: Rot-grüne Ausweichmanöver
Das Thema Urangeschosse wird in der Koalition als weitere Fallgrube für eine Regierung bewertet, die schon durch BSE auf Trab gehalten wird
aus Berlin SEVERIN WEILAND
Als das Führungsduo der Grünen, Renate Künast und Fritz Kuhn, gestern in Berlin vor die Fernsehkameras trat, hatte jeder mit Statements zu heiklen Themen aufzuwarten. Kuhn über BSE und die militante Vergangenheit des Außenministers Joschka Fischer, Künast über die Gefährdung von Soldaten und Zivilbevölkerung auf dem Balkan durch die von den USA in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo eingesetzte urangehärtete Munition. Auf die Frage eines Reporters, ob Verteidigungsminister Rudolf Scharping sich für eine weltweite Ächtung dieser Waffen einsetzen müsse, wartete Künast mit einer klaren Anwort auf: „Er muss – so einfach kann man es sagen.“
So einfach aber scheint die Anwort in der rot-grünen Regierung gar nicht zu sein. Wenige Stunden später gab Regierungssprecher Bela Anda die Frage ans Außenministerium weiter. Dessen Sprecher Rolf Michaelis wollte sich jedoch auch nicht festlegen. Es sei allgemein bekannt, dass Joschka Fischer „kein Freund dieser Munition“ sei. Michaelis verwies auf die für heute in Brüssel anberaumte Sitzung der ständigen Mitglieder im Nato-Rat. Die Botschafter würden zunächst mit der Uranmunition zusammenhängende Sachfragen klären, danach werde man „alle Fragen diskutieren müssen – dazu wird möglicherweise auch diese Frage gehören“.
Das Thema ist heikel, denn es berührt das transatlantische Verhältnis. Schließlich haben die USA als einziger Nato-Staat die urangehärtete Munition eingesetzt und bestehen weiterhin auf deren Nutzung. Rudolf Scharping hatte gestern Morgen im Deutschlandfunk auf die Frage, ob er sich für ein Verbot einsetzen werde, die USA nicht namentlich erwähnt. Es „wäre besser, kein Staat würde diese Munition einsetzen“, erklärte er laut Wortprotokoll dem Sender gegenüber. Scharping lehnte gestern eine Untersuchung aller 50.000 auf dem Balkan eingesetzen Soldaten erneut ab. Er verlasse sich auf den Rat der Fachleute, doch könne jeder Soldat auf eigenen Wunsch hin eine Untersuchung bei der Bundeswehr beantragen. Die Strahlung durch die Munition liege unter den natürlich vorhandenen Werten, das Risiko bestehe vielmehr bei dem durch den Aufprall der Munition freigesetzten Uranstaub. „Bisher“, so Scharping gestern, „haben wir keine Erkenntnisse darüber, dass es zu Risiken kommt, aber wir nehmen jeden Hinweis ernst.“
Über Scharpings Auftritte ist der sicherheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Günter Nolting, nicht besonders glücklich. Er wünsche sich, erklärte er der taz, „mehr Offenheit“. Ihn erinnere manche Äußerung dieser Tage an den Beginn der BSE-Krise: „Und plötzlich sah die Welt ganz anders aus.“ Er könne nur hoffen, dass es „keine Geheimniskrämerei“ gebe, dass alle bisher bekannten Fakten am 17. Januar von Scharping im Verteidigungsausschuss „auf den Tisch kommen“. Scharpings Rolle sieht auch die Union kritisch. Der stellvertretende Vorsitzende im Verteidigungsausschuss, Kossendey, wirft ihm vor, einen bereits für den Sommer 2000 versprochenen Zwischenbericht zur Uranmunition nicht vorgelegt zu haben. Dem jedoch widersprach der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Oberst Cholin, gestern. Seines Wissens nach sei dies erfolgt.
In der SPD-Fraktion stehen die Wehrpolitiker geschlossen zu Scharping. Deren sicherheitspolitischer Sprecher, Peter Zumkley, selbst Oberst a. D, attestiert dem Minister „bisher ein korrektes Verhalten“. An Spekulationen beteilige er sich nicht, im übrigen gelte es, das Nato-Treffen abzuwarten. Dass die Vorsitzende der Ethik-Kommission, Margot von Renesse (SPD), den Einsatz der Munition als „Kriegsverbrechen“ bezeichnet und sogar von einem möglichen Fall für den Internationalen Gerichtshof gesprochen hat, geht Zumkley „zu weit“. Auch ein von der Parteikollegin verlangter Untersuchungsausschuss im Bundestag sei „zum gegenwärtigen Zeitpunkt unangebracht“. Bedeckt hält man sich in dieser Frage auch bei den Grünen. Parteichefin Künast erachtet einen Untersuchungsausschuss nur dann für notwendig, wenn „ein Sachverhalt nicht aufzuklären ist. Doch dafür gibt es bislang keinen Anhaltspunkt.“
Das Thema wird in der Koalition als weitere Fallgrube für eine Regierung bewertet, die schon durch BSE auf Trab gehalten wird. Darauf deutet auch der Umstand hin, dass das Verteidigungsministerium noch im Verlaufe des gestrigen Tages einen Bericht für das Parlament und die Medien erstellen lassen wollte. Die Dokumentation solle nachweisen, dass sich das Ministerium „sehr früh“, nämlich schon im Juni 1999 nach Ende des Luftkrieges über dem Kosovo, mit dem Thema beschäftigt und sowohl das Parlament als auch einen Monat später die Bundeswehr auf die Gefahren hingewiesen habe, so der Sprecher des Verteidigungsministeriums Cholin.
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