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Globaler Protest im Rampenlicht

Von 450 auf über 1.000 Mitglieder ist Attac in nur einem Monat angewachsen. Denn die Medien können inzwischen ihren Namen buchstabieren

von HEIKE KLEFFNER, KATHARINA KOUFENund STEPHANIE VON OPPEN

Mit einem „schwarzen Block“, fünf Meter hoch und breit und aus Stoff gefertigt, zogen Berliner Globalisierungskritiker gestern zum Bundesinnenministerium. Aufmerksam machen wollten sie auf die Situation der 17 seit einem Monat in Italien inhaftierten Deutschen und Italiener. Taschenmesser, Zeltstangen und schwarze T-Shirts, damit hatte die italienische Polizei den Demonstranten eine Beteiligung am schwarzen Block beweisen wollen, jetzt sollten sie Innenminister Schily übergeben werden. Selbst einige Polizeibeamte konnten sich ein Schmunzeln angesichts dieser „Beweisvorführung“ nicht verkneifen.

Ähnlich wie in Berlin gingen am gestrigen „Global Action Day“ auch in über 32 Städten in Deutschland und unzähligen Städten in Europa, USA und Australien tausende Menschen auf die Straße: Nach Genua ist die Bewegung stärker und aktiver geworden. Und auch die Medien berichten inzwischen ausführlich über den Protest. Noch vor sechs Wochen hatte kaum ein Deutscher etwas mit den Begriffen „Attac“ oder „Tobinsteuer“ anfangen können. Jetzt dürfen Attac-Größen wie der französische Bauernführer José Bové sich in ganzseitigen Interviews darstellen – nicht nur in der taz, auch im Spiegel.

Als Folge dieser Medienaufmerksamkeit ist die Zahl der Mitglieder von Attac Deutschland seit dem Gipgel in Genua vor einem Monat von 450 auf über 1.000 gestiegen. „Wir merken das natürlich bei den Treffen der Regionalgruppen“, erzählt Matthias Täubrich aus dem Berliner Attac-Büro. „Es kommen viel mehr Leute als früher. Es rufen auch Menschen an und sagen, wir haben einen Artikel über die Globalisierung in der Zeitung gelesen und möchten gerne bei euch mitmachen.“

Während bisher vor allem Entwicklungshilfeverbände oder andere politisch aktive Gruppen in das Bündnis eintraten, kommen nun hauptsächlich Einzelpersonen: Christen, die aus ihrem Glauben heraus etwas gegen die ungerechte Verteilung von Arm und Reich tun wollen. Enttäuschte Gewerkschafts- und Parteimitglieder. „Vom Rechtsanwalt über Schüler und Studenten hin bis zum Angestellten ist alles bei uns vertreten“, sagt auch Sven Giegold aus dem Attac-Koordinierungskreis. „Vor Genua gab es fünf oder sechs aktive Regionalgruppen. Jetzt sind es 20.“

Tagelang beherrschte „Genua“ die Medien. Nicht etwa die vorgefassten Statements der Staats- und Regierungschefs, die sich dort trafen, sondern der Protest dagegen. Damit hat die Bewegung an Einfluss gewonnen. Sie beginnt, Themen auf die Tagesordnung der internationalen Treffen zu setzen – bisher war es umgekehrt: Globalisierungskritische Gruppen trafen sich, um die offiziellen Programmpunkte zu diskutieren. So hat Attac Belgien es geschafft, die Tobinsteuer auf die Agenda des nächsten EU-Finanzministertreffens im September in Lüttich zu setzen.

Von so viel Rampenlicht können andere Bündnisse, die sich für ähnliche Ziele einsetzen wie Attac, nur träumen. Zum Beispiel der Bundeskongress Entwicklungspolitischer Gruppen (BUKO), der schon seit 1977 die Folgen neoliberaler Politik in den Entwicklungsländern kritisiert. Und schon gegen die Sparprogramme des Internationalen Währungsfonds protestierte, als es die Welthandelsorganisation WTO, heute als das Symbol für „entfesselten Freihandel“ im Focus der Globalisierungkritiker, noch längst nicht gab.

Woran das liegt? Zum einen wohl an der Selbstverständlichkeit, mit der Attac auf seine Internetseite verweist, Diskussionen nicht auf den Podien irgendwelcher Bürgerzentren, sondern per mailing list führen lässt und vor Genua einen SMS-Infodienst für Journalisten einführte. Zum anderen am Politikstil: „Attac stellt Forderungen, die ein diffuses Unbehagen konkret formulieren“, sagt BUKO-Mitarbeiter Heiko Wegmann. „Das tun wir eben nicht. Unsere Kritik am System ist viel grundsätzlicher.“ Attac suggeriere, dass man zum Beispiel durch eine Tobinsteuer das Gesellschaftssystem verändern könne – „und greift dabei genau auf die Institutionen zurück, die dieses System repräsentieren“. Wegmann: „Die glauben, sie sind Sand im Getriebe. Wir meinen, sie sind Schmiermittel.“

Es gibt noch einen dritten Grund, warum die globalisierungskritischen Attac-Leute soviel Zuspruch erhalten: „In den 90er-Jahren ging es in Deutschland um die Folgen der Wiedervereinigung“, sagt Giegold. „Die Nord-Süd-Politik war praktisch tot. Inzwischen ist die Frage, wer eigentlich vom Welthandel profitiert, aber in aller Munde.“ Vor allem die Grünen scheinen zu merken, dass sie damit eines ihrer ehemaligen Leib- und Magenthemen vernachlässigt haben – und nun zuschauen müssen, wie sich andere dazu Gedanken machen.

„Wir waren vielleicht zu passiv“, räumt der grüne Parteichef Fritz Kuhn ein, weist aber auch darauf hin, dass viele Forderungen der Globalisierungskritiker zu Ökologie, Nord-Süd-Problematik und Sozialdumping sich schon im grünen Programm wiederfänden. Nach Genua werde es aber Überlegungen geben, „wie wir uns stärker in die Diskussion einbringen können“, so Kuhn. Vorbei allerdings sind offensichtlich die Zeiten als die grüne Partei sich noch offiziell an Protestaktionen beteiligten. Zu Demonstrationen wie dem gestrigen Global Action Day mit aufzurufen sei aber „nicht das Ding der Grünen“.

Parteikollege Christian Ströbele, Mitglied des Bundestages, zeigte gestern seine Solidarität mit der Bewegung, indem er an einer Demonstration der Globalisierungskritiker in Berlin teilnahm. „Wir müssen diese Bewegung sehr ernst nehmen. Die Leute sind ähnlich engagiert wie wir früher bei den sozialen Bewegungen der Siebziger- und Achtzigerjahre. Aus diesen Bewegungen seien die Grünen schließlich einmal hervorgegangen. „Darauf müssen wir uns besinnen“, forderte er seine Partei auf. Allerdings könne und wolle man Bewegungen wie diese nicht vereinnahmen. „Aber wir müssen mehr an der Seite der Bewegung sein“, betonte Ströbele, der mit der grünen Abgeordneten Annelie Buntenbach nach Genua gereist war, um sich persönlich für die inhaftierten Gipfeldemonstranten einzusetzen.

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, meinte, dass die Regierung sich bereits auf verschiedenen Ebenen für die Inhaftierten einsetze. Nachdem Demonstranten am Vormittag sein Wahlkreisbüro besetzt und eine Pressekonferenz dort abgehalten hatten, meldete sich Volmer aus seinem Urlaubsort in Italien und versicherte, er wolle sich um die Inhaftierten kümmern. Für September lud er Globalisierungskritiker nach Berlin zu einem Gespräch ein.

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