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Starterlaubnis für Aufklärer

Der PDS-Spitzenkandidat Gregor Gysi macht seine Partei regierungsfähig. Selbst für Probleme, die er nicht lösen kann, hat er schon eine Lösung parat. Dafür stellt die PDS ihn an die Spitze: mit 91 Prozent

von ANDREAS SPANNBAUER

Wer verstehen will, welche riesigen Fortschritte die PDS gemacht hat, der muss wissen, dass die Partei noch vor zwei Jahren bei ihren Parteitagen darum bat, den genauen Ort der Veranstaltung nicht zu verraten. Der Vermieter der Räume hatte schlicht Angst vor dem schlechten Ruf der unfreiwilligen Outlaw-Partei. An diesem Wochenende wehen vor dem renommierten Hotel Maritim pro arte in der Friedrichstraße drei große rote PDS-Fahnen im Wind. Zwischen ihnen eine einzelne blaue Fahne der Bankgesellschaft Berlin, die auch hier tagt und deren Krise den Weg für eine mögliche Regierungsbeteiligung frei gemacht hat.

Ohne die PDS, das soll die Auswahl des Tagungsortes für die Nominierung des Spitzenkandidaten Gregor Gysi und die Verabschiedung des Wahlprogramms signalisieren, geht in der Berliner Politik zukünftig nichts mehr. „Wir setzen nicht auf Platz, wir setzen auf Sieg“, sagt der Fraktionsvorsitzende Harald Wolf entschlossen. Für den Fall eines solchen Sieges aber schwört Wolf die Delegierten vorsorglich schon einmal auf den Preis einer Regierungsbeteiligung ein. „Wir können nicht mehr allen alles versprechen“, warnt er, spricht von „harten Einschnitten“, als wäre der Geist von Bundesfinanzminister Hans Eichel in ihn gefahren. „Es ist nicht sozial gerecht, wenn täglich 11 Millionen Mark Zinsen an die Banken gezahlt werden“, erklärt Wolf den Delegierten seine Direktive Sparen, Sparen, Sparen.

Bei den meisten trifft dieser Kurs auf Zustimmung. Zwar gibt es einige Hinweise wie den des Abgeordneten Michail Nelken, der befürchtet, dass „Minderheiten und sozial Schwache in dieser Stadt einen Anwalt verlieren“. Wer Regierungspolitik mache, so fomuliert Nelken klar, könne keine Minderheitenpolitik machen. Dies sei „ein zentrales politisches Risiko für die PDS“. Doch eine ernst zu nehmende Diskussion über diese Fragen findet nicht statt. Ein Antrag, der als Bedingung der PDS für eine Regierungsbeteiligung eine Bundesratsinitiative zum Stopp der Steuerreform formuliert und „Banken, Konzerne und Großverdiener für die Haushaltskonsolidierung heranziehen“ möchte, enthält eine Hand voll Stimmen.

Spätestens der designierte Spitzenkandidat Gregor Gysi lässt in seiner Antrittsrede auch den letzten Zweifler verstummen. Gysi tritt hinter das Rednerpult, geht einen Schritt zurück, schiebt ein kleines Bänkchen beiseite, das ihn einen Kopf größer machen sollte, und steht plötzlich in Lebensgröße vor dem Publikum. Sein erster Satz lautet: „Ich stehe für Realitäten, nicht für Illusionen.“

Gleich zu Beginn stellt Gysi jene Frage, die ihm immer wieder gestellt wird: Gibt es eine Differenz zwischen Gysi und der PDS? Die Antwort lautet: „Kein Einzelner kann je mit einer Partei identisch sein.“ Der tiefere Sinn dieser Ausführungen: Er, Gysi, werde nicht nur den Ist-Zustand der PDS repräsentieren, sondern auch „ein bisschen die Zukunft vorwegnehmen“. Gysi gibt in diesem Wahlkampf nicht den Kandidaten der PDS, sondern den Kandidaten Gysi: „Meine Kandidatur ist ein Angebot an euch und an diese Stadt.“

Dann zählt er auf, was er als Regierender Bürgermeister tun würde: „Wir müssen es endlich schaffen, diese Stadt zu vereinen.“ Aber ist das überhaupt eine linke Frage? Selbstverständlich, denn „die Ost-West-Widersprüche vernebeln die wirklichen Widersprüche zwischen Reich und Arm“. Die Vereinigung aber könne, so Gysi, nicht über eine gemeinsame Bewertung einer unterschiedlichen Vergangenheit, sondern nur über eine gemeinsame Zukunftsaufgabe erreicht werden.

Eine solche Aufgabe hat Gysi auch parat: die Hauptstadtfunktion Berlins. Dabei gehe es nicht um eine „reaktionäre Variante mit einem revitalisierten Nationalismus“, sondern um eine Motorfunktion Berlins in sozialer, wissenschaftlicher und kultureller Hinsicht. Denn selbstverständlich will ein Regierender Bürgermeister Gysi mit der Stimme Berlins im Bundesrat auch „Bundespolitik machen“.

Vor allem aber gibt er den Genossen Nachhilfe in dem umstrittenen Punkt sozialistische Privatisierungen: „So weit das Land Berlin mit seiner Beteiligung an einem Unternehmen Geld macht, behalten wir es. So weit es kein Geld macht, stellt sich die Frage, ob die Beteiligung des Landes für einen sozialen und ökologischen Ausgleich erforderlich ist. Wenn nicht, verkaufen wir es.“ Einzelfallprüfung also. Auch die Tatsache, warum er „Regierender Bürgermeister einer kapitalistischen Metropole werden“ wolle, kann Gysi plausibel erklären: „Es gibt im Moment keine sozialistische, die mich interessieren würde.“

Das klingt witziger als zuvor die gespreizten Ausführungen der Bundesvorsitzenden Gabi Zimmer. Die PDS stehe „in prinzipieller Opposition zu den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen“, erkenne jedoch „ausdrücklich die bestehenden zivilisatorischen, demokratischen und sozialen Fortschritte“ an, sagte Zimmer.

Vor allem aber impft Gysi der PDS den Sinn einer reibungslosen Regierungsbeteiligung einer früheren Oppositionspartei ein. „Wir können niemandem sagen, wir können in achtzig Jahren etwas für ihn tun, bis dahin soll er unsere Programme lesen.“ Nach fünf Jahren PDS-Beteiligung an einer Regierung, sagt Gysi, müsse jeder spüren: Es geht gerechter zu als vorher. Selbst für den Fall, dass dies nicht der Fall sein sollte, weiß er bereits Rat: „Wir werden die Grenzen von Politik deutlich machen, das ist ein wichtiger Aufklärungsbeitrag.“ Dann wird Gysi – selbstverständlich – gewählt: mit 91,2 Prozent.

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