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„Ihm geht es dreckiger“

taz-Serie „Die Aktivisten“ (Teil 1): Seit zweieinhalb Jahren demonstriert die Liedermacherin Bettina Wegner jeden Mittwoch für die Freilassung des in den USA zum Tode verurteilten Mumia Abu-Jamal

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Sie hat sich immer angelegt: früher mit der DDR-Regierung und jetzt mit dem Weißen Haus in Washington. Die Liedermacherin Bettina Wegner, die normalerweise mit ihrer Gitarre auf der Bühne anzutreffen ist, steht seit zweieinhalb Jahren jeden Mittwochnachmittag zusammen mit einer Hand voll Mitstreiter vor dem Café Einstein Unter den Linden. Wie in ihren Liedern, die oftmals von Unterdrückung handeln, kämpft sie auch auf dem Gehweg gegen Unrecht. Seit zweieinhalb Jahren sammelt die 53-Jährige Unterschriften für die Freilassung des schwarzen US-Journalisten Abu-Jamal. 15.000 sind es bisher.

Um den Hals trägt sie ein Schild: „Rettet Abu-Jamal“. Weil es ihr schwer fällt, Menschen auf der Straße anzusprechen, setzt sie darauf, dass die Passanten das Schild auf dem Bürgersteig lesen. „Seit 17 Jahren sitzt Mumia Abu-Jamal, ein kritischer Journalist und Bürgerrechtler, in Pennsylvania in der Todeszelle, weil er einen Polizisten erschossen haben soll“, heißt es da. „Er beteuert seitdem seine Unschuld und fordert ein faires Wiederaufnahmeverfahren. Bitte helfen Sie mit Ihrer Unterschrift, dieses Unrecht zu verhindern!“

Dass das Plakat nicht mehr aktuell ist, weil Abu-Jamal mittlerweile seit 19 Jahren im Gefängnis sitzt – davon geht für Bettina Wegner die Welt nicht unter. Auch wenn mal an einem Mittwoch das Wetter nicht mitspielt, sie erkältet ist oder sie vielleicht einfach Lust auf anderes hat, steht sie zwischen 16 und 17 Uhr am Tisch mit den Unterschriftenlisten an Präsident George W. Bush. Der Grund: „Es ist nur eine lumpige Stunde. Ihm geht es dreckiger.“ Außerdem wollen sie und ihre Mitstreiterin, die ihr zu Freunden geworden sind, zeigen, dass nicht jeder einverstanden ist. „Das reicht als Grund, den Arsch aus dem Sessel zu kriegen“, sagt sie mit ihrer berlinerisch-schnodderigen Art.

Vor über zweieinhalb Jahren sah Bettina Wegner einen Film über Abu-Jamal. Seitdem beschäftigt sie sich mit seinem Schicksal. Nachdem sie anfänglich mit Trotzkisten zu tun hatte – „Mit denen konnte ich mich nicht identifizieren“ –, wandte sie sich auf der Suche nach Informationen an amnesty international und die Gesellschaft für bedrohte Völker. Anfangs fand die Mahnwache vor der amerikanischen Botschaft in der Neustädtischen Kirchstraße statt. Doch weil sich dorthin nur wenige Passanten verirren, wurde der kleine Stand vor das Café Einstein Unter den Linden verlegt.

Zu Beginn wurden noch Kopien der Unterschriftenlisten bei der Botschaft abgegeben. Als die Angestellten die Listen irgendwann nicht mehr annahmen, schickte Bettina Wegner sie über einen Bremer Verlag an Abu-Jamals Anwalt. Weil der Inhaftierte kürzlich seinen Verteidiger wechselte, ist derzeit der Adressat für die dicken Briefumschläge zwar unklar. Doch die Liedermacherin ist überzeugt: „Das kommt schon richtig an.“

Bettina Wegner, die immer noch als Liedermacherin durch das Land reist – mit alten und neuen Liedern –, fühlt sich nicht als Weltverbesserin. Nicht mehr. „Ich kann die Welt nicht retten“, sagt sie. „Diese Erkenntnis hat sich mit dem Alter eingestellt.“ Deshalb und um sich nicht zu „verzetteln“, konzentriert sie sich auf Aktionen für Asylbewerber und Roma – „angeschissene Gruppen“, wie sie sagt – und auf Einzelschicksale. Ihre Motivation dazu beschreibt sie mit einem Satz aus dem Talmud: „Wer ein Menschenleben rettet, rettet eine ganze Welt.“

Die im Westen geborene und im Osten aufgewachsene Wegner, die 1983 nach vielen Schikanen nach Westberlin ging, hat sich äußerlich kaum verändert: Sie trägt Schlabberrock, Sandalen und eine dünne Goldrandbrille. Sicher, sie ist älter geworden. Doch auch gelassener. „Ich bin als Heulsuse und Gutmensch verschrien, die mit den kleinen Händen“, sagt sie lachend und zieht an der Zigarette. Ihr ist das egal. Wenn das Publikum „Sind so kleine Hände“ hören will, singt sie es. Basta.

Dabei hat sie in den letzten Jahren erfreut festgestellt, dass es weniger Männer und Frauen ihrer Generation, sondern deren Kinder sind, die das mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnete Lied immer wieder hören wollen. „Meine eigene Generation scheint sich zu Tode gelangweilt zu haben“, sagt sie. Und wenn die „Alten“ nicht wissen, dass sie auch Punklieder gemacht hat, ist ihr auch das egal.

In den jüngsten Liedern von Bettina Wegner ist viel die Rede von Liebe, Verlassenwerden und Traurigsein. Der Grund: „Ich hasse die coole Scheiße. Keiner darf weinen, das geht mir auf den Sack.“ Auf den „Märchenprinz“ wartet Bettina Wegner, die zwölf Jahre lang verheiratet war, noch immer. „Doch die Prinzen platzen als Knallfrösche“, sagt sie und lacht. Dann wird sie ernst: „Ich wünsche mir, mich zu verlieben“, sagt sie, um gleich wieder zum Lachen zu wechseln: „Ich möchte auch nicht mit mir zusammen sein.“

Wirklich bedauern tut die Liedermacherin, dass es immer weniger Menschen gibt, die sich engagieren wollen. Früher habe sie nicht dieses Gefühl gehabt, „alleine zu sein“. Deshalb ist sie froh, außer auf Freunde auch auf ihre drei längst erwachsenen Söhne zählen zu können. Diese, zwei sind Sozialhilfeempfänger und einer hat eine ABM-Stelle, würden sie zwar als „kleine, arme Mama“ sehen, wenn sie jeden Mittwoch loszieht. Doch „wenn Not am Mann ist“, seien sie da. Mit dieser Gewissheit und der Unterstützung ihrer Mitstreiter wird Bettina Wegner so lange Unterschriften sammeln, bis Abu-Jamal frei ist.

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