: „Verbraucher haben ja Macht“
Edda Müller vom Bundesverband für Verbraucherschutz fordert konsequentenSchutz der Konsumenten und eine vom Ministerium unabhängige Kontrollbehörde
taz: Frau Müller, es heißt immer, das Vertrauen der Verbraucher in die Lebensmittel ist erschüttert. Können Sie das bestätigen?
Edda Müller: Das Problem ist, dass die Verbraucher nicht mehr kaufen, was man ihnen vorsetzt. Insofern ist die Krise jetzt hochstilisiert worden zu einer Absatzkrise. Worum es geht, ist Ursachenbekämpfung, und das heißt, wirklich gesunde Nahrungsmittel auf den Markt zu bringen.
Das heißt, es ist eigentlich keine Absatz-, sondern eine Produktionskrise.
Ja, dadurch, dass die Verbraucherinteressen nicht berücksichtig werden, entsteht eine Krise der Produktion, und die führt dann zu einer Krise in der Nachfrage, und das wiederum führt dazu, dass möglicherweise an der Produktion etwas geändert wird. Das ist das Gegenteil von einer vorsorgenden Verbraucherpolitik, die unser Ziel ist.
Ist das durch eine Bündelung der Kompetenzen zu ändern?
Die Ministerrücktritte sind natürlich nur der Abschluss eines beispiellosen Aktionismus. Man versucht, deutlich zu machen: Jetzt wird alles anders, jetzt kommen neue Leute, und damit wird das Problem gelöst. Das Problem ist aber in keinster Weise gelöst, weil das BSE-Problem kein Problem personellen Versagens ist, sondern eines des Versagens der Agrarpolitik in den letzten Jahrzehnten.
Waren denn die Ministerrücktritte gerechtfertigt?
Natürlich, weil in unserem politischen System Menschen Verantwortung übernehmen müssen. Ob persönlich, ist dabei nicht wichtig. Als Funktionsträger stehen sie für eine Politik und natürlich in der Kontinuität von Fehlern. Und BSE würde ich da als eine Zeitbombe definieren, die nun detoniert.
Wenn Sie sagen, Politikversagen seit Jahrzehnten in der Agrarwirtschaft – welche Kosequenzen hat das für Ihre Forderungen im politischen Raum?
Wir brauchen eine Gleichrangigkeit von Verbraucherinteressen und kurzfristigen Wirtschaftsinteressen. Die Gleichrangigkeit ist das Thema, das im Moment ansteht. Wir brauchen eine Regierungsorganisation, in der Verantwortlichkeiten geschaffen werden, die nicht Verantwortung für Klientelinteressen mit der Verantwortung für Verbraucherschutz verbinden. Wir brauchen ein für Verbraucherinteressen zuständiges Ressort, eine Ministerin mit wirksamen Einfluss- und Kontrollrechten.
Also Kompetenzen bündeln und dann in dem entsprechenden Ministerium aufwerten durch eine Abteilung?
Ja. Durch eine hohe Ansiedlung auf Abteilungsebene. Aber ich hoffe, dass auch die Bundesbeauftragte Frau von Wedel da eine Analyse macht. Ich warte darauf, dass sie ihr Versprechen wahr macht, die Verbrauchervertreter anzuhören. Bisher hat sie sich bei uns aber noch nicht gemeldet. Die Verantwortung für gesunde Nahrungsmittel darf aber nicht aus dem Landwirtschaftsministerium raus. Denn jeder Landwirtschaftsminister hat die verdammte Pflicht, für gesunde Nahrung zu sorgen. Aber die Kontrollinstanzen müssen unabhängig sein – die dürfen sich nicht selber kontrollieren.
Warum ist die Lobby im Bereich Ernährung so stark und die der Verbraucher so schwach?
Das ist wie bei den Umweltverbänden. Die Verbraucherschützer haben auch den Gemeinsinn im Blick. Aber gleichzeitig sind die Verbraucher selbst schwer mobilisierbar. Die Leute wachen erst auf, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Es ist keine organisierte ökonomische Macht dahinter wie bei den Wirtschaftsverbänden.
Aber es gibt doch die Macht der Konsumenten. Ich denke da an den Shell-Boykott.
Ja, Verbraucher haben ökonomische Macht. In der Vergangenheit hat das leider immer nur sehr kurz gewirkt. Ich denke, dass die jetzige Problematik im Fleischbereich etwas nachhaltiger wirken wird. Deswegen haben wir ja auch unseren neuen Bundesverband gegründet, damit Verbraucherinteressen deutlicher wahrgenommen werden. Wir haben drei Aspekte: die konkrete Verbraucherberatung vor Ort, eine intensive Mitwirkung der Verbraucherorganisationen in Gremien, wo sie aber meist hoffnungslos im Nachteil sind. Und wir müssen in Zukunft Allianzen mit anderen Partnern eingehen, zum Beispiel bei Umweltinteressen, um die entscheidenden politischen Funktionen wahrnehmen zu können.
Muss die Politik Ihres Verbandes radikaler werden?
Wir müssen politischer werden. Welches Instrument da taugt, wird man sehen. Ich schließe Boykottaufrufe nicht aus.
INTERVIEW: BERNHARD PÖTTER
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