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„Das ist absurdes Kasperletheater“

ARD-Urgestein Rudi Michel (79) über die Ideen der Öffentlich-Rechtlichen im Kampf gegen den Fußballrechteinhaber Leo Kirch, seine größten Fehler und seit 1966 nicht enden wollende Diskussionen

taz: Herr Michel, ab heute gibt’s die Bundesliga im Fernsehen erst ab 20.15 Uhr. Ist das der letzte Schritt zur Show?

Rudi Michel: Nein, das glaube ich nicht. Man hat den Fußball ja nicht in erster Linie wegen der Showeffekte auf diesen Sendeplatz gesetzt, sondern weil das Bezahlfernsehen von Herrn Kirch nicht auf die Beine kommt. Kirch ist ja mit der „ran“-Sendung nicht auf 20.15 Uhr gegangen, weil er anderen Sendern Konkurrenz machen möchte, sondern er kalkuliert mit der Verärgerung der Fans und hofft, dass sie deswegen einen Decoder für sein Bezahlfernsehen kaufen.

Und? Wird der Fan loslassen, oder wird er zahlen, um sich die Spiele live bei Kirch anschauen zu können?

Das ist für mich fast schon eine gesellschaftspolitische Frage: Ob die Menschen das mit sich machen lassen und ob Kirch mit diesem Mittel von 2,3 Millionen Abonnenten wirklich auf 3 Millionenkommt. Wenn er bei 2,5 Millionen stecken bleibt, geht er von ganz alleine wieder von diesem Sendeplatz runter.

Die Öffentlich-Rechtlichen haben erwogen, Standfotos zu zeigen und dazu einen Reporter sprechen zu lassen. Wäre so etwas mit dem Sportchef Rudi Michel denkbar gewesen?

Das wäre weder unter mir denkbar gewesen, noch ist es heute denkbar. Wenn der federführende Intendant der ARD glaubt, er kann einfach Radioreportagen im Fernsehen senden, dann irrt er. Das geht nicht einfach so, schon weil die Radiorechtefrage in die Frage der Fernsehlizenz involviert ist. Es ist auch eine Frage des Hausrechts – und auf dieses wird der DFB unter Umständen pochen, in dem er zum Beispiel sagt: Wir haben das Hausrecht, und es ist keineswegs selbstverständlich, dass ihr einfach so ins Stadion und senden dürft.

Ist die Idee wenigstens kreativ?

Es ist eine völlig absurde Idee, Kasperletheater. Da könnte ich mich kranklachen drüber. Es ist der Versuch etwas zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Die Öffentlich-Rechtlichen können nur wieder ins Fußballgeschäft reinkommen, wenn Kirch kaputt geht.

Was stört Sie bei TV-Übertragungen?

Sie wollen jetzt natürlich hören, das mich der Kommentar am meisten stört, wegen des nicht enden wollenden Wortschwalls. Es gibt heute keine Kommentatoren mehr, die schweigen können.

Keine?

Außer Marcel Reif und Bela Rethy. Wenn ich mir ein Spiel im Fernsehen anschaue, schalte ich immer erst ein, wenn das Spiel auch wirklich anfängt, und in der Pause schalte ich für eine Viertelstunde ab. Genauso mache ich es auch am Spielende, auch da schalte ich sofort ab, es sei denn Netzer und Delling analysieren. Mehr noch aber als all die Dauerredner stört mich die Bildregie.

Warum?

Das Bild wird heute zerstückelt und zerhackt, die Großaufnahme dominiert, bestimmte Szenen werden pausenlos wiederholt. Man gewinnt keinen Überblick mehr über das Spiel, über das große Ganze. Und mit jeder Kamera, die mehr eingesetzt wird, steigt der Unterhaltungs- und sinkt der Informationswert. Es gibt längst einen erheblichen Unterschied zwischen der Fernsehwirklichkeit und der Realität im Stadion.

Welches Ihrer Spiele haben Sie noch am besten in Erinnerung?

Den größten Nachhall hat immer noch das WM-Finale 1966 mit diesem dritten Tor.

Das wird jetzt wieder Diskussionen geben.

Stellen Sie sich mal vor: Diesen Satz habe ich damals tatsächlich gesagt. Nur habe ich nie im Leben daran gedacht, dass die Diskussionen endlos sein würden und dass wir heute immer noch darüber reden.

Welcher Fehler ärgert Sie?

Dass ich dem Vogts 1974 im WM-Finale die Elfmeterverschuldung zugeschrieben habe. Und dass ich später die Schwalbe von Hölzenbein nicht erkannt habe. Das geht mir nicht aus dem Kopf.

INTERVIEW: FRANK KETTERER

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