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Die letzte Linke

von KATHARINA KOUFEN

Es muss frustrierend sein, wenn man so viel Herz in eine Sache steckt, so viel Inbrunst in seine Stimme legt – und dann haut das, was man sagt, keinen vom Stuhl. Als die Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul am Dienstagabend in den Räumen ihres Ministeriums in der Berliner Stresemannstraße vor die Journalisten tritt, um das Programm zur Armutsbekämpfung vorzustellen, ist sie stolz: „Wir sind die erste Regierung“, die einen solchen Plan aufstelle. Sie legt nach: „Dass wir in Armutsbekämpfung eine überwältigende Aufgabe sehen, die wir in alle anderen Aufgaben einbetten wollen.“

„Da steht doch nur Blabla drin“, sagt ein Journalist. „Seit 40 Jahren hat sich in Ihrem Ministerium nichts geändert.“ Und die Ministerin antwortet, nein, bittet ihn: „Sehen Sie doch mal: Früher war das so, dass das Entwicklungsministerium immer hinter dem Wirtschafts- und dem Agrarministerium zurückstecken musste. Aber unser Plan bedeutet, das sich ab jetzt alle Ressorts mit der Frage der Armut auseinander setzten müssen.“

Es hat sich etwas geändert: An der Spitze des Ministeriums steht zum ersten Mal eine Frau und eine SPD-Linke, engagiert und emanzipiert noch dazu. „Die Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln ist doch eine Voraussetzung, dass Frauen ihr Recht auf Sexualität ausüben können“ – solche Sätze hätte ihr CSU-Vorgänger Carl Spranger nie gesagt. Spontan reden, auch ungefragt die Stimmer erheben – das ist neu im Ministerium. Wieczorek-Zeul spricht oft ohne Manuskript und am liebsten in der Landessprache: Englisch vor der UNO in New York, Französisch bei der Eröffnung des Kamerun-Tages auf der Expo, Spanisch bei ihrem Kubabesuch Ende Mai letzten Jahres. Nicht dass sie eine dieser Sprachen fließend spricht – aber die Kameruner und die Kubaner finden sie gleich viel sympathischer. Und das weiß Heidemarie Wieczorek-Zeul. Abweichungen vom Protokoll, mangelnde Sachkenntnis oder Kritik am Gastgeber werden so eher mal verziehen: Etwa wenn die Politikerin in Havanna in simplem Spanisch kubanische Umweltschützer belehrt: „Wissen Sie, bei uns ist Partizipation wichtig.“ Und dann nach ihrer eigenen Rede „un aplauso por favor“ ruft, was auf Deutsch peinlich wirkt – auf Spanisch aber geradezu kokett.

Beliebt im Ausland

War sie zu dreist? Hat sie tatsächlich gerade Kubas autoritären Staat kritisiert? Wie um den Verdacht zu entkräften, lacht sie ein mädchenhaftes Lachen: Ziemlich laut, oft von Herzen und noch öfter berechnend – sie erreicht, was sie will: Die eben noch pikierten Gastgeber lachen mit.

Manche Männer finden „die Heidi“ richtig Klasse. „Endlich mal eine Politikerin, die gut aussieht“, flirtet ein Fan per E-Mail nach Berlin, wo die „rote Heidi“ immer mal wieder Internetchats veranstaltet. Immerhin, mit 58 Jahren. Die Klamotten gern knallig: aquablau, lila, apfelgrün oder türkis. Die Haare rot. So rot, dass viele ihren Spitznamen „rote Heidi“ auf die Fönfrisur zurückführen. Was falsch ist: „Rote Heidi“ heißt sie, seit sie Anfang der 70er-Jahre Juso-Chefin von Südhessen war – einer roten Hochburg. Auch bei Weltbankchef James Wolffensohn hat die Deutsche einen Stein im Brett – „unsere Beziehung ist hervorragend“, sagte er erst kürzlich bei einem Besuch in Berlin.

Überhaupt kommt sie im Ausland besser an als ihre Vorgänger: In der Weltbank vertritt sie als Gouverneurin ihre eigene Meinung, notfalls auch gegen die Stimme der USA. Aus der Utstein-Gruppe, einem Bündnis von vier europäischen Entwicklungsministerinnen, holt sie sich Verstärkung. Die Frauen treffen sich vor internationalen Tagungen und Stimmen ihre Position ab. Oder sie reisen zu viert nach Tansania, um ihre knappen Finanzmittel dort gemeinsam für ein besseres Gesundheitssystem auszugeben.

Zu Hause hat sie es schwerer mit den Genossen. Zum Beispiel mit dem Bundeskanzler: SPD-Linke und weiblich – das sind nicht gerade Gerhard Schröders Lieblingseigenschaften, wenn es um Politik geht. Der Kanzler berief sie ins Kabinett, weil er die Frauenquote erhöhen wollte und wohl auch ein weiteres linkes Feigenblatt neben Oskar Lafontaine brauchte. „Oskar und ich verfolgen die gleichen Ziele“, hat Wieczorek-Zeul kurz nach dem Regierungswechsel der taz gesagt. Nämlich? „Den Kapitalismus zähmen.“ Mittlerweile hat sie einen ganz guten Draht zu Schröder. Immerhin hat sie dem Kanzler bis jetzt keinen Ärger gemacht, das ist schon etwas wert. Umgekehrt war das anders: Schröder und Verteidigungsminister Rudolf Scharping vermasselten ihr 1993 die Chance, als Kanzlerkandidatin für die SPD aufgestellt zu werden.

Den grünen Außenminister kennt die Ministerin aus alten Tagen. Damals schlurfte Joschka Fischer noch in Turnschuhen durch Frankfurt, und die rote Heidi rockte zur Musik der Doors ab. Ein Freund aus diesen Tagen erinnert sich: „Als die Grünen 1985 zum ersten Mal ins hessische Parlament gewählt worden sind, da hat die Heidi mich angerufen und gefragt: Was meinst du, kann man mit so jemandem wie den Grünen überhaupt regieren?“ Militant wie Fischer war sie aber nie: „Ich war nie Revolutionärin, sondern immer nur Reformerin.“ Auch damals schon, Ende der 60er-Jahre, als sie gerade ihr Englisch- und Geschichtsstudium abschloss und eigentlich Lehrerin werden wollte.

Immerhin, sie ist sich treu geblieben. Nicht nur beruflich, wenn sie Journalisten anschaut, als wollte sie sagen: Das haben Sie schön geschrieben, sie dürfen sich jetzt setzen. Auch ideologisch. Heute ist sie die Linke, die „wahre Grüne“, wie die Zeit sie einmal bezeichnet hat – sehr zum Ärger der Grünen übrigens. Sie stimmte im Bundessicherheitsrat gegen Rüstungsexporte – nicht Fischer. Sie war gegen den Kosovo-Einsatz – nicht Fischer. Sie reiste nach Kuba und traf sich mit Fidel Castro, während Fischer von seiner Freundschaft mit der amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright schwärmte und sich jetzt sogar mit Vietnamveteranen bestens zu verstehen scheint.

Geduldet im Inland

Überhaupt, „Bruder Josef“, wie sie ihn auf einer Pressekonferenz einmal sarkastisch nannte, ist der Ministerin ein Stachel im Fleisch. Denn ihr Ressort hat sich in der Berliner Machtbalance dem Auswärtigen Amt unterzuordnen. Frieden auf dem Balkan ist für Deutschland wichtiger als Frieden im Sudan – also fließen die Millionen nach Exjugoslawien. Solange das so ist, kann sich das Entwicklungsministerium noch so schöne Strategien zur Bekämpfung der Armut in Afrika ausdenken. Auch die genialsten Konzepte zur zur Halbierung der Zahl der Armen bis 2015 werden am Geld scheitern.

Und dann gibt es noch Hans Eichel. Der Finanzminister ist ein weiterer SPD-Pragmatiker, der Heidi im Weg steht. Er hat ihr Versprechen, „Entwicklungszusammenarbeit wieder mehr Gewicht zu geben“, Lügen gestraft – indem er ihr den Haushalt auf ein Niveau zusammenstrich, das unter dem der Kohl-Jahre liegt. Er lässt den Passus aus dem Aktionsplan zur Armutsbekämpfung tilgen, in dem steht, dass die Regierung „am 0,7-Prozent-Ziel“ festhalte und daher schrittweise den Entwicklungshaushalt erhöhe. Jenem Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungshilfe auszugeben, das auch die rot-grüne Regierung einst erreichen wollte. Aber das war vor der Wahl.

Eichel lächelt schon mal nachsichtig, wenn Wieczorek-Zeul heute noch so über den Internationalen Währungsfonds spricht, wie Schröder und Genossen zu Juso-Zeiten, damals in den 70ern: Dass der Fonds „kaputt macht“, was die Entwicklungshelfer dann reparieren müssen. Die Ministerin hat sich auch schon durchgesetzt gegen das mächtigere Ressort: Beim Schuldenerlass für die Entwicklungsländer. Obwohl das Finanzministerium federführend ist.

Die Ministerin mag ihr linkes Image, auch in Zeiten, in denen alle nach der Mitte suchen. Wo sie hinreist, trifft sie sich mit nichtstaatlichen Verbänden, redet mit den Demonstranten, die in Washington gegen die IWF-Tagung protestieren, hat sich das alte Misstrauen gegen die Weltmacht USA bewahrt. Da passt ein ressortübergreifender Plan zur Armutsbekämpfung schon ins Konzept. Entwicklungshilfe muss Strukturpolitik sein, muss alle angehen – eine alte Forderung der Linken. Dass dabei etwas fehlt, weiß auch Wieczorek-Zeul. Nachdem sie den Plan zur Armutsbekämpfung vorgestellt hat, sagt sie: „Bitte erfinden Sie mir doch einen Goldesel.“

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