung der Coltan-Exporteinnahmen: In den ersten zwei Wochen ihrer Existenz exportierte die Somigl bereits 30 Tonnen Coltan, weitere 25 Tonnen liegen in Gulamalis Warenhäusern in Bukavu. „Das bringt uns schon 550.000 Dollar!“, freut sich der Bergbauminister. Vorher lagen die RCD-Steuereinnahmen aus dem Coltan-Export bei unter 20.000 Dollar im Monat.

In Ruanda wird vermutet, dass Gulamali ihre früheren Freunde verraten und mit sämtlichen Geheimnissen die Seiten gewechselt hat. Dann wäre die Gründung der Somigl tatsächlich ein Geniestreich Ruandas und der RCD, um ihre bewaffneten Gegner in eine geschäftliche Abhängigkeit zu bringen: Die müssen ihr Coltan jetzt über die neue Verbündete ihrer Feinde verkaufen. Aber die Abhängigkeit ist beidseitig. Denn für ihren Krieg brauchen Ruanda und RCD die Einnahmen aus dem Coltan, die teils aus Gebieten ihrer Gegner stammen.

Gulamali hat eine Schlüsselposition. Sie ist nicht nur Somigl-Geschäftsführerin, sondern besitzt weiterhin das größte Netz von Coltan-Ankaufsbüros. Sie verkauft das Coltan des Kongo praktisch an sich selbst und häuft immense Reichtümer an, deren politischen Einsatz die RCD und Ruanda nicht kontrollieren können.

Im Endeffekt läuft die neue Konstruktion auf einen Zustand hinaus, den ein Kongolese als „zu zynisch, um wahr zu sein“ bezeichnet: Ruandas Armee und Ruandas Hutu-Milizen sind im Kongo Kriegsgegner und Geschäftspartner zugleich. Täter und Opfer des ruandischen Völkermordes hätten dann einen äußerst bizarren Modus des Zusammenlebens gefunden.

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