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Ein Ort für Gespräche ohne Angst

Das neu eröffnete FrauenRechtsBüro in Kreuzberg bietet Rechtshilfe und vermittelt Therapieplätze für Migrantinnen, die sexuelle Folter in Gefängnissen erleiden mussten. Aufenthaltsrecht für Opfer gefordet

Aus dem Kreuzberger Hinterhof hallt Gesang. Dicht gedrängt lauschen etwa 100 Frauen verschiedenster Ethnien alten Liedern über den Schmerz der Frauen. Die Texte klagen jene schwere Menschenrechtsverletzung an, die besonders in der Türkei alltäglich zum Einsatz kommt und gleichzeitig als gesellschaftliches Tabu totgeschwiegen wird: sexuelle Folter in Gefängnissen.

In Kooperation mit dem Istanbuler Projekt „Rechtliche Hilfe für Frauen, die von staatlichen Sicherheitskräften vergewaltigt oder auf andere Weise sexuell misshandelt wurden“, eröffnete am Samstag in Berlin das FrauenRechtsBüro gegen sexuelle Folter e. V. Unter der juristischen Leitung Jutta Herrmanns bieten etwa 15 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen unentgeltlich rechtliche Hilfe für geflüchtete Frauen und Mädchen an. Es sind überwiegend Kurdinnen, die in türkischen Gefängnissen Opfer sexueller Misshandlungen wurden. Vergewaltigung ist dabei die extremste, jedoch nicht die einzige Form sexueller Folter.

Es sei eines der ältesten Kriegsmittel, das „darauf abzielt, die weibliche und nationale Identität zu brechen sowie Frauen zum Sprechen zu bringen“, sagte die Leiterin des Istanbuler Projekts, Erin Keskin. „Unser wichtigstes Ziel ist es, eines Tages diejenigen als Kriegsverbrecher anzuklagen, die Tausenden von Frauen so viel Brutalität und Schmerz zugefügt haben“, so die Rechtsanwältin und Vorsitzende der türkischen Menschenrechtsorganisation IHD.

Dass dies ein steiniger Weg ist, weiß Keskin aus ihrer Arbeit. 143 Frauen haben sich bisher an das Istanbuler Büro gewandt, 25 Fälle gelangten bis zum Europäischen Gerichtshof. In nur zwei der durch das Projekt angezeigten Fälle wurden Polizeibeamte wegen Missbrauchs zu acht Monaten Bewährung verurteilt. Freisprüche sind keine Seltenheit, sondern eher die Regel. „Wenigstens werden nun überhaupt Verfahren eröffnet“, bilanziert Herrmanns, „doch Voraussetzung dafür ist, dass Frauen über ihre Erlebnisse sprechen können.“ Da Vergewaltigung auch immer als Entwürdigung der Familie gilt, schweigen die Opfer oft schuldbeladen. Aus Angst vor Vergeltung durch die Täter selbst oder ihre Familienangehörigen bleibe oft nur die Flucht ins Ausland. Das Berliner Büro soll den notwendigen Ort schaffen, „an dem sich Frauen frei von Angst austauschen können“, so die Juristin.

Weil geschlechtsspezifische Verfolgung und sexuelle Folter nach wie vor nicht als Asylgrund anerkannt sind, fordert das FrauenRechtsBüro ein Aufenthaltsrecht für Betroffene. Neben der Furcht vor Abschiebung halten auch die „unsäglichen Bedingungen der Asylverfahren selbst Bewerberinnen davon ab, über ihre Erlebnisse zu berichten“, so Herrmanns. Viele Frauen erleben durch den unsensiblen Umgang der deutschen Behörden eine Retraumatisierung und Demütigung. Der gemeinnützige Verein vermittelt deshalb neben Dolmetscherinnen und Anwältinnen auch Therapieplätze bei physischen und psychischen Folterfolgen. KATRIN CHOLOTTA

Offenes Frauentreffen: Fiedlerstraße 52, jeden ersten Samstag im Monat, 15 Uhr. Kontakt: (0 30) 62 73 79 41

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