piwik no script img

„Viele sind studierunfähig“

Bei der Schmalspur-Polizeiausbildung bleibt die Qualität als Ergebnis des Sparzwangs auf der Strecke. Innensenator kündigt „ernsthafte“ Reformen an  ■ Von Kai von Appen und Magda Schneider

Fachhochschulausbildung und Diplom in zwei Jahren – Das gibts nur bei der Polizei in Hamburg. Die trotz aller Bedenken eingeführte Schmalspurausbildung – auch „Aldi-Diplom“ genannt – hat wie von KritikerInnen stets befürchtet auf das Ausbildungsniveau katastrophale Auswirkungen. Gerade bei staats-, gesellschafts- und rechtwissenschaftlichen Grundlagenwissen treten bei den PolizistInnen gravierende Defizite zutage. „Beim Diplom wird getrickst und manipuliert, damit die Behörde die Quote an Nachwuchs für den gehobenen Dienst erreicht“, lautet die polizeinterne Kritik. Und damit nicht genug: Die seit vier Jahren praktizierten Zugangsprüfungen zur „Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung – Fachbereich Polizei“ sind vom Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt worden. Für Innensenator Olaf Scholz (SPD) besteht Handlungsbedarf: „Das ist eine wichtige Aufgabe für die nächste Legislatur, Übergangsregelungen sind schon umgesetzt worden,“ so Scholz zur taz.

Nach den Richtlinien beträgt ein Hochschulstudium in der Regel vier bis für Jahre – also acht bis zehn Semester. Im Fachbereich Polizei waren es bis 1997 sechs Einheiten – davon vier theoretische und zwei Praxissemester. Verfügte ein Polizeianwärter des mittleren Dienstes – ein so genannter „Aufstiegsbeamter“ – nicht über Fachhochschulreife, war zudem noch eine halbes Jahr Fachoberschulausbildung notwendig. Für Seiteneinsteiger, die keine traditionelle Polizeiausbildung absolviert haben, waren zusätzliche Praxis-Einheiten vorgesehen. Damit sollten nicht nur die allgemeinen Kriterien für einen Hochschulausbildung erfüllt, sondern auch gewährleistet werden, dass die künftigen HüterInnen des Gesetzes – die als Kommissare besondere Verfügungsgewalt besitzen und daher über besondere Kompetenzen in der Kriminialtätsbekämpfung und Personalführung verfügen sollten – ausreichendes Basiswissen in Staats- und Gesellschaftskunde haben.

SPD-Innensenator Hartmuth Wrocklage kam 1996 noch im Bündnis mit der Stattpartei als Sparkommissar dann die Idee, die gehobene Laufbahn einfach zu straffen und so genannte „Synergieeffekte“ zu nutzen. „Wrocklage hat damit den wesentlichen Teil seines Sparvolumen im Haushalt erfüllt“, werfen ihm Experten vor. Wrocklages simple Formel: Wenn eine junge Frau oder ein junger Mann zwei Jahre die Polizeischule absolviert und Praxisdienst bei der Bereitschaftspolizei durchlaufen haben, verfügen sie schon über soviel Wissen, dass ihnen zwei Semester geschenkt werden können – besser gesagt: der Behörde, die ja die Ausbildung nebst Gehältern finanziert. „Fakt ist aber, die haben null Ahnung“, sagen Praktiker. „Die haben völlig unzulängliche Kenntnisse bezüglich des Studienstoffes der ersparten zwei Semester.“ Dennoch blieb Wrocklage dabei, die Ausbildung auf vier Semester zu kürzen.

Als er das Konzept der verkürzten Ausbildung in der Bürgerschaft gegen das Votum des damaligen Wissenschaftssenator Leohard Hajen durchgeboxte, der die ohnehin „schon verkürzten Studienanforderungen für Aufstiegsbeamte“ nicht toll fand, gab es zumindest noch einige Proteste. Die GAL sprach von einer „Exekution der Ausbildung“, die gerade vor dem Hintergrund der Ergebissen aus den Untersuchungen zum Polizeiskandals „eine Katastrophe“ sei. Das „Aldi-Diplom“, so GALier Manfred Mahr, sei mit dem Begriff „Studium“ und einem akademischen Grad nach dem Hochschulrecht nicht vereinbar. Und auch die Polizeigewerkschaften aller Couleur geißelten die Maßnahme als das Ende einer anspruchsvollen Polizeiausbildung.

Um die verkürzte Hochschulausbildung wasserdicht zu bekommen, musste die Laufbahnverordnung überarbeitet werden, um Rechtskollisionen zu anderen Hochschulen zu umschiffen. In Folge wurde die Zugangsverordnung zum Studium geändert. Danach sollten künftig drei Klausuren als Voraussetzung für die Aufnahme sein, die von einer Jury aus sechs Professoren oder fachkompetenten DozentInnen bewertet werden. Die Folge: 1997 lag die Durchfallquote zunächst bei über 40 Prozent, 1998 sogar bei 50 Prozent, weil den AnwärterInnen die Voraussetzung für Absolvierung des um fast die Hälfte komprimierten Ausbildung fehlten – obwohl sich der Fachbereich redlich bemühte, die Prüfungen „bestehensfreudlich“ zu konzipieren und zu korrigiern. Das Geschrei über mangelnden Nachwuchs in der Behördenleitung und den Standesorgansiationen war entsprechend laut.

Im Januar 2001 dann der große Knall. Das Verwaltungsgericht hat auf Klage zweier PolizistInnen im Prinzip alle Zugangsprüfungen der vorigen Jahre für rechtswidrig erklärt. Grund: Die Klausuren waren – bis auf Ausnahmen – nicht von der Prüfungskommission zensiert, sondern von zwei „Korrekturassistenten“ bewertet worden. Und dabei ist oft gegen den Gleichheitsgrundsatz wegen falscher Benotung verstoßen worden. Trotz dieses Rüffels wurde selbst noch im Februar 2001 bei den Zugangsprüfung am alten Prozedere festgehalten. Seltsam: Obwohl sich inhaltlich nichts geändert hat, liegt die Durchfaller-Quote nur noch bei fünf Prozent. „Politische Vorgaben“, sagen die Kritiker.

Diese ganzen Umstände hat für die gesamte Ausbildung gravierende Folgen. „Es ist erschreckend“, sagen Experten, „aber viele sind einfach nicht studierfähig.“ Wenn ein Polizist oder eine Beamtin mehrere Jahre „auf dem Bock gesessen hat“ – Polizeijargon für 24-Stunden-Schichtdienst im Streifenwagen – müssten sie erst wieder „lernen, zu lernen“. Doch dazu fehlt die Zeit, da der umfangreiche Stoff in der komprimierten Studienzeit vermittelt werden muss. Im Klartext: „Ein solches ,Studium' ist eigentlich herausgeworfenes Geld. Wenn man sie zu Kommissaren befördern will, dann soll man das machen, aber das teure Studium kann man sparen“, die resignative Botschaft unter Haushalts-Aspekten.

Doch im allgemeinen Rufen nach mehr Stellen bei der Polizei spielt die Debatte um Qualität offenbar keine Rolle mehr. Der Sprecher der Bundesrarbeitgemeinschaft Kritischer Polizisten, Thomas Wüppesahl, bis 1993 selbst im Hochschulrat der Polizei-Akademie: „Es geht zurück in die 60er Jahre. Genau dass, was die Grünen damals zur Polizeiausbildung gesagt hatten, bestätigt sich. Jetzt, wo sie mit an der Macht sind und endlich Möglichkeiten hätten, unsere Ausbildung zu verbessern, gibt es einen Rückfall in die prä-grüne Zeit“, kritisiert er. „Für uns Kritische ist das schwer nachvollziehbar.“

Innensenator Scholz signalisiert ein offenes Ohr, ohne Schnellschüsse verkünden zu wollen. „Die Polizeiausbildung ist eines der wichtigsten Felder und ein zentraler Punkt“, betont Scholz, „da muss ernsthaft und sorgfältig vorgangen werden.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen