: Die neue Liebe bei den Grünen
Die Grünen entscheiden über ihre Landesliste für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin. Am Donnerstag stellten sich die Bewerber schon einmal der Parteibasis. Bundes- und Landespartei demonstrieren Einigkeit. Denn gemeinsam ist ihnen die Angst vor dem roten Kandidaten: Gregor Gysi
von ANDREAS SPANNBAUER
Einen Moment lang ist Till Heyer-Stuffer wortlos. Ausgerechnet als der Landesvorstandssprecher der Grünen zum Auftakt die Einigkeit der Partei beschwören will, kommt es im Publikum kurzzeitig zum Eklat.
Hautnah wollen sich die Kandidaten für die Landesliste der Grünen an diesem Donnerstagabend bei drückender Hitze unter dem Motto „Stimme sucht Kandidatin“ der Parteibasis präsentieren. Doch für den Biologen Joachim Eul, der sich mit den Themen Drogenpolitik und Gentechnik für einen hinteren Listenplatz bewirbt, wird das unverbindliche Kennenlernen plötzlich zum Vollkontakt. Unvermittelt schüttet jemand dem Bewerber in dem abgedunkelten Veranstaltungssaal ein Glas Bier ins Gesicht, ruft: „Du willst doch Ecstasy und Gentechnik legalisieren!“. Blitzschnell zerren breitschultrige Personenschützer, sonst eher seltene Gäste auf Veranstaltungen der Landespartei, den Störer aus dem Saal.
Die Präsenz der Sicherheitsmänner auf der kurzfristig aus dem Boden gestampften Veranstaltung im Tränenpalast, dem ehemaligen Ost-West-Übergang am S-Bahnhof Friedrichstraße, verweist darauf, dass an diesem Abend nicht nur Politiker des Landesverbandes, sondern auch der Bundespartei anwesend sind. Demonstrativ hat die Bundestagsfraktion nach den jüngsten Querelen mit der Hauptstadtabteilung ihr jährliches Sommerfest in den zum Tränenpalast gehörigen kleinen Biergarten an der Spree verlegt und darf deswegen zur Begrüßung, wie ein paar Tage zuvor Edmund Stoiber beim durch Eierwürfe gestörten Wahlkampfauftakt der Union auf dem Alexanderplatz, das traditionell etwas rauere Klima der politischen Auseinandersetzung in der Hauptstadt live beobachten.
Eigentlich aber will die Partei Geschlossenheit demonstrieren. Landesvorstandssprecher Heyer-Stuffer lobt die Kollegen aus dem Bundestag für ihre Anwesenheit, die Parteivorsitzende Claudia Roth schwört die Parteikollegen auf die „schwere Herausforderung“ des Wahlkampfs ein, preist die designierte Spitzenkandidatin und „Spitzenfrau“ Sibyll Klotz und wünscht ihr ein „Spitzenergebnis“ bei der Wahl zur Landesliste. Vor allem aber appelliert sie an die Parteibasis, „Mäkeleien und Gejammer“, die in den vergangenen Wochen aus den eigenen Reihen gekommen seien, zu unterlassen. Das, so Roth, habe sie „wirklich geärgert“. Klotz bedankt sich ihrerseits über das Auftreten der Bundesprominenz: „Euer Erscheinen signalisiert Unterstützung, und so nehmen wir das hin und freuen uns darüber.“
Schon die Tatsache, dass in diesen Wochen stets Roth als Vertreterin des linken Flügels in der Parteispitze den Kontakt zum Berliner Landesverband unterhält, während sich ihr männliches Pendant, der Baden-Württemberger Fritz Kuhn, inzwischen im Berliner Wahlkampf merkwürdig still verhält, ist Ausdruck des komplizierten Verhältnisses zwischen Bundes- und Landesebene. Jüngst war der Konflikt eskaliert, als aus der Parteispitze eine mögliche Spitzenkandidatur des Abgeordneten Cem Özdemir lanciert worden war. Özdemir, so das Kalkül der Bundespartei, sollte das Image des Landesverbandes auffrischen und das Profil der Grünen als Partei der „multikulturellen Demokratie“ (Parteichefin Roth) personell verkörpern. Vor allem aber hatte man in der Bundespartei auf die Bedeutung des Berliner Wahlkampfes reagieren wollen, der von allen Parteien als Testlauf für die Bundestagswahl 2002 gewertet wird.
Doch in der Zentrale der Berliner Grünen in der Kreuzberger Oranienstraße stieß der Vorschlag auf wenig Gegenliebe. Der liberale Schwabe Özdemir sei wenig geeignet, die weiter links angesiedelte Wählerschaft der Grünen in Berlin zu mobilisieren, fürchteten die einen. Andere nahmen eine mögliche Bewerbung des Innenpolitikers Özdemir als Affront gegen den profilierten Frontmann der Berliner Grünen, Wolfgang Wieland, wahr, vor seiner Berufung zum Justizsenator ebenfalls mit Angelegenheiten des Inneren befasst. Özdemir legte den Streit bei, als die Schlacht bereits verloren war. Als „überzeugter Schwabe“ wolle er im Bundestag verbleiben, der Berliner Landesverband sei zudem nicht an ihn herangetreten.
Gerade rechtzeitig: Eine Fortführung der Affäre, da ist man sich in der Partei an diesem Abend einig, wäre einem Kopfsprung in einen ausgetrockneten Baggersee gleichgekommen. Ein „Kommunikationsfehler“ sei die Sache mit Özdemir gewesen, sagt Spitzenkandidatin Klotz, die sich jüngst mit Özdemir traf, um die Probleme endgültig auszuräumen. Jetzt soll der Schwabe, immerhin, gelegentliche Unterstützung leisten.
Denn auch ohne hausgemachte Querelen werden die Wahlen im Herbst zu einer schweren Prüfung für die grüne Partei. Schuld daran ist das Gespenst des Kommunismus, das für die Grünen Gregor Gysi heißt und in diesen Tagen von der Ökopartei nahezu ebenso heftig bekämpft wird wie von den Kalten Kriegern der CDU. Die Möglichkeit eines Regierungswechsels mit Hilfe der PDS hat nämlich nicht nur einen Sturz der großen Koalition ermöglicht, sondern auch die Frage nach der Überlebensfähigkeit der grünen Partei neben einer starken PDS aufgeworfen. Die Enttabuisierung der PDS hat paradoxerweise den Grünen den Weg an die Regierung geebnet und diese gleichzeitig vor erhebliche Probleme gestellt. Rein rechnerisch reicht laut Umfragen eine Zusammenarbeit von PDS und SPD für die Regierungsbildung aus. „Die Grünen werden nicht mehr gebraucht“, freute sich unlängst der Berliner PDS-Fraktionsvorsitzende Harald Wolf. In den Umfragen haben die Grünen seit der Bekanntgabe der Kandidatur Gysis ganze fünf Prozent verloren und liegen mit neun Prozent nun wieder bei ihrem Ergebnis von 1999.
Angst vor Gysi, so heißt es hinter vorgehaltener Hand, sei auch das Motiv für eine verstärkte Einmischung der Bundespartei gewesen. Es sei „kein Geheimnis“, dass vor allem die mediale Präsenz des „Schmierenkomödianten“ Gysi für die Grünen problematisch werden könne, meint auch Klotz. Sie hofft darauf, dass der Talkshow-Vorsprung Gysis bis zum Herbst schrumpfen wird. Die PDS habe sich „noch effekthaschender als die FDP“ gezeigt, schimpft Justizsenator Wieland, selbst kein Feind von polemischen Zwischenbemerkungen, eher pflichtgemäß.
Bis dahin müssen sich die Grünen alle Mühe geben, die Konkurrenten von links zu diskreditieren. Verbraucherschutzministerin Künast schimpft die PDS bereits eine „konservative Partei“, die nicht für eine moderne Politik stehe. Manch andere muss für den Kampf gegen die Konkurrenz noch ein wenig üben. Die PDS, so will die Parteivorsitzende Roth ihr Publikum an diesem Abend aufmuntern, erinnere sie an jemanden, der in Bayern aufgewachsen sei, an die katholische Kirche. Dann sagt sie den Satz: „Die katholische Kirche hat 500 Jahre gebraucht, um anzuerkennen, dass die Erde eine Scheibe ist – ich hoffe, dass es bei der PDS keine 500 Jahre dauert.“ Erst als aus dem Auditorium amüsiert die Schreie „Rund! Rund!“ erschallen, korrigiert sich die Parteichefin.
Welche der anwesenden Kandidaten und Kandidatinnen, die sich bis in den späten Abend fleißig den Fragen der Parteibasis stellen, ihren Namen tatsächlich auf einem aussichtsreichen Listenplatz wiederfinden werden, wollen die Grünen dieses Wochenende auf einer Mitgliedervollversammlung entscheiden. Unter den neuen Bewerbern für eine Kandidatur finden sich der Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB), Safter Cinar, die bisherige Landesvorstandssprecherin Regina Michalik, der Rechtsanwalt Volker Ratzmann oder der grüne Gesundheitsexperte Johannes Spatz. Nicht mehr ins Parlament wollen der Abgeordnete Bernhard Weinschütz und der jetzige Koordinator der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung, Bernd Köppl.
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