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„Schröder kann nicht ohne uns“

Interview JENS KÖNIG

taz: In der Krise hat man ja manchmal einen nüchternen Blick auf die Realitäten. Was glauben Sie, wie lange hält die SPD-PDS-Koalition in Mecklenburg-Vorpommern?

Roland Claus: Diese Frage wird in Schwerin entschieden.

Die Antwort habe ich befürchtet.

Sie bleibt trotzdem richtig. Gabi Zimmer und ich haben klargestellt: Empfehlungen von der Bundespartei wird es nicht geben, bevor sich unsere Leute in Mecklenburg-Vorpommern nicht entschieden haben.

Die rot-rote Koalition hält bis zu den nächsten Wahlen. Halten Sie diese Prognose für zu gewagt?

In der jetzigen Situation: ja. Offenbar verstehen einige die Besonnenheit der PDS in der gegenwärtigen Krise falsch. Wir sind zwar besonnen, aber wir sind auch konsequent.

Sie würden die Koalition notfalls auch beenden?

Sie kann jedenfalls nicht einfach weitergeführt werden, als wäre nichts geschehen.

Die PDS in Schwerin verlangt von der SPD eine Klarstellung. Sind solche Forderungen nicht Ausdruck der eigenen Machtlosigkeit?

Ich bitte Sie: Was Ringstorff gemacht hat, war ein Vertrauensbruch. Politik ist kein Spiel ohne Grenzen. Zu einer verlässlichen Kooperation gehört, dass ein Ministerpräsident seinen Stellvertreter nicht einfach so übergeht. Ringstorff hat damit die Koalition beschädigt.

Wie sollte eine solche Klarstellung denn aussehen? Mehr soziale Zugeständnisse?

Ich habe der SPD hier keine Vorschriften zu machen. Klar muss nur sein, dass sich dieser Vorgang nicht wiederholen darf.

Aber Ringstorff weiß, dass die PDS aus der Regierung nicht aussteigen kann. Die erste rot-rote Koalition hat Modellcharakter für alle anderen ostdeutschen Länder.

Jemandem, der so unbedacht einen Koalitionsvertrag verletzt, sollte man nicht noch ein hohes Maß an strategischer Kompetenz zubilligen.

Die PDS ist auf die Koalition in Mecklenburg-Vorpommern nicht angewiesen?

Natürlich ist man immer bestrebt, den ersten Versuch einer solchen Koalition erfolgreich zu gestalten. Aber wenn Sie meinen, wir seien auf diese Koalition angewiesen, weil sie alternativlos ist, dann irren Sie sich.

Die PDS debattiert gerade ihr neues Parteiprogramm und streitet über den besseren Sozialismus. Plötzlich werden Sie von Harald Ringstorff unsanft in die Realität zurückgeholt. Wie hart ist denn die Landung?

Unsere Programmdebatte ist nicht so weltfremd, als dass wir in die Realität zurückgeholt werden müssten, schon gar nicht von Harald Ringstorff. Unser überarbeitetes Parteiprogramm soll letztlich den Platz der PDS in der Gesellschaft bestimmen – das hat indirekt auch etwas mit der Koalition in Mecklenburg-Vorpommern zu tun.

Sie selbst haben noch am Tag der Bundesrats-Abstimmung erklärt, Mecklenburg-Vorpommern werde sich enthalten. Sind mit Ringstorffs Entscheidung nicht auch Sie selbst als Fraktionschef brüskiert worden?

Es war sicherlich keine Sternstunde für mich. Ich habe mich auch maßlos geärgert. Aber ich hatte mich zu dieser Aussage ja nicht leichtfertig entschieden. Sowohl von Ringstorff als auch aus dem Kanzleramt ist uns noch am Freitagmorgen versichert worden, dass sich Mecklenburg-Vorpommern im Bundesrat der Stimme enthalten wird. Insofern habe ich am meinem Verhalten nachträglich nichts zu korrigieren.

Alle rätseln über Ringstorffs Motive. Nicht einmal die eigenen Parteifreunde verstehen ihn. Welche Erklärung haben Sie denn dafür, dass er ohne Not seine Koalition aufs Spiel setzt?

Ich weiß nicht, ob es überhaupt eine rationale Erklärung gibt. Wahrscheinlich ist Ringstorff der in der SPD weit verbreiteten Logik aufgesessen, dass es sich im Bundesrat um etwas ganz anderes als die Zustimmung zur Rentenreform handelte, nämlich um eine Art soziale Nachsorge für die geringer Verdienenden. Aber von den viel zitierten 20 Milliarden Mark, über die im Bundesrat abgestimmt wurde, kommen nur 7 Milliarden den sozial schlechter Gestellten zugute. Außerdem hat Ringstorff nicht verwunden, dass er vor kurzem nur mit 62 Prozent zum SPD-Landesvorsitzenden wiedergewählt worden ist. Vielleicht war seine Abstimmung im Bundesrat auch eine Frustreaktion.

Belastet diese Koalitionskrise in Schwerin das Verhältnis von PDS und SPD im Osten insgesamt?

Ganz sicher.

Inwiefern?

Ich will jetzt keinen Strafenkatalog aufmachen, so nach dem Motto: Was die SPD alles tun muss, damit wir wieder lieb zueinander sind. Darum geht es nicht. Die SPD muss sich allerdings darüber klar werden, wie sie sich in Zukunft die Zusammenarbeit mit der PDS vorstellt, vor allem, was sie glaubt sich in Bündnissen mit konkurrierenden Parteien erlauben zu können.

Das klingt harmlos. Wenn Schröder das liest, wird er sagen: Siehste, mit den Kommunisten kann man’s ja machen.

Schröder ist viel zu realistisch, um so zu denken. Nicht umsonst hat er bei unserem Gespräch vorige Woche im Kanzleramt signalisiert, dass es kein Votum zur Rente hinter dem Rücken der PDS geben wird.

Weil er die PDS im Bundesrat bei anderer Gelegenheit noch braucht. Zeigt das nicht, dass die PDS genau das ist, was sie gerade nicht sein will: die Westentaschenreserve des Kanzlers?

Der Kanzler irrt, wenn er glaubt, er könne, wann immer es ihm passt, auf die Unterstützung der PDS setzen.

In ihrer Wahlstrategie steht: Schröder ist nicht der Hauptgegner der PDS.

Es steht aber gleichzeitig drin, dass die PDS die Kernaussage der Schröder-Politik, sie sei alternativlos und daher die einzig richtige, bestreitet. Auf einer ganzen Reihe von Politikfeldern gibt es zwischen SPD und PDS Unterschiede – von der Rente bis zum Kosovokrieg. Es ist richtig, dass wir keinen Rückfall in die Verhältnisse vor 1998 wünschen. Aber wir wollen in der Sozialpolitik, bei der Entwicklung Ostdeutschlands und in der Außenpolitik Veränderungen durchsetzen.

Haben Sie die Macht dazu?

Schröder lässt bei seinem Weg in die neue Mitte links viel Platz. Wir wären dumm, wenn wir den nicht besetzen würden. Und auch, wenn sich die Aufgabe der PDS nicht darauf beschränkt, Druck von links zu machen, so liegt doch die Logik auf der Hand: Je stärker die PDS ist, desto mehr Kompromisse muss die SPD mit uns schließen.

Wie stark die PDS ist, hat man bei der Rentenreform gerade eindrucksvoll unter Beweis gestellt bekommen.

Wir überschätzen unseren Einfluss nicht. Die PDS allein kann keine unsoziale Rentenreform verhindern. Aber wenn wir in mehr als einer Regierung sitzen, wenn wir in drei, vier Ländern über den Bundesrat mitbestimmen können, dann wird Schröder von ganz allein merken, dass er ohne die PDS nicht kann.

Vielleicht wollte Schröder mit Ringstorff genau für diesen Fall schon einmal zeigen, wer Koch und wer Kellner ist im Osten.

Das ist erst mal nur eine Behauptung.

Sie glauben nicht, dass er sich die PDS als kleinen, braven Koalitionspartner wünscht?

Es kann sein, dass Schröder so denkt. Aber darf ich kurz auf Sachsen hinweisen? Dort hat die SPD nur halb so viele Stimmen wie wir. Nicht gerade viel für einen Koch. In Thüringen liegen wir auch weit vor der SPD. Im Osten ist die PDS eine Volkspartei. Wir konkurrieren mit Schröder und den Sozialdemokraten auf Augenhöhe.

Hat Schröder das schon gemerkt?

Die Bundes-SPD weiß, dass sie nicht länger so tun kann, als handele es sich bei den Regierungskonstellationen in Schwerin und Magdeburg um Sündenfälle im Ausland. In den letzten Monaten hat sich da ja auch schon einiges bewegt. Immerhin lässt sich die SPD von der CDU nicht länger vorschreiben, ob und wann sie mit uns redet.

Worüber redet Schröder denn so mit Ihnen, wenn er sich – wie vor zehn Tagen – mit der PDS-Spitze im Kanzleramt trifft?

Ich verstehe Ihre Neugier. Aber außer dass Schröder versucht hat, die PDS für seine Rentenreform zu gewinnen, werden Sie von mir kein Wort erfahren.

Droht der PDS jetzt ein neuer Richtungsstreit in der Frage der Regierungsbeteiligung?

Was heißt hier neuer Streit?

Den gibt’s sowieso?

Ja, und das ist auch gut so. Ich glaube sogar, dass die jetzige Koalitionskrise in Schwerin den Streit über die Regierungsbeteiligung tiefgründiger macht. Gerade diejenigen in Mecklenburg-Vorpommern, die sich am vehementesten für eine Zusammenarbeit mit der SPD eingesetzt haben, sind am meisten brüskiert worden. Andererseits können ihnen die Genossen aus den eigenen Reihen jetzt nicht mehr vorwerfen, sie würden in der Regierung mit den Sozialdemokraten nur kungeln.

Andere in Ihrer Partei wie André Brie befürchten, dass die Koalitionskrise den Orthodoxen in der PDS Auftrieb gibt.

Ich glaube das nicht. Vorigen Freitag, nach der Bundesratsentscheidung, war ich in meiner Heimatstadt Halle. Die Genossen dort haben am Mittag meine ganze Wut über Ringstorff und die SPD abbekommen. Am gleichen Nachmittag dann haben sie ganz ruhig die Kooperation von SPD und PDS im Stadtrat von Halle beschlossen.

Wann gibt es den ersten PDS-Ministerpräsidenten im Osten?

Warten wir es ab. Die PDS wird jedenfalls nicht auf ewig der Juniorpartner der SPD bleiben.

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