: Der Koloss von Lokstedt
Antje wird 25 Jahre alt. Künftig ist das Walross zwar kein NDR-Logo mehr, bleibt aber dem Sender auf ewig verbunden ■ Von Nadja Lehmann
Die Schnurrbarthaare verklebt, die Stirn mit Tortenresten beschmiert: Walross Antje genoss ihren 25. Geburtstag gestern im Tierpark Hagenbeck in vollen Zügen. Zahlreiche kleine und große Zoo-BesucherInnen kamen, um dem bekannten NDR-Maskottchen zu gratulieren. Das Geburtstagskind, zunächst noch etwas schläfrig, kam zunehmend in Schwung und machte seinen beiden Fischtorten fix den Garaus. Die hatten Hagenbeck und der Norddeutsche Rundfunk spendiert. Zwei wahrhafte Kunstwerke, garniert mit Heringsschwänzen und Tintenfischen, unterlegt mit Quark und Lebertran. Eine Mischung, die Antjes ehemaliger Tierpfleger Heino Susott gleich selbst ausprobierte.
Bereits als Baby kam Antje, Miss Norddeutscher Rundfunk, nach Hamburg: Seit November 1976 ist sie in Hagenbeck zu Hause. Mit 25 ist der Dickhäuter nun eine betagte Dame geworden. Eigentlich stammt Antje aus dem Nordpolarmeer. Dort wurde sie geschwächt eingefangen und kam über den Moskauer Zoo in die Hansestadt. Als kleines Walross wog sie nur 61 Kilogramm. Inzwischen bringt Antje von den Stoßzähnen bis zur Schwanzflosse 700 Kilo auf die Waage. „Ein schlankes Mädchen“, sagte ihr Tierpfleger Dirk Stutzki bei der Geburtstagsparty. Denn Walrosse könnten 1000 Kilogramm und mehr erreichen.
Kein Walross hatte es vor Antje zum Fernsehstar gebracht. Antje verkörpere den NDR, seit er denken könne, sagte Dirk Stutzki. Die FernsehzuschauerInnen zwischen Aachen und Zittau kennen die im Wasserbecken umherpaddelnde Antje ebenso gut wie die Nordlichter. Stutzki: „Sie ist etwas Besonderes. Lieb, umgänglich und sehr verschmust“. Allerdings droht Ungemach: Zwar soll Antje das Maskottchen des NDR bleiben, aber aus dem Logo verschwinden. Bei ZuschauerInnen und der Bild-Zeitung hat die Ankündigung des Senders vor Monaten schon einen Empörungssturm ausgelöst. Prominente vom Schlage Heidi Kabels wurden interviewt, die ihre unverbrüchliche Treue zu Antje kundtun muss-ten. Der Norddeutsche Rundfunk und Antje – das scheint für viele eine Verbindung zu sein, die man nicht auflösen, nicht einmal lo-ckern darf. Unterm Joch des Maskottchens.
Hinter dem Koloss verbirgt sich übrigens eine echte Feinschmeckerin, denn Antje kann nur weiche oder kleine Fische zu sich nehmen, weil Walrosse einen sehr engen Schlund haben. Im Meer ertasten sie ihre Beute mit den empfindlichen Sinneshaaren und legen sie mit den Stoßzähnen und einem kräftig ausgestoßenen Wasserstrahl frei. Das erklärt Antjes überzeugende Leistungen als Musikerin: Mit dem walross-typischen Luftstoß bringt sie die Mundharmonika zum Swingen, die ihr Dirk Stutzki bei den Fütterungen vor die Nase hält.
Einmal im Jahr zeigt Antje ihrem Pfleger die Zähne: zur Inventur nämlich. Dann legt Stutzki das Maßband an: 66 Zentimeter sind Antjes Stoßzähne lang. Sollten die Hauer mal nicht perlweiß glänzen, putzt der Tierpfleger sie mit etwas Zahncreme. Eine so lange und überzeugende Fernsehkarriere verpflichtet natürlich: Niemand äugt schließlich schöner aus dem Wasserbecken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen