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im bus nach westenDer Doppeldecker

Berlin-Touristen fahren Bus. Sie sitzen im Doppeldecker, drücken sich die Nase an den Fenstern platt und staunen, dass es trotz aller Baustellen zügig vorangeht. Verkehrsprobleme hat die Haupstadt nur in Talkshows. Der typische Tourist fährt mit dem Hunderter. Das ist der City-Bus für Langweiler, in dem der mufflige Berliner Busfahrer einen auf freundlich-weltoffen macht. „On the right you can see the Reichstag.“

Der Berlin-Besucher, der etwas auf sich hält, fährt aber mit dem 129er. Das ist der Westberlin-Express, der von Neukölln über Kreuzberg und den Ku’damm bis in den schicken Grunewald schaukelt. In den Siebzigerjahren wurde die Linie, damals noch der 29er, sogar einmal in einem Protestsong erwähnt. „Im Neunundzwanziger, kurz vor Halensee ...“, sangen Ton-Steine-Scherben. „Der Kassierer schrie, wer hat noch keinen Fahrschein, und Mensch Meier sagte laut und ehrlich: Ick“.

Der Berlin-Besucher von heute ist auch ehrlich; er hat sich eine Tageskarte besorgt. Das ist praktisch, denn im 129er gibt es viel zu sehen. Spannend wird es immer in der Kreuzberger Oranienstraße – aber nicht in dem Teil, in dem teure Szeneklamotten verkauft werden und am 1. Mai die Steine fliegen. Spannender ist es im nördlichen Teil, dort, wo die Kreuzberger Oranienstraße aussieht wie ein Vorort von Gelsenkirchen. Hier macht die BVG regelmäßig ihre Schwerpunktkontrollen. Das ist clever, denn alle Arbeitslosen aus dem armen Neukölln oder Kreuzberg nutzen den Bus, wenn sie zum Arbeitsamt in der Nähe des Springerhochhauses fahren. „Nee, nee, nee – eher brennt die BVG“, hat aber noch niemand den Kontrollettis entgegengeschleudert, die „Scherben“ zitierend. Streit gibt es trotzdem: Das Mittfünfzigerpärchen aus Sachsen balgt sich mit der Yuppiefamilie aus Hessen um die besten Plätze, nachdem ein türkischer Passagier ohne Fahrschein aus der ersten Reihe im Oberdeck gezerrt wurde.

Eine Viertelstunde später am Ku’damm scheint das Elend aus den Westberliner Abkackbezirken vergessen. Pelz- und ein paar Designergeschäfte schweben vorbei. Zum Beispiel „Bruno Makli“, wie eine Wilmersdorfer Dame Signore Magli mit weltmännischer Chuzpe falsch ausspricht. Aber das alles täuscht, der Ku’damm verelendet – das sieht sogar der Tourist durch gescratchte Busscheiben: Schnäppchenmarkt, Spielhölle, Lebensmittel- und Drogeriediscounter machen sich auf der einstigen Prachtmeile breit. Nur das Big Eden versucht’s mit einem Superlativ: „Größte Berliner Disko am Ku’damm“. Eines muss man den solariumbraunen Hawaiihemdsärmeligen lassen: Sie haben Selbstbewusstsein.

Das haben auch die hippen „Erben der Scherben“, die am 1. Mai auf der (verbotenen) Demo am Oranienplatz aus dem Lauti dröhnen werden, während der 129er Umwege fährt: „Das ist unser Haus; schmeißt doch endlich Diepgen, Landowsky und Werthebach aus Kreuzberg raus!“ Während Bürgermeister und Innensenator hartnäckig sind, wird ihnen CDU-Fraktionschef Landowsky den Gefallen tun. Er tritt ab. Aber nicht wegen der Autonomen, sondern weil er als Banker versagt hat. Das Kapital sitzt halt am längeren Hebel. RICHARD ROTHER

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