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Anschlag auf den Leibwächter

Auf wen zielte der israelische Raketenangriff in Ramallah? Auf ein Mitglied von Arafats Leibwache oder auf einen wichtigen Intifada-Führer?

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Seit seinem 15. Lebensjahr gehört er der „Force 17“ an, der Leibgarde des palästinensischen Präsidenten Arafat. Muhanad Dirye alias Abu Chalauwa oder auch „Der Schöne“ heißt das letzte Opfer der israelischen Politik der „Selbstverteidigung“, der Politik der Exekution der Hintermänner von Terroranschlägen. Mit einem Sprung aus dem Auto rettete sich der 22-Jährige am Samstag, wenige Sekunden bevor eine zweite von der israelischen Luftwaffe abgegebene Rakete sein Auto traf, das daraufhin völlig ausbrannte.

Der Angriff fand nur etwa 200 Meter vom Büro Marwan Barghoutis entfernt statt, des Chefs der palästinensischen Tansim im Westjordanland. Seit Ende September führt die Fatah-nahe Bewegung den Kampf gegen die israelische Besatzung von Westjordanland und Gaza-Streifen, mal friedlich mit Demonstrationen, mal aber auch mit Steinwürfen oder gar Schüssen auf jüdische Siedler. Muhanad Dirye sei „zu Besuch“ bei Barghouti gewesen, heißt es aus dessen Büro. Dieses Büro hätten die beiden Männer gemeinsam verlasssen. Barghouti sei in seinen Privatwagen gestiegen und Dirye in den Dienstwagen des Tansim-Chefs.

Für Marwan Barghouti besteht kein Zweifel daran, dass er selbst Ziel des Hinrichtungsversuchs war. „Uns erreichen täglich Morddrohungen“, sagen die Mitarbeiter seines Büros. Erst am Wochenende soll der israelische Minister für Infrastruktur, Avigdor Liebermann von der Rechtsaußenfraktion „Israel Beiteinu“, Barghouti den Tod gewünscht haben.

Wen die Israelis umbringen wollten, ist jedoch bisher nicht klar. Unterschiedliche Stellungnahmen liegen vor. Nach einer ersten Pressemitteilung haben die Militärs Barghouti in seinem Büro vermutet, nicht auf der Straße. Später hieß es, man habe gewusst, dass er nicht mehr im Büro war. Das Attentat sei dennoch nicht gegen ihn gerichtet gewesen. „Wenn wir Barghouti gemeint hätten, dann hätten wir ihn auch getroffen“, kommentierte Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliesar. „Er ist ein leichtes Ziel für uns.“

Laut Informationen der liberalen Tageszeitung Ha’aretz, sprachen Militärs indes von einem „Warnsignal“ an Barghouti. Bereits mit dem Attentat auf die beiden Hamas-Führer vergangene Woche sei eine „Nachricht“ an Barghouti gesandt worden, die besagt, dass jeder, der sich an der Ermordung von Israelis mitschuldig gemacht habe, nicht vor Vergeltungsaktionen des Militärs sicher sein kann.

Trotz der Morddrohungen, die Barghoutis Büro erreichen, denkt der Tansim-Chef nicht daran, umzuziehen. Palästinensische Sicherheitsoffiziere halten ihm vor, nicht die grundlegendsten Sicherheitsmaßnahmen zu beachten. Barghouti selbst meinte vor der Presse fatalistisch: „Unsere Seele ist nicht wertvoller als die der bereits Gefallenen.“ Und keine Maßnahme garantiere vollkommene Sicherheit vor der israelischen Armee. Der Tansim-Chef konnte sich dank seiner bisherigen Strategie, die den Volksaufstand auf das palästinensische Gebiet begrenzte und von einem öffentlichen Aufruf zum Waffengebrauch absah, relativ sicher fühlen. Vorläufig verfolgen die Israelis nur die Hintermänner von Terroranschlägen.

So steht Muhanad Dirye auf der Liste der von Israel Gesuchten, weil er an acht Angriffen mit Todesopfern beteiligt gewesen sein soll. Die tödlichen Schüsse wurden ohne Ausnahme im Westjordanland abgegeben und richteten sich zumeist gegen jüdische Siedler. Die israelischen Sicherheitsdienste halten Dirye für eine zentrale Figur des Widerstandskampfs der „Force 17“. Allein in der Region von Ramallah seien seit Beginn der zweiten Intifada zahlreiche solcher Angriffe verübt worden.

In einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender Al-Jasire drohte Marwan Barghouti, dass „die Führer Israels in Tel Aviv noch einen hohen Preis für das, was sie heute getan haben, bezahlen werden“. Seiner Ansicht nach gibt es „keinen Raum mehr für Verhandlungen mit der israelischen Mörderregierung“.

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