: Ein Telefongespräch lindert die schlimmsten Folgen
In Berlin, Moskau und Peking reagiert man auf Bushs Raketenabwehrpläne viel weniger kritisch als erwartet. Besonders der Kreml fühlt sich nun endlich ernst genommen aus Berlin JENS KÖNIG
Die deutsche Regierung fiel nicht aus allen Wolken. Am Montag, also einen Tag vor seiner Grundsatzrede, telefonierte US-Präsident Bush mit dem Bundeskanzler. In dem etwa zehn Minuten langen Gespräch stellte er Gerhard Schröder seine Pläne vor. Das wars dann aber auch schon.
Wie sehr Schröder das Telefonat beeindruckt hat, kann man nicht sagen. Eine erste Stellungnahme überließ er, wie so oft, seinem Außenminister. Fischer äußerte weder Kritik an Bushs Raketenabwehrplänen noch an der faktischen einseitigen Aufkündigung des ABM-Vertrages. Im Gegenteil: Fischer lobte den amerikanischen Präsidenten – für dessen erklärte Bereitschaft, mit den europäischen Verbündeten über die geplante Raketenabwehr zu reden, für dessen Einsicht, dass die Raketenabwehr mit einer drastischen Reduzierung der vorhandenen Atomwaffen verbunden werden muss sowie für die Tatsache, dass Bush seine Hand auch den Chinesen angeboten hat. „Wenn man das mit dem vergleicht, was man im amerikanischen Wahlkampf gehört hat“, so Fischer, „ist es doch im Wesentlichen ein kooperativerer Ansatz.“
Dass die Deutschen sich wegen der Aufkündigung des ABM-Vertrages Sorgen machten, konnte man aus Fischers Äußerungen nur indirekt herauslesen. Er interpretierte Bushs Rede an diesem Punkt als einen Versuch der Amerikaner, den ABM-Vertrag fortzuentwickeln – aber nicht aufzukündigen. Fischer würdigte den Rüstungskontrollvertrag: „Er hat sehr gut funktioniert.“ Und bevor man etwas verabschiede, was gut funktioniert hat, müsse man wissen, was an seine Stelle treten solle. Die Fortentwicklung des ABM-Vertrages hänge jetzt von den USA und Russland ab. Europa und Deutschland könnten dabei keine Mittlerrolle übernehmen.
aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH
Die Rede des George Bush über NMD stieß in Moskau auf verhaltenen Optimismus. Eine nicht näher genannte Quelle in der Präsidialverwaltung meinte gegenüber der Agentur Interfax: Die amerikanischen Vorstellungen seien „mit Verständnis und Interesse“ aufgenommen worden und verdienten durchaus, „gründlich analysiert“ zu werden. Washingtons Absicht, den ABM-Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehr einer Revision zu unterziehen, lehnt Moskau jedoch weiterhin strikt ab. Dennoch enthalte die Rede Bushs „eine Reihe konstruktiver Momente, die den Weg zum Dialog über Fragen der strategischen Stabilität öffnen“.
Vor allem die Bereitschaft der USA, nicht einseitig aus dem ABM-Vertrag auszusteigen und mit dem strauchelnden Kalten-Krieg-Gegner einen Dialog zu führen, wurde in Moskau mit Genugtuung registriert. Die versöhnlichen Töne dürften im Kreml für Überraschung gesorgt haben. In den ersten Wochen seiner Amtsführung hatte Bush eine auffallend ablehnende Haltung gegenüber Russland eingenommen, die deutliche Anleihen bei der einstigen Rhetorik der Blockgegner machte. Offensichtlich haben in Washington viele Leute inzwischen begriffen, „dass ein Bruch des ABM-Vertrages und der Aufbau eines nationalen Raketenabwehrsystems die strategische Stabilität erschüttern und zum Wettrüsten führen würde, mit unvorhersehbaren Folgen“, hieß es in Militärkreisen.
Bereits vor seiner Rede hatte Bush Präsident Putin über die Inhalte telefonisch informiert und Moskau aufgefordert, gemeinsam mit dem Westen ein neues „strategisches Rahmenwerk“ für die Friedenssicherung zu schaffen. Das allein dürfte den um Russlands Großmachtrolle bangenden Kremlchef schon gnädiger gestimmt haben.
aus Peking GEORG BLUME
Abwarten und Tee trinken, lautet fürs Erste das Motto der chinesischen Außenpolitik im Umgang mit George Bush. Denn der amerikanische Präsident scheint China derzeit jede Woche aufs Neue düpieren zu wollen. Seine Ankündigung, den ABM-Vertrag zu ersetzen, steht aus chinesischer Sicht in einer Reihe mit seiner barschen Reaktion auf die US-chinesische Flugzeugkollision Anfang April, den jüngst bekannt gegebenen US-Waffenverkäufen an Taiwan und der Erklärung Bushs vor wenigen Tagen, Taiwan, koste es, was es wolle, verteidigen zu wollen.
Die staatlich kontrollierte Öffentlichkeit in China reagiert auf die neuen Kursbestimmungen in den USA stets ungehalten. So sprachen Experten gegenüber der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua gestern von einer „Bedrohung des Weltfriedens“, falls die USA den ABM-Vertrag kündigten.
Doch dies ist nicht mit der Regierungshaltung gleichzusetzten. Noch immer glauben die verantwortlichen Außenpolitiker der Volksrepublik, dass die Zeit letztlich für sie spiele. Von Carter über Reagan bis Clinton hatte zunächst jeder frisch gewählte US-Präsident auf eine harte Haltung gegenüber China gesetzt – und noch jeder amerikanische Präsident seit Nixon hatte sich am Ende seiner Amtszeit als guter Freund Pekings erwiesen: auf Grund der Verlässlichkeit chinesischer Politik und der gemeinsamen Wirtschaftsinteressen im pazifischen Raum. Einen solchen Lernprozess will die chinesische Regierung Präsident Bush in Zukunft nicht versperren. Deshalb verzichteten führende Politiker in Peking auch gestern auf eigene Stellungnahmen.
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