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Ein Sieg für die freie Rede

Eva Menasse war die Starreporterin beim David-Irving-Prozess in London. Ihr Buch darüber lohnt, trotz einiger Schwächen, der Lektüre – meint der Prozessgutachter und Irving-Gegner Richard J. Evans

von RICHARD J. EVANS

Vermutlich sollte ich mir nichts daraus machen, wenn Eva Menasse mich als „kleinen, ganz und gar unauffälligen Mann“ beschreibt. Schließlich ist das bei weitem nicht so unhöflich wie die Adjektive, mit denen mich David Irving auf seiner Website bedenkt – dort führt er mich mit dem Logo eines Stinktiers ein. „Ekelhafter kleiner Waliser“ ist noch die harmloseste Bezeichnung. Was haben all diese Leute nur mit der Größe? Wenn ich nach Wales komme, rage ich unter den Einheimischen immer noch hervor. Ich bin Eva Menasse nie begegnet, aber ich stelle sie mir jetzt als eine Art Riesin vor, auch wenn mir auf den Pressebänken beim Prozess niemals ungewöhnlich große deutsche Frauen aufgefallen sind.

Eva Menasse war die Starreporterin im Irving-Prozess. Als im letzten Jahr der britische Schriftsteller gegen die amerikanische Wissenschaftlerin Deboarah Lipstadt Klage erhob, weil sie ihn als Holocaust-Leugner und Verfälscher der historischen Quellen bezeichnet hatte, war Menasse die gesamten drei Monate des Verfahrens im Gerichtssaal anwesend. Ihre Berichte für die Frankfurter Allgemeine waren damals die einzigen, die eine Lektüre lohnten, und sie bilden – mehr oder weniger unverändert – den Kern ihres Buches. Sie vermitteln auf glänzende Weise die Atmosphäre des Gerichtssaals und die seltsame Mischung aus Absurdität und Ernst, von der das Verfahren geprägt war.

Die britischen Reporter kamen nicht damit zurecht, dass das Verfahren in erster Linie von historischen Dokumenten in deutscher Sprache bestimmt war. Sobald ich den Zeugenstand betrat, verloren sie das Interesse. Irving, der sich ohne anwaltliche Hilfe selbst vertrat, versuchte nach Kräften, mein Gutachten zu diskreditieren, in dem ich mich damit auseinander gesetzt hatte, wie manipulativ er historische Dokumente in seinen Büchern und Reden verwendet. Hatte er zum Beispiel behauptet, Hitler habe am 30. November 1941 befohlen, „die Juden nicht zu vernichten“, fand ich heraus, dass er sich dabei auf einen Eintrag in Himmlers Telefonprotokoll bezogen hatte, bei der es lediglich um eine einzelne Zugladung mit Juden „aus Berlin“ ging; Himmler hatte – eine halbe Stunde vor einer Begegnung mit Hitler – Heydrich angerufen, um das Massaker an ihnen in Riga aufzuhalten. Die Behauptung, der Befehl sei vom „Führer“ gekommen, war also eine reine Erfindung Irvings.

Bei meinen Untersuchungen entdeckte ich in Irvings Werk zahlreiche derartige Verzerrungen. Am Ende des Verfahrens akzeptierte der Richter meinen Befund: David Irving hat all die Dokumente manipuliert und verfälscht, mit denen er seine bizarre Ansicht begründet, Hitler sei „der beste Freund gewesen, den die Juden im Dritten Reich hatten“, und in Auschwitz habe es keinerlei Gaskammern gegeben. Der Richter kam zu dem Ergebnis, dass Deborah Lipstadt im Recht sei.

Was hatte das alles zu bedeuten? Hier ist Menasses Buch nicht ganz so zufrieden stellend. Sie beschreibt Irving und Lipstadt in fast gleichwertigen Begriffen – der eine voll leidenschaftlicher Feindschaft gegenüber Israel und den Juden, die andere eine politisch engagierte „jüdische Aktivistin vom amerikanischen Schlag“. Tatsache bleibt jedoch, dass Lipstadt dieses Verfahren in erster Linie nicht als Teil eines politischen Kreuzzugs führte. Sie hatte keine andere Wahl. Hätte sie zugegeben, im Unrecht zu sein, hätte sie damit ihre wissenschaftliche Karriere zugrunde gerichtet und der Kritik an den anstößigen Fantasien der Holocaust-Leugner in Großbritannien ein Ende gemacht. Ihr Buch wäre aus dem Verkehr gezogen und eingestampft worden, und sie wie ihre Verleger hätten versprechen müssen, niemals wieder ähnliche Anschuldigungen zu erheben. Man hätte nicht mehr argumentieren können, dass die Leugnung des Holocaust sich auf die Verfälschung der Belege gründet. Somit endete das Verfahren nicht mit einem Sieg für jüdische Aktivisten, die die Kontrolle über die Diskussion des Holocaust bewahren wollen – es war vielmehr ein Sieg für die freie Rede und eine Rechtfertigung der Geschichtswissenschaft, ein Sieg für die offene und kritische Diskussion historischer Themen.

Eva Menasses Buch wird vermutlich als minuziöser Bericht über den Ablauf des Verfahrens nicht seinesgleichen finden. Es ist immer fesselnd und häufig hochunterhaltsam. Aber Menasse hat auch ein falsches Gleichgewicht zwischen den beiden Hauptfiguren hergestellt. Denn Deborah Lipstadts Buch, gegen das Irving klagte, ist, bei allem Engagement, ein sauberes wissenschaftliches Werk. David Irvings Werk dagegen ist, wie das Verfahren nachwies, ein Gewebe aus Fälschungen und Manipulationen, das mit der wahren Geschichtswissenschaft nicht das Geringste zu tun hat.

Eva Menasse: „Der Holocaust vor Gericht. Der Prozess um David Irving.“ Siedler Verlag, 2000, 192 S., 29,90 DM

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