: Ein Präsident mit weißer Weste
Genuas Polizeichef verteidigt gegenüber grünen Politikern den Sturm auf das Social Forum: Auf seine Carabinieri seien Flaschen geworfen worden
aus Genua JENS KÖNIG
Francesco Colucci ist an diesem Vormittag wie aus dem Ei gepellt. Er trägt trotz der Hitze einen tadellosen dunkelblauen Anzug, ein hellblaues Hemd, einen rot gepunkteten Schlips. Er sieht ausgeruht aus. Er sitzt in seinem braunen, schweren Ledersessel, als hätte er alle Zeit der Welt.
Colucci ist in diesen Tagen ein gefragter Mann, denn er ist Polizeipräsident von Genua, also Chef der Carabinieri, die in ganz Europa in der Kritik stehen, weil sie gegen die Demonstranten beim G-8-Gipfel mit äußerster Brutalität vorgingen. Für den Nachmittag hat sich deswegen der italienische Innenminister bei Colucci angesagt. Seit Tagen berichten die italienischen Zeitungen ausführlich über die Übergriffe der Polizei, auch über die Reaktionen darauf in Europa. „Deutschland klagt Italien an“, lautet heute die Schlagzeile auf Seite 1 von La Repubblicca.
Genau das ist der Grund dafür, dass Colucci an diesem Vormittag Christian Ströbele und Annelie Buntenbach empfängt. Die beiden Bundestagsabgeordneten der Grünen sind seit Mittwoch in Genua, um sich über den Polizeieinsatz während des Weltwirtschaftsgipfels zu informieren, die inhaftierten Deutschen in den Gefängnissen zu besuchen und mit den Verletzten in den Krankenhäusern zu sprechen. Ströbele und Buntenbach hatten nie und nimmer mit einer Zusage Coluccis gerechnet. Aber dann ein Anruf in der Questura, und ein paar Minuten später war der Chef persönlich in der Leitung. Kein Problem, kommen Sie vorbei, ich freue mich auf Ihren Besuch, säuselte er ins Telefon.
Colucci begrüßt Ströbele und Buntenbach freundlich. Doch bevor die beiden Abgeordneten Fragen stellen, möchte er ein paar Sachen zurechtrücken: Alle, die in Genua friedlich demonstrieren wollten, hätten das auch gedurft. Alle anderen, also diejenigen, gegen die seine Polizei vorgegangen ist, seien Gewalttäter gewesen. „Subversive Elemente“, sagt Colucci.
Ströbele und Buntenbach hätten es gern ein bisschen konkreter. Sie fragen nach dem brutalen Überfall der Polizei auf das „Genoa Social Forum“ in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag, bei dem mehrere hundert Demonstranten zusammengeschlagen und verhaftet worden waren. No,no, no, sagt Colucci, streckt sich in dem Ledersessel und beugt seinen Oberkörper nach vorn. Das sei ganz anders gewesen. Aus der Schule, in der die Demonstranten übernachtet hätten, seien Steine und Flaschen geworfen worden. Die Polizei habe daraufhin Kontakt mit Vertretern des „Genoa Social Forum“ aufgenommen. Diese hätten gesagt, sie könnten die Lage in der Schule nicht mehr unter Kontrolle halten, es seien mittlerweile zu viele Gewaltbereite unter ihnen, auch Leute vom so genannten schwarzen Block.
Daraufhin habe die Polizei die Schule durchsuchen wollen. Gewaltbereite Demonstranten hätten aber alle Türen verbarrikadiert und das Licht gelöscht. Also sei die Polizei gewaltsam in die Schule rein, so Colucci. Dort seien sie mit Messern und Flaschen angegriffen worden. Die Bilanz: 17 verletzte Polizisten. Über die verletzten Demonstranten verliert der Polizeichef kein Wort. „Die Aktion war absolut gerechtfertigt“, sagt er noch.
Ströbele und Buntenbach geben die Schilderungen der verletzten deutschen Demonstranten wieder, die in der Schule übernachteten. Die besagten das genaue Gegenteil: brutale, wahllose Prügeleien der Polizisten, obwohl viele Leute in ihren Schlafsäcken gelegen oder sogar schon geschlafen hätten. Einige von ihnen haben die beiden Abgeordneten in den Krankenhäusern von Genua besucht: Jugendliche mit Schädeltrauma, Blutgerinseln im Kopf, gebrochenen Rippen, zertrümmerten Unterkiefern.
Colucci streckt seinen Zeigefinger in die Luft und bewegt ihn plötzlich ganz hektisch von rechts nach links und von links nach rechts, so als wolle er das hier nicht hören. Sehen Sie, sagt er, 25 der verhafteten Deutschen seien in Deutschland schon einmal straffällig gewesen. Das habe ihm das BKA bestätigt. Warum dann bis zum heutigen Vormittag die meisten Deutschen von den Haftrichtern freigesprochen worden sind, will Ströbele wissen. No, no, no, sagt der Polizeichef, der immer gereizter wird. Freigelassen heiße noch lange nicht, dass sie unschuldig seien. Man habe ihnen nur nichts beweisen können. Schließlich sei es in der Schule dunkel gewesen.
So geht das noch eine halbe Stunde lang. Ströbele und Buntenbach fragen – Colucci wiegelt ab. Ob sie die Namen der Vertreter des „Social Forum“ haben könnten, die vor dem Überfall mit der Polizei gesprochen hätten? No, die Ermittlungen laufen noch. Ob er als Polizeichef gegen eine Internationale Untersuchungskommission sei, die die Vorgänge untersucht? Das müsse der Innenminister entscheiden. Warum die freigelassenen Deutschen des Landes verwiesen werden? Das sei eine Anordnung des Präfekten von Genua, auf Anweisung des Innenministeriums in Rom.
Wenn der Genueser Polizeichef mal nicht sofort weiterweiß, springt ihm Francesco Mortola bei. Mortola ist Chef der Bundespolizei, die für den Überfall auf die Schule verantwortlich ist. Sein Hemd ist genauso hellblau wie das von Colucci – und seine Weste ist genauso weiß. Als das Gespräch zu Ende geht, hat sich Colucci wieder gefangen. „Danke, dass Sie da waren“, sagt er zu seinen Besuchern und reicht ihnen freundlich die Hand.
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