piwik no script img

Potsdamer Kulissenwechsel

Am Freitag wird in Potsdam die Bundesgartenschau eröffnet. Der Park schließt eine Lücke in der historischen Gartenlandschaft und lässt Skater statt Panzer über ehemals militärisches Gelände rollen

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Ostern auf dem Pfingstberg in Potsdam: Der Aufseher des frisch restaurierten Aussichtsturm Belvedere kommt kaum nach, die Gegend zu erklären. Man sieht die Nicolaikirche im Stadtzentrum und die Mühle neben Schloss Sanssouci, die Glienicker Brücke und das Berliner Kraftwerk Reuter am Horizont. Wo die Villen von „Joop und Jauch“ liegen, interessiert besonders die Damen. Und das da, was da so wenig grün und von Erdwällen durchzogen nach Baustelle aussieht, das soll die Bundesgartenschau sein? Den Blumen wird noch zu kalt sein, sagt man sich voll Verständnis. Aber schön, dass man von hier die neue Straßenbahn, die den Buga-Park und das Neubaugebiet auf dem Bornstedter Feld erschließt, verfolgen kann.

„Das Bornstedter Feld war lange eine Terra incognita, komplett unzugänglich“, erläutert Florian Bungert, Pressesprecher des Entwicklungsträgers Bornstedter Feld (ETBF). 250 Jahre lang beherrschte das Militär das Gelände und verhinderte eine Ausdehnung der Stadt nach Norden. Die Garnisonstadt bildete die Kehrseite des Gartenreiches Potsdam: Die militärische Stärke festigte die Basis, auf der die Träume von einem anderen, in Kultur und Philosophie fußendem Reich blühten. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die „Kaserne Potsdam“ weiter aufgerüstet. Nach 1945 führten die sowjetischen Streitkräfte ein weit gehend autarkes Leben mit eigenen Gewächshäusern und Tierzuchten auf dem abgetrennten Gebiet.

Seit deren Abzug 1994 ist die ETBF mit der Konversion des Areals und seiner Kasernen beauftragt. „Konversion“ bedeutet unter anderem: Glaubenswechsel, Schuldumwandlung, Meinungsänderung, Umwandlung unbewältigter Erlebnisse in körperliche Symptome.

Die Stadtplaner aber meinen damit einen Identitätswechsel, der belastete Gebiete neuen Nutzungen öffnet. Dazu gehörte auf dem Bornstedter Feld die Entsorgung einer Hausmülldeponie, der Abbau von Tankanlagen und Garagen, die Sanierung von Kasernen als Wohn- und Bürohäuser. 1995 bewarb sich die ETBF zusammen mit einem Sanierungsträger der Stadt um die Bundesgartenschau, die durch gemeinsame Investitionen getragen wird. Mit ihr gewinnt das Bornstedter Feld einen Volks-Park, der das neue Wohngebiet aufwertet und durch seine Freizeitangebote mit dem sozialen Leben der Stadt verknüpft.

Geschundene Landschaft

Der Buga-Park markiert den Übergang von einer geschundenen Landschaft zu einem neuen Bündnis mit dem Menschen. Seine gestaltete Landschaft hält Spuren des vorherigen Wildwuchses und der militärischen Übung fest. Wo sich Panzer zur Tarnung eingruben, werden Rhododendren vor Wind geschützt. Duftende Reihen von Lavendel krallen sich in die rekonstruierten Wallanlagen, die mit einem System von Treppen, Stahlbrücken und Rampen ein Spiel schneller Richtungswechsel und verwinkelter Blickbeziehungen inszenieren, das barock und technomorph zugleich anmutet. Die Wälle bilden die Tribünen für den Blick auf die ornamentalen Schnittmuster der Rosengärten und die verwegenen Kunststücke der Skater: Die erhalten eine Bühne mit martialisch aufragenden Betonsperren für ihre Kurven, Sprünge und Loops.

Freizeitbedürfnisse heute und die Kunst der Gartengestaltung werden im Buga-Park nicht um jeden Preis versöhnt. Von der Berliner Künstlergruppe Inges Idee wurde ein Basketballfeld in exakter Normgröße gestaltet, das aber auf eine Planierung des unebenen Grundes verzichtete und jetzt wie ein gerade gelandeter fliegender Teppich auf der Wiese liegt. Die Potsdamer Gruppe BergWerk hat das Thema der Camouflage aufgenommen und überdimensionierte Sitzkissen mit Tarnmustern überzogen. Eine Betonskulptur mit Rutschen und eine Kletterwand ragen wie die Spielzeuge eines Riesen auf und verleugnen nicht ihre Fremdheit gegenüber der Natur. Ein Teil der schmalen Pfade ist mit Splitt aus Recycling-Glas, in das Solarzellen eingelassen sind, bestreut. So gibt der Garten in vielen Details seine Künstlichkeit preis.

Bis zum Ende der Bundesgartenschau am 7. Oktober wird der Park allerdings ein luxuriöses Feiertagskleid übergeworfen haben, das mehrmals die Farbe wechselt und den Wandel als Naturereignis feiert. Wenige Tage vor der Eröffnung bringen LKWs die letzten Palmen für die Biosphären-Halle. 50.000 Dauerkarten sind schon verkauft: viel, verglichen mit der Einwohnerzahl Potsdams (128.300), wenig im Verhältnis zu den 2,5 Millionen Besuchern, die sich die Veranstalter erhoffen.

Der Parkplatz, späteres Baugelände, hat für 2.900 Fahrzeuge Platz. Von den 73 Hektar des Feldes sollen 60 als Volkspark erhalten bleiben. Vielen Besuchern wird wohl kaum auffallen, dass eine Schaufassade, ein Sandberg und ein Baucontainer am Rande des Parks nicht zu der Baustelle der Wohnhäuser hinter dem Zaun gehören, sondern fiktive Kulisse sind.

Mit diesen Elementen kommentiert der Künstler Andreas Siekmann die Situation des Umbruchs, in der Lebensraumgestaltung immer häufiger nach dem Musterkatalog der Lieferanten programmiert wird. Aus dieser Anonymität hofft die ETBF durch die identitätsstiftende Lage am Volkspark ausbrechen zu können.

Profitiert von dem Unternehmen Buga hat die historische Gartenlandschaft Potsdams jetzt schon. Michael Seiler, Gartendirektor in der Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, freut sich: Mit der Schubkraft der Buga im Rücken konnte die Stiftung genügend öffentliche und private Mittel zusammenbringen, um die verschlungenen Wege des Ruinen- und des Pfingstbergs, der ebenfalls unter militärischer Nutzung gelitten hatte, instand zu setzen und ihre Schauarchitekturen vor dem Verfall zu retten.

Verschlungene Wege

Galerien, Kolonnaden, Treppen und ein Turm des romantischen Belvedere auf dem Pfingstberg, der ursprünglich von 1847 bis 1863 gebaut wurde, konnten Anfang April wieder eröffnet werden. Am Normannischen Turm, der neben der künstlichen Ruine einer Circuswand aufragt, wird noch gebaut. Denn das Bornstedter Feld erstreckt sich genau zwischen diesen beiden Aussichtstürmen, die bisher nur durch eine Sichtachse verbunden waren. Wenn der Park aber nach der Buga ohne Eintritt zugänglich ist, bietet er einen grünen Verbindungsweg, der von Schloss Sanssouci bis zum Neuen Garten reicht.

„Gärten muss man lesen lernen, sie werden kaum bewusst als Kunst und Kultur wahrgenommen“, weiß Gartendirektor Seiler von seinen Führungen. Er stellt sich vor, dass sich vor dem Spaziergänger nun die wechselnden Kulissen wie ein Film entrollen: Er beginnt mit der genau choreografierte Ordnung des Barock in den Terrassen und Gartenparterren, führt weiter zur Italien-Sehnsucht und dem Hunger nach antiker Größe, quert den jede Begrenzung verleugnenden, weit schwingenden englischen Landschaftsgarten und landet schließlich im illusionslosen Minimalismus der Gegenwart.

Gärten brauchen Pflege, und die funktioniert nicht computergesteuert. Seiler hat deshalb zwei Ausstellungen über historische Gartenarbeit initiiert, die er als kulturpolitischen Appell verstanden wissen will: „Denn ohne Pflege gedeiht nichts“ ist der programmatische Titel.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen