: Der Kampf für Allah
„Das werdet ihr büßen“ – warum muslimische Funktionäre aggressive Pressearbeit betreiben
von EBERHARD SEIDEL
Die Berichterstattung über den Islam und das muslimische leben in Deutschland hat ihre eigene Regeln. Solange sie sich darauf beschränkt, die Toleranz des Islam an und für sich zu beschreiben oder über Themen der muslimischen Alltagspraxis zu berichten, gibt es keine Probleme.
Schlagartig erhöht sich der Druck auf Journalisten, wenn sie über die Aktivitäten von Organisationen des politischen Islam berichten. Mal sind es Telefonanrufe zu Hause, bei denen Funktionäre höflich, aber bestimmt auf die angeblich fehlerhafte und islamfeindliche Berichterstatung hinweisen. Mal sind es Versuche, mit hanebüchenen Vorwürfen Gegendarstellungen zu erwirken. Oder muslimische Funktionärinnen suchen die Redaktion persönlich auf, um eine „islamfreundliche“ Hofberichterstattung zu erzwingen.
Handfester sind die Reaktionen gegenüber muslimischen Journalisten. Da wird schnell der Zutritt zu öffentlichen Veranstaltungen verwehrt oder in hunderten von Telefonaten, SMS-Mitteilungen und E-Mails gedroht. Vereinzelt kommt es zu körperlichen Attacken.
Was im Augenblick auf der Forumsseite der taz an Protest einläuft, sind nur zum Teil die spontanen Reaktionen von Muslimen, die sich in ihrer Würde gekränkt fühlen. Vor allem die Drohungen sind Teil einer Kampagne, die unter anderem vom www.muslim-markt.de organisiert ist.
Der Muslim-Markt ist ein von Muslimen viel genutztes Forum, das in vielen Beiträgen inhaltlich der Hisbullah nahesteht. Der Muslim-Markt ruft seit Donnerstag zum Boykott der taz auf. Sie befindet sich damit in ungewohnter Gesellschaft. Die Springer-Presse soll wegen ihrer prozionistischen Berichterstattung boykottiert werden, Coca-Cola als Symbol des american way of life, McDonald’s als Symbol von Essen ohne Dankbarkeit. Selbstredend auf der Liste sind alle israelischen Produkte.
Die Aktivitäten von Muslim-Markt sind Teil eines Wechsels in der Politik islamistischer Gruppen. Seitdem sich die muslimischen Einwanderer entschlossen haben, auf Dauer in Europa zu leben, haben vor allem die Strenggläubigen ein Problem. Europa, darauf wies Gilles Kepel, Professor vom Institut für politische Studien in Paris, hin, werde von Muslimen heute anders als noch vor fünfzehn Jahren als Haus des Islam (Dar al-islam) betrachtet. Das heißt, die Muslime sind nun hier zu Hause und müssen nach den Regeln der Scharia leben können. Ziel sei es jetzt, so Keppel, Räume zu schaffen, in denen eine vom Islam bestimmte moralische Ordnung gelte.
Konflikte sind unausweichlich. Denn in Westeuropa wird Religion zunehmend als eine Sache des „inneren Menschen“ betrachtet, das öffentliche Leben ist säkular. Respektlose, satirische und auch despektierliche Äußerungen sind nicht unbedingt automatisch ein Straftatbestand.
Was dieser Paradigmenwechsel im Selbstverständis muslimischer Gruppen bedeutet, bekam zum Beispiel die Spiegel-Redaktion vor gut einem Jahr zu spüren. Als sie ihre Titelgeschichte zum Thema Moral im Heft 51/1999 mit Bildern verschiedener „Moralapostel“ illustierte, verwendete sie unter anderem ein Gemälde des Malers Theodor Hosemann aus dem Jahr 1847, das den Propheten Mohammed zeigt. Für strenggläubige Muslime war dies ein Skandal, da sie in jeder Abbildung des Propheten und seiner Gefährten eine Entwürdigung sehen. Der türkische Sender Show-TV forderte zum Protest auf und blendete die Telefonnummer eines Spiegel-Redakteurs ein. Er wurde über Monate beschimpft und sogar mit dem Tode bedroht.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Nadeem Elyas, meinte damals gegenüber dem Spiegel: „Die Aufregung rührt daher, dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft erwarten, dass die Nichtmuslime wissen, was die Gefühle der Muslime verletzt und dass sie diese respektieren.“ Abschließend warnte Elyas die Spiegel-Redaktion davor, noch einmal das Bild des Propheten Mohammed abzudrucken.
Von einem Boykottaufruf gegenüber der taz hält Elyas nicht viel, wenn gleich auch in seiner Gemeinde Unmut über die taz herrscht: „In einer Zivilgesellschaft sollten wir andere Formen der Auseinandersetzung wählen wie Protest, intellektuellen Streit und im Zweifelsfall rechtsstaatliche Mittel.“ Allerdings fordert Elyas, dass das Religiöse in der Gesellschaft wieder mehr an Bedeutung gewinnen müsse und sich die Presse in ihrer Berichterstattung über religiöse Themen engere Grenzen setze.
Profane Prinzipien
Die taz, der Islam und die Muslime – das ist seit Jahren ein besonderes Verhältnis, was sich in der facettenreichen Berichterstattung niederschlägt. Die taz verfolgt dabei eine klare Linie – die Forderung nach rechtlicher Gleichstellung der Muslime mit Religionsgemeinschaften wie den christlichen und der jüdischen. Das beruht weniger auf religiösen Motiven als vielmehr auf demokratischen Prinzipien.
Das Grundgesetz garantiert jedem Menschen das Recht auf Religionsfreiheit und die freie Ausübung derselben. Die kalte Theorie gilt es mit Leben zu erfüllen.
Zu dieser Haltung gehört, sich gegen Tendenzen zu stellen, die in der Errichtung von Minaretts den Untergang des (christlichen) Abendlandes sehen; die in der Errichtung islamischer Grundschulen nur Wirkungsstätten von finsteren Fundamentalisten sehen wollen. Und selbstverständlich berichtet die taz von rassistisch motivierten Anschlägen auf Moscheen mit der gleichen Aufmerksamkeit wie andere Tageszeitungen nur von Anschlägen auf Synagogen.
Eine ernsthaften Auseinandersetzung mit dem muslimischen Leben in Deutschland schließt allerdings auch die kritische Analyse der Politik muslimischer Verbände und deren Wirken im Namen Allahs ein. Alles andere wäre wohlmeinender Paternalismus. Bis in die frühen Neunzigerjahre hat sich die taz deshalb vor allem der nationalistischen und der faschistischen Propaganda gewidmet, die in einigen Moscheen an Kindern weitergegeben wurde. In jüngster Zeit war das Täuschungsmanöver von Milli Görüs im Fokus. taz-Leser werden in ihrer Zeitung auch künftig mehr zum Thema finden als anderswo.
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