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Mit der Fußnote ins Wort

Glück ist eine Fertigsuppe: Michael Stauffers merkwürdig brillantes und tröstliches Buch „I promise when the sun comes up I promise I'll be true1 So singt Tom Waits. Ich will auch Sänger werden“

von JOCHEN SCHMIDT

Es gibt viele Bücher über die Liebe, die einem Lust darauf machen, sich zu verlieben, aber wenige über zwanghafte Menschen, die in einem den Wunsch wecken, sich ganz seinen Zwängen hinzugeben und die Wirklichkeit auch so ungerecht und autistisch wahrzunehmen wie ihr Held. Ein solches tröstliches Buch hat Michael Stauffer geschrieben, es trägt den komplizierten Titel „I promise when the sun comes up I promise I'll be true[1]So singt Tom Waits. Ich will auch Sänger werden“. Schon im Titel taucht die erste von 102 Fußnoten auf, in denen sich der Erzähler, der einmal Michael Stauffer genannt wird, ständig ins Wort fällt.

1999 zählte der Autor zu den Gewinnern des Berliner Literaturwettbewerbes Open Mike, eines Preises der sein Prestige inzwischen schon dem Umstand verdankt, dass viele seiner Gewinner später Fuß im Literaturbetrieb fassen können. Bei Michael Stauffer wurde man damals den Verdacht nicht los, er könne gar nicht anders als merkwürdige Sätze zu schreiben und dass die Sätze schon durch seine Schweizer Diktion merkwürdig würden. Die Schweiz war ja schon immer ein Brutkasten der Poesie. Weil man dort immer über die Berge muss, um nicht so allein zu sein, schreibt man sich von Kindesbeinen an lange Briefe, die dann von der Post verbummelt werden. Das entwickelt genau die beiden wichtigsten Schriftstellereigenschaften: Autismus und Geduld. Ist es so, dass Autoren aus Dialektgebieten so ein herzerfrischend seltsames Hochdeutsch schreiben, als würden sie die klobigen Wörter befühlen und daraus wie mit Legosteinen Gebäude bauen, von denen man nur sagen kann, dass sie nicht umfallen werden? So etwas Überflüssiges wie einen Handlungsfaden braucht ein solcher Autor nicht, der einfach brillanten Satz an brillanten Satz reiht. Oft sind es überraschende Einsichten: „Deshalb haben viele der Büros Schreibtische mit Glasplatten, damit sich die Mitarbeiter nicht einfach verstecken können. Die Mitarbeiter, die plötzlich Angst bekommen.“

Es scheint aber auch eine Entwicklung zu geben, die tiefer in den Wahnsinn führt. Folgerichtig ist der letzte Absatz auch in der Heimatmundart des Autors verfasst und völlig unverständlich. Die vorherigen 36 Abschnitte sind z.B. mit „Aufenthaltsort“, „Überleben“, „Wozu“ übertitelt. Eines der Vorwörter hatte dem Autor den Open-Mike-Preis gesichert, in ihm schildert der Erzähler seinen einsamen Kampf gegen die Schwäne, die in dem Versuch münden, sich bei einer „Stiftung, die sich um das Wohl der Schwäne kümmert“ zu bewerben, um seinen Kampf verdeckt weiterzuführen. Er hat sogar unter finnischem Pseudonym ein Buch über Schwäne geschrieben, das ihn für die Stelle qualifiziert. Aber eigentlich will er sie ausrotten, weil sie die Haubentaucher verdrängen und es ihn quält, dass sie von „der alten Zitterli“ gefüttert würden.

In einem anderen Kapitel schildert er, wie er sich Buchtitel ausdenkt: „Übertreibungen für den persönlichen Gebrauch“ – „Ich kann für nichts etwas dafür“ – „Der Hosenbund kurz erklärt“ und „Der Blumenstrauß für die falsche Frau“. Er füllt Videokassettenhüllen mit Sand und denkt sich Seitenzahl, Gewicht und Preis für diese Bücher aus.

Oft findet er Dinge schön, so wie die Systeme, mit denen man das Geschirr zurückgeben kann. Unter anderen Dingen wiederum leidet er: „Das enttäuscht mich, das macht mich traurig, wenn ich mir den Kopf stosse.“ Manchmal wird er aggressiv, so älteren Leuten gegenüber im Supermarkt: „Meistens wollen sie den Betrag genau bezahlen und wühlen lange in ihren Portemonnaies, bis ich von hinten stosse und sage: ,Kauf dir doch eine Brille‘. Wenn sie eine Brille auf haben, sage ich einfach: ,Kauf dir doch eine neue Brille.‘“

Von den unangenehmen Erlebnissen, die einen draußen in der Welt erwarten, erholt er sich in seiner verstaubten Wohnung, wo er meistens auf dem Rücken liegt: „Mein Weltverständnis ist viel besser, wenn ich auf dem Rücken liege. Ich begreife so mehr vom Universum.“ Er schreibt sich aus den Gegenden seiner Wohnung, in denen er sich häufiger aufhält, Postkarten. Und er schreibt sich die Wände seiner Toilette selbst voll: „Wer lutscht meine Eier und küsst mein Gesicht am 23.10. um 22.00 Uhr?“

Er hat eine Vorstellung vom Glück: „Ich will auch einen Hund. Das aufgeschlagene Buch, in dem nur der Wind blättert, das Rauschen des Strassenverkehrs, der sabbernde Hund. Das ist meine Idylle“, das er aber nicht findet: „Für mich bleibt das Glück beschränkt auf das Öffnen einer Fertigsuppe von Maggi und auf das Zubereiten dieser Suppe.“

Er beschäftigt sich mit abwegigen Dingen. Im Schwimmbad trainiert er, Fußpilzarten am Geruch zu erkennen. Er trägt Bücher aus der Bibliothek und wieder zurück. Die Frauen mit dem Strichcodelesegerät sind aber nicht lernfähig und nehmen die Bücher immer falsch herum in die Hand, obwohl er sie ihnen ohne Unterlass richtig herum reicht: „Das Zurückgeben der Bücher hat Wettbewerbscharakter.“

Manchmal tauchen Kindheitserinnerungen auf, z. B. dass er die Nacktschnecken nie gefunden hat, weil er immer „Nachtschnecken“ gelesen hat, und dass er aus Überdruss im Schönschreibunterricht Todesanzeigen für seine Mutter verfasst hat. Er ist wahrscheinlich auch sehr traurig: „Meine Hände schauen aus den zu kurzen Ärmeln wie verwirrte Maulwürfe.“

Mit diesem Buch debütiert ein Autor, von dem man meint, er könne gar nichts falsch machen. Ob das daran liegt, dass er selbst verrückt ist, oder dass er aus der Schweiz kommt und alle Schweizer so schreiben könnten oder dass alle Schweizer verrückt sind, das wäre noch zu untersuchen. Solange hören wir ihm zu: „Ich baue ein Haus. Ich schaue zum Fenster hinaus. Der Nachbar begreift nicht, wie man so schauen kann.“

Wir begreifen nicht, wie man so schreiben kann.

Michael Stauffer: „I promise when the sun comes up I promise I'll be true[1]So singt Tom Waits. Ich will auch Sänger werden“. Urs Engeler Editor, Basel 2001, 96 Seiten, 29 DM

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