Notfalls ohne das Reizthema Asyl

Um das große Ziel, den „Einstieg in die Einwanderungsgesetzgebung“, nicht zu gefährden, könnte die Koalition versuchen, die Asylfrage auszuklammern

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Als Kerstin Müller und Peter Struck am späten Montagabend aus der Dienstvilla des Kanzlers kamen, herrschten alles andere als ideale Bedingungen für eine Pressekonferenz. Die Fraktionschefs von SPD und Grünen standen im Regen, als sie über den gerade zu Ende gegangenen Koalitionsgipfel berichten mussten. Zum Glück hatten freundliche Helfer einen Schirm parat, unter dem Struck und Müller gemeinsam Schutz vor den Wassermassen fanden. Das harmonische Bild passte zum Anlass, denn beide wollten unbedingt den Eindruck vermitteln, dass es auch in den zwei Stunden beim Kanzler ganz kuschelig zugegangen sei.

Das war so selbstverständlich nicht, denn SPD und Grüne reagierten in den Tagen zuvor ganz unterschiedlich auf die Veröffentlichung der Süssmuth-Vorschläge zur Einwanderungspolitik (siehe Dokumentation). Während die Grünen das Papier in höchsten Tönen lobten, trat der große Koaltionspartner erst mal auf die Bremse. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Cem Özdemir, warnte die SPD, sie solle bloß nicht versuchen, Zuwanderung und Arbeitslosigkeit „gegeneinander auszuspielen“.

Nun, nach dem Treffen beim Kanzler, war alles wieder in Ordnung. In Sachen Einwanderung gebe es kaum noch Differenzen zwischen Rot und Grün, stellte Struck erleichtert fest. Auch Müller betonte unter dem Regenschirm, man habe sich gütlich auf einen „Fahrplan“ geeinigt. Und der sieht so aus: Anfang Juli, wenn die Süssmuth-Kommission ihre Empfehlungen offiziell an Innenminister Otto Schily (SPD) überreicht hat, wird die bisher konzeptlose SPD ihre „Eckpunkte“ zur Einwanderung vorstellen. „Danach“, so Müller gestern zur taz, „wird Schily mit den Ländern sondieren – in enger Rückkopplung mit der Koalition“. Ob es für die gewünschte Einigung mit der Opposition Chancen gibt, ist nach den ersten Reaktionen der CDU/CSU zu bezweifeln. Doch für Müller ist erst einmal wichtig, dass Schily nicht im Alleingang entscheiden darf: „Für die SPD wird Fraktionsvize Ludwig Stiegler beteiligt sein, auf unserer Seite Claudia Roth und ich.“

Kurz vor dem Koalitionsgespräch hatte die Süddeutsche Zeitung gemeldet, Schily habe seinen Gesetzentwurf schon „fast schubladenfertig“. Ein Affront, den sich die Grünen nicht gefallen lassen konnten. Das urgrüne Thema Einwanderung allein in Händen des exgrünen Innenministers? „Wir sind diejenigen, die die Einwanderung gestalten wollen“, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth gestern der taz. „Wir sind die Partei, die eine Neuregelung der Einwanderungspolitik am längsten betreiben.“ Erfreulicherweise seien die „Irritationen“ aber nun „vom Tisch“, weil die SPD dementiert habe, dass es einen Schily-Entwurf gebe.

Nicht dementiert wurden dagegen Meldungen, wonach Schily eine Ausweitung des Asylrechts verhindern will und stattdessen sogar weitere Verschärfungen beim Asylrecht plane. Genau das aber könnte zum Knackpunkt werden. Wie weit können die Grünen gehen, um einen „möglichst breiten Konsens“ zu erreichen, den Parteichefin Roth sich wünscht, ohne dabei ihre alten Positionen beim Asylrecht aufzugeben? „Ich stelle kein Junktim auf“, sagte Parteichefin Roth gestern, „aber es ist für uns ganz zentral, dass Einwanderung nicht zu Lasten des Asylrechts gehen darf.“ Auch ihrer Parteifreundin Müller ist klar: „Die Diskussion der nächsten Wochen wird sich natürlich auch darum drehen.“ Die Grünen bleiben bei ihrer Forderung, auch nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgründe anzuerkennen. Roth will „abwarten, was die Kommission dazu wirklich vorschlagen wird“.

Um das große Ziel – „den Einstieg in die Einwanderungsgesetzgebung noch in dieser Legislaturperiode“ (Roth) – nicht zu gefährden, könnte die Koalition versuchen, das Reizthema Asyl vorerst auszuklammern. „Das muss man sehen“, sagte Müller. Auf jeden Fall werden die nächsten Wochen sicher nicht ganz so kuschelig wie unterm Regenschirm.