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Kein Freund und Helfer

Polizeiruf 110: Anzeige wegen unterlassener Hilfeleistung  ■ Von Kai von Appen und Andreas Speit

Wer nichts macht, macht mit: Dieser Slogan der Hamburger Polizei soll Mut machen. Doch wenn junge HamburgerInnen Zivilcourage beweisen, um Ausländer vor einem Überfall zu schützen und dabei selbst in Not geraten, können sie sich der Hilfe der Polizei nicht unbedingt sicher sein.

Vor zwei Wochen war Hanna M. mit einem Freund und einer Freundin auf Piste auf dem Kiez. Am frühen Sonntagmorgen legten die drei im London Pub am Hans-Albers-Platz einen Stopp ein. In dem Pub kamen sie mit einer Gruppe Engländer ins Gespräch – Soldaten, die in Bergen-Belsen stationiert sind. In den Morgenstunden trennte man sich wieder.

Plötzlich tauchte gegen 8.30 Uhr auf dem Platz eine Gruppe von acht bis zehn Männern auf und attackierte sofort die Engländer. „Sie waren nicht als Rechtsradikale erkennbar“, berichtet die 22-Jährige, obwohl sie Bomberjacken, Springer-Stiefel und Militärhosen getragen hätten. „Verpisst euch, geht auf eure Insel zurück“, hätten sie geschrien und mit Fäusten und Flaschen auf die Engländer eingeprügelt. Hanna und ihre Freunde versuchten dazwischenzugehen, die Angegriffenen flüchteten in die Seitenstraßen. „Ich hab' gesehen, dass einer verletzt war und blutete und bin dann hinterher, um zu helfen.“ Der Mann hatte Schnittwunden an der Hand. Dann kehrte Hanna zu ihren Freunden auf den Platz zurück, wo sie von den jungen Erwachsenen und einer dazugekommenen Frau als „Flittchen“ und Nutte“ beschimpft und bedroht worden sei: „Wir machen euch fertig.“

Über Hannas Handy ruft der Freund den Polizeinotruf 110 an und bittet um „schnelle Hilfe“. Der Beamte am anderen Ende habe gefragt, „ob Waffen zu sehen sind“. Das wird verneint, woraufhin der Anrufer den polizeilichen Rat bekommt: „Wenn Sie bedroht werden, gehen Sie doch einfach weg.“ Dann habe der Beamte das Telefonat beendet. Hannas Begleiter versucht es erneut, diesmal ist jemand anderes dran. „Ihr Kollege hat gerade aufgelegt, wir werden aber bedroht und brauchen dringend Hilfe“, ruft er. „Mein Kollege hat ihnen doch gerade gesagt“, erwidert der Beamte, „dass sie weggehen sollen“, und legt ebenfalls auf. Aufgrund der Telefonate ließen die Angreifer allerdings von dem Trio ab, so dass dieses sich über die Reeperbahn in die Davidwache retten kann.

Dort befinden sich bereits drei der Engländer, um Anzeige zu erstatten. Allerdings streiten sie sich zunächst mit einer Beamtin, die nicht gut Englisch spricht. „Wenn die schon hierher kommen, sollen sie auch Deutsch können“, habe diese gefaucht. Von den Notrufen hatte sie keine Kenntnis, entschuldigt aber nach Hannas Vorhaltungen ihre Kollegen: „Wir sind hier völlig unterbesetzt, wenn sie sich beschweren wollen, schreiben sie dem Polizeipräsidenten.“

Das hat nun Hannas Anwältin Ursula Ehrhard getan: Sie legte Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Zudem stellte sie eine Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung. Die Regenbogen-Gruppe, die ebenfalls von den Vorkommnissen erfuhr, will eine parlamentarische Aufklärung herbeiführen. 100 Tage hat nun das polizeiinterne Dezernat Interne Ermittlung Zeit, um die fraglichen Telefonprotokolle zu beschlagnahmen. „Falls sie nicht inzwischen“, so süffisant ein Insider, „bereits gelöscht worden sind.“

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