: „Sie sind ja richtig gemäßigt“
Interview KATHARINA KOUFEN und HANNES KOCH
taz: Frau Müller, war in Prag, Göteborg und Genua die neue Außerparlamentarische Opposition auf der Straße, die etablierte Parteien wie die Grünen in die Bredouille bringt?
Kerstin Müller: Ich kenne die APO nur aus den Geschichtsbüchern. Aber es ist sicherlich eine wichtige soziale Bewegung, die da im Entstehen ist. Und ich würde auch von grüner Seite einräumen, dass wir das unterschätzt haben.
Vor 20 Jahren wären die Grünen selbst mit dabei gewesen. Nun attackiert man sie als Teil des Systems. Eine schmerzhafte Erfahrung?
Müller: Wir müssen jetzt eben unsere Hausaufgaben machen. Wenn ich mir die Forderungen von Attac anschaue, stellt sich auch für sie die Frage der Durchsetzbarkeit. Und da möchte ich prognostizieren, dass man dafür auch eine parlamentarische Kraft braucht.
Bieten Sie Attac Gespräche an?
Müller: Natürlich. Ich bin für einen intensiven Dialog.
Und würde Attac das Angebot annehmen?
Giegold: Wir wissen, dass unsere Forderungen nicht auf der Straße beschlossen werden. Wenn ähnliche Interessen bestehen, sind wir natürlich bereit, an einzelnen Punkten zusammenzuarbeiten. Leider aber steht zum Thema „Globalisierung“ verflixt wenig Konkretes in dem neuen grünen Grundsatzprogramm, das dieses Wochenende in Bremen diskutiert wird. Zur Entwicklungspolitik zum Beispiel höre ich von den Grünen fast nichts.
Müller: Das stimmt doch nicht. Wir haben sogar in der Regierung zwei kompetente Personen, die an diesen Themen intensivarbeiten: die parlamentarische Staatssekretärin im Entwicklungsministerium, Uschi Eid, und den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer. Die Bilanz der Entwicklungspolitik von Rot-Grün kann sich sehen lassen – das ist vor allem den Grünen zu verdanken. Ohne uns wäre zum Beispiel die Entschuldungsinitiative für die Entwicklungsländer, die 1999 in Köln beschlossen wurde, gar nicht in Gang gekommen. Den 39 ärmsten Ländern werden 70 Milliarden US-Dollar erlassen. Allein der deutsche Anteil beträgt 11 Milliarden Mark.
Giegold: Sie stellen das als großen Durchbruch dar, obwohl die Entwicklungsländer insgesamt 2 Billionen Dollar Schulden haben. Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen.
Müller: Wieso für dumm verkaufen? Die reichsten Länder, die G-8-Staaten, mussten erst einmal überzeugt werden. Das hat die Bundesregierung geschafft, und das ist ein wichtiger Erfolg.
Das hört sich so an, als würden Sie die Bewegung und ihre Forderungen nicht ganz ernst nehmen?
Müller: Nein, ich erwarte nur umgekehrt, dass man auch honoriert, was wir geleistet haben. Ich finde es sogar positiv, wenn es eine Bewegung gibt, die uns immer wieder drängt. Ich möchte nur, das man vernünftig mit uns redet – zum Beispiel über die Tobin-Steuer.
Tragen Sie diese Forderung denn mit?
Müller: Aber sicher, und meine Fraktion auch. In der letzten Legislaturperiode – 1998 war das – haben wir einen Antrag dazu eingebracht. Nur müssen wir uns halt die Frage stellen: Wie lässt sich das denn umsetzen? Es gibt da ja viele offene Punkte: Wer zieht diese Steuer überhaupt ein, die auf grenzüberschreitende Spekulationsgewinne erhoben werden und Finanzkrisen mildern soll? Wie werden die Einnahmen international verteilt? Haben Sie einen Vorschlag?
Giegold: Selbstverständlich gibt es Vorschläge. Mehrere hundert Ökonomen haben eine Erklärung dazu unterschrieben. Man muss es nur wollen – und da habe ich bei den Grünen angesichts ihres Verhaltens in der Bundestagskommission zur Globalisierung doch meine Zweifel.
Müller: Wir sind dafür, aber als Regierungspartei müssen wir nun mal die Frage beantworten, wie eine solche Steuer umgesetzt werden kann. Und das ist kompliziert. Jedes Land müsste diese Steuer erheben, damit sie wirkt, was aber ziemlich unrealistisch ist. Selbst wenn sich nur die G-8-Länder und die wichtigen Börsenstandorte beteiligen würden, brauchten wir die Zustimmung der USA und Großbritanniens. Wenn ich aber an die Demonstrationen in Genua denke, wollen Sie doch, dass wir gar nicht mit denen reden, weil der G-8-Gipfel des Teufels ist.
Giegold: Das ist eine Unterstellung. Was Ihr Ansehen bei uns sehr steigern würde: Bringen Sie einen Antrag ein in den Bundestag, machen Sie ein grundsätzliches Votum zur Besteuerung von Devisentransaktionen. Wenn Deutschland als drittgrößte Wirtschaftsnation erklären würde: „Wir finden dieses Instrument gut“, dann würde uns das einen guten Schritt vorwärts bringen.
Müller: Ich bin ja richtig enttäuscht, wie gemäßigt Ihre Forderungen sind.
Giegold: Bringen Sie den Antrag nun ein oder nicht?
Müller: Wenn der Koalitionspartner mitmacht, werden wir das tun.
Attac wirft den Grünen seinerseits vor, dem freien Markt zu huldigen. Welche Positionen sind Ihnen zu wirtschaftsfreundlich?
Giegold: Wenn man das neue Grundsatzprogramm liest, gibt es da nur ein Problem der Armut. Ein Problem zu großen Reichtums kennen Sie dagegen nicht.
Müller: Das ist Unsinn. Für uns sind natürlich Armut und Reichtum wichtige Themen. Aber was soll man denn Ihrer Meinung nach tun?
Giegold: Zum einen die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Außerdem brauchen wir eine vernünftige Erbschaftsteuer. Wissen Sie eigentlich, wie hoch die tatsächlich gezahlte Erbschaftsteuer heute ist? Drei Prozent im Durchschnitt. Lächerlich. Und drittens sind wir gegen die Senkung des Spitzensteuersatzes für die reichsten Bevölkerungsschichten. Das haben gerade die Grünen in der Koalition massiv forciert.
Müller: Wir sind doch für die Wiedereinfühung der Vermögensteuer. Aber dafür haben wir leider keine Mehrheit im Bundesrat. Wir haben im Übrigen die Erbschaftsteuer erhöht. Und wir sind auch bereit, sie weiter anzuheben. Bedenken muss man aber Folgendes: Das Kapital ist ein scheues Reh, und wenn man die Schraube zu stark anzieht, macht es sich auf und davon – nach Monaco, nach Liechtenstein.
Giegold: Skandinavische Länder leben gut mit ihren hohen Steuersätzen von fast 60 Prozent. Die Bevölkerung dort empfindet das als fair. Sie haben noch nicht ausreichend begründet, warum man Steuergeschenke an die Reichen verteilen muss.
Müller: Es gibt solche Steuergeschenke nicht. Wir haben im Gegenteil mit der Steuerreform untere und mittlere Einkommen sowie Familien mit Kindern massiv entlastet – allein mit 45 Milliarden Mark in diesem Jahr. Im Übrigen senken wir auch den Eingangssteuersatz bis 2005 auf 15 Prozent. Es ist einfach falsch, nur auf den Spitzensteuersatz zu gucken, den ja vorher kaum jemand bezahlt hat.
Nachdem wir die Steuerschlupflöcher zum großen Teil geschlossen haben, zahlen jetzt den abgesenkten Spitzensteuersatz wesentlich mehr Leute als vorher. Das hat mit Neoliberalismus überhaupt nichts zu tun, das ist vielmehr Umverteilung zugunsten unterer Einkommen.
Auf den Straßen treten die Demonstranten mit radikalem Gestus auf. Keine Veranstaltung ohne brennende Barrikaden. Ist Attac eine systemkritische Gruppe?
Giegold: Wir haben keine Geamtphilosophie zur Ordnung der Wirtschaft. Wir sind ein breites Bündnis zur Durchsetzung bestimmter Kernforderungen. Deshalb äußern wir uns nicht dazu, was man vom Kapitalismus im Allgemeinen zu halten hat. Da versuchen wir auch keinen Konsens unter den verschiedenen Gruppen herzustellen. Wir sind aber alle darin einig, dass einige Reformen stattfinden müssen.
Was will diese Bewegung, was treibt sie an?
Giegold: Es geht um die Regulierung des wild gewordenen Kapitalismus. Wir wollen keine weitere Liberalisierung des globalen Handels, solange nicht Umwelt- und Sozialstandards eingeführt worden sind. Die Grünen setzen sich zum Beispiel dafür ein, eine neue Runde der Liberalisierung durch die Welthandelsorganisation einzuleiten. Auch das macht keine andere grüne Partei. In zwei Monaten, wenn die Welthandelsorganisation in Katar verhandelt, wird dieser Konflikt zwischen uns und den Grünen auch sehr deutlich werden.
Müller: Nicht die WTO ist des Teufels, sondern die Macht der Entwicklungsländer am Verhandlungstisch muss gestärkt werden. Wir haben etwa einen Etat zur Verfügung gestellt, damit ärmere Länder Verhandlungsstrukturen aufbauen können. Auch die WTO muss sich für die Tobin-Steuer einsetzen. Ich sage Ihnen: Die weitere Liberalisierung ist nicht aufzuhalten. Deshalb setzen wir uns für internationale Abkommen ein, die soziale und ökologische Standards global verankern – in der WTO, in der UNO. Es geht um Regulierung.
Giegold: Natürlich ist sie aufzuhalten. Regierungen haben doch die Zölle international gesenkt und die Märkte geöffnet. In der nächsten WTO-Runde sollen ja ganz neue Bereiche, die öffentlichen Dienstleistungen, liberalisiert werden: Wasser, Schule, Bildung. Ich kann nicht akzeptieren, dass die deutschen Grünen diese WTO-Politik unterstützen.
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