: Keine nationalistische Euphorie in Montenegro
Montenegros Präsident Milo Djukanović will auch nach Unabhängigkeit seines Landes in einer offenen Staatenunion mit Serbien bleiben
taz: Die EU ist gegen neue Grenzziehungen auf dem Balkan. Hat der Westen Druck auf Sie wegen Ihres Strebens nach Unabhängigkeit für Montenegro ausgeübt?
Milo Djukanović: Dieser Druck ist vorhanden. Die internationale Gemeinschaft hat gegenüber der montenegrinischen Regierung den Wunsch geäußert, Montenegro möge im Rahmen einer demokratischen Bundesrepublik Jugoslawien bleiben.
Das berücksichtigen wir natürlich ebenso wie die geteilte Meinung der Öffentlichkeit hier in Bezug auf die Unabhängigkeitsfrage.
Unsere katastrophale Erfahrung aus zehn Jahren hat jedoch gezeigt, dass Montenegro in einer Föderation mit dem achtzehnmal größeren Serbien nicht gleichberechtigt sein kann. Denn zu Recht wollen die sich in der Mehrheit befindenden Serben proportional in der Nationalversammlung vertreten sein.
Wir aber wollen nicht, dass unser Schicksal in Belgrad bestimmt wird. Deshalb schlagen wir das Modell eines Bundes zweier unabhängiger, international anerkannter Staaten vor. Erst falls Serbien dies endgültig ablehnen sollte, werden wir uns friedlich trennen.
Wie sollte denn dieser Bund ausschauen?
Dieser Bund sollte eine gemeinsame Verteidigungs- und Währungspolitik haben und zumindest gemeinsame Grundlagen der Außenpolitik. Dazu schlagen wir der serbischen Regierung vor, dass die beiden unabhängigen Republiken einen freien gemeinsamen Markt und eine absolut offene Grenze haben sollen. Dieses Modell könnte auch als Vorbild für andere Balkanstaaten dienen und als erster Schritt zu einem Integrationsprozess in der Region dienen.
Wir hoffen, dass sowohl Serbien als auch die internationale Gemeinschaft die positiven Seiten dieses Modells erkennen. Es ermöglicht gleichzeitig die Bewahrung der nationalen Identität der Montenegriner und der Serben. In Montenegro herrscht, wie Sie sehen, keine nationalistische Euphorie. Das ist kein verspäteter balkanischer Nationalismus, sondern ein rationaler Standpunkt.
Unabhängigkeit ist teuer. Kann das kleine Montenegro wirtschaftlich selbstständig überleben?
Wir glauben, über genügend wirtschaftliches Potenzial für eine Selbstständigkeit zu verfügen. Die Reformen in den vergangenen Jahren haben durch die Unterstützung der Staatengemeinschaft unsere Industrie und Landwirtschaft angekurbelt. Man darf auch den hoch entwickelten Tourismus nicht vergessen. Wir sind sicher, und internationale Experten haben das bestätigt: Für die 600.000 Bürger Montenegros können wir in absehbarer Zeit europäischen Lebensstandard erreichen. Die Voraussetzung dafür und für unsere Existenz ist, dass Montenegro ein offener Staat bleibt und in Europa integriert wird. Wir ziehen unsere Reformen nach EU-Vorbild durch.
Aber die EU ist entschieden gegen die Unabhängigkeit Montengros.
In den europäischen Staaten wird im Allgemeinen der friedlich und demokratisch geäußerte Wille des Volkes berücksichtigt. Ich glaube nicht, dass Europa in Bezug auf Montenegro anders verfahren will. Wenn sich die Bürger Montenegros entschließen, ihr Schicksal in eigene Hände zu nehmen, wird das sicherlich auch die Staatengemeinschaft anerkennen. Wir wollen Teil der EU werden und dabei, wie alle anderen europäischen Staaten, unsere staatliche Identität bewahren.
Noch der Berliner Kongress 1878 bestätigte Montenegro als selbstständigen Staat. Wenn alle anderen die Staatsform als den Garanten ihrer Entwicklung nicht aufgeben wollen, sehe ich nicht den geringsten Grund dafür, dass gerade wir mit unserer tausendjährigen staatlichen Tradition unsere Staatlichkeit aufgeben.
Werden Sie zurücktreten, wenn die projugoslawischen Kräfte die Wahlen gewinnen?
Es könnte natürlich passieren, dass die Wähler das Rad der Geschichte zurückdrehen und sich für die Fortsetzung der jugoslawischen Idee entscheiden. Ich würde das als Niederlage meiner Politik betrachten und von allen staatlichen Funktionen zurücktreten. Doch ich würde weiter politisch für die Idee der staatlichen Selbstständigkeit Montenegros kämpfen.
INTERVIEW: ANDREJ IVANJI
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen