piwik no script img

Kindsein unter Vorbehalt

GAL und SPD streiten über Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen: Soll UN-Konvention in Deutschland voll gelten?  ■ Von Elke Spanner

Erneut hat der Umgang mit Flüchtlingen in der rot-grünen Hamburger Regierung zum Koalitionsstreit geführt. Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) hatte sich gegenüber Bundesinnenminis-ter Otto Schily (SPD) für den Erhalt einer Einschränkung der UN-Kinderrechtskonvention ausgesprochen – ohne Rücksprache mit dem Senat. Durch den Wegfall der Einschränkung würde der Status von Flüchtlingskindern verbessert werden. Das genau will aber die GAL, die nun verlangt, das Hamburger Votum vom gesamten Senat abstimmen zu lassen.

Die UN-Kinderrechtskonvention legt das Recht des Kindes auf „Schutz und Fürsorge, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind“ fest, sowie das Recht auf Schulbildung und Gesundheitsversorgung. Die Regierung Kohl hatte sie 1992 ratifiziert – aber nur unter dem Vorbehalt, dass dadurch nicht nationales Recht ausgehebelt wird und die Bundesregierung weiterhin einschränkende ausländerrechtliche Bestimmungen erlassen kann. Das hat sie auch getan. Besonders einschneidend wirkt sich aus, dass Flüchtlingskinder in Deutschland bereits ab 16 Jahren als erwachsen gelten.

Die rot-grüne Bundesregierung erwägt nun, diesen Vorbehalt abzuschaffen. Auf einer Konferenz der Innenminister hatte Schily die Ressortkollegen aus den Ländern um deren Votum gebeten. Wrocklage hatte gegen die Abschaffung gestimmt. Nun will er darüber nur mit den Ressorts diskutieren, die davon direkt betroffen sind: Innen, Justiz, Jugend und Schule. Die GAL aber argumentiert, bei der UN-Konvention gehe es nicht allein um die Innen-, sondern auch um die Außenpolitik. Deshalb habe der grüne Regierungspartner in Hamburg ein Wörtchen mitzureden.

Wrocklages Sympathie für den Vorbehalt begründet sein Sprecher Christoph Holstein damit, dass eine Streichung bei Flüchtlingskindern Erwartungen wecken würde. Diese könnten nicht eingelöst werden. Zudem würde dieses „politische Signal“ zu „langwierigen und unergiebigen Auseinandersetzungen über illegal eingereiste Kinder“ führen.

Das besondere Interesse Hamburgs: In die Hansestadt kommen überdurchschnittlich viele allein reisende Jugendliche, und schon 1994 regte Hamburg auf der Innenministerkonferenz an, auch unter-16-Jährige übers Bundesgebiet zu verteilen – erfolglos. Nur die Über-16-Jährigen kann man wie Erwachsene weiterschicken. Fällt der Vorbehalt weg, hätten sie das Recht, hier zu blieben und in einem pädagogisch betreuten Wohnheim zu leben. Auch in anderen Bereichen würden sie deutschen Kindern gleichgestellt werden.

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) fordert schon seit 1992, den Vorbehalt abzuschaffen. Auch viele Hamburger Organisationen sprechen sich dafür aus. Ansonsten, so Kay Seligmann vom Verein „Woge“, „steht zum Beispiel bei illegal eingereisten Kindern nicht deren Schutz im Vordergrund, sondern die Umsetzung des Grundsatzes der Festung Europa“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen