: Gerechtigkeit im Großeinkauf
Der Rechtsanwalt Volker Ratzmann hat sich als juristischer Vertreter der linken Protestbewegungen einen Namen gemacht. Statt vor Gericht will der ehemalige Hausbesetzer künftig im Abgeordnetenhaus für die Stärkung demokratischer Rechte sorgen
von ANDREAS SPANNBAUER
Unter den älteren Mitgliedern der Grünen gelten, insbesondere bei ihren ehemaligen Kontrahenten, gewöhnlich diejenigen als interessant, die ihre Ansichten möglichst radikal ändern. Volker Ratzmann dürfte nicht dazugehören. Betritt man das Büro des Rechtsanwalts im Bezirk Prenzlauer Berg, hängt dort in grüner Ölfarbe ein expressionistisches Lenin-Gemälde an der Wand. Auf dem selbst gemalten Geschenk eines Freundes klagt der Satz „Verraten und verkauft“ das Bekenntnis zu alten Idealen ein. Im Warteraum rufen ausliegende Flugblätter zur Auflösung der Krisenreaktionskräfte der Bundeswehr oder zu Gerechtigkeit für die Opfer der Militärdiktatur in Argentinien auf. „Wir haben unsere Arbeit nie isoliert von der politischen Diskussion gesehen“, sagt der Mann mit den blonden kurzen Haaren am Tisch seines Arbeitszimmers.
Ab Oktober will der Rechtsanwalt dafür neue Pfade betreten. Mit Rang sechs steht sein Name auf einem sicheren Listenplatz der Grünen für die Wahl zum Abgeordnetenhaus. Dort soll Ratzmann dazu beitragen, das innenpolitische Profil der Grünen als Bürgerrechtspartei zu schärfen.
Der Anwalt und der Staat
Von diesem Anliegen kann der Mann glaubhaft erzählen. Unnötige und teilweise rechtswidrige Härte von Polizei und Justiz kennt der 41-Jährige nicht nur aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt. Schon als Schüler, so berichtet der gebürtige Niedersachse, der in einem Dorf in der Nähe von Gifhorn aufgewachsen ist, wurde er bei einer Straßenblockade im Atommüllendlager Gorleben zum ersten Mal verhaftet. Lange hielt es ihn nicht in der Provinz. „Wenn du in Gifhorn wohnst, kannst du zu VW gehen oder wegziehen“, sagt er lachend.
Ratzmann zog weg. Nach seinem Umzug nach Westberlin 1981 begann er ein Jurastudium und schloss sich der Hausbesetzerbewegung an. Er musste mit ansehen, wie die Polizei bei einem Staatsbesuch vor dem mit Stacheldraht abgeriegelten Nollendorfplatz Demonstranten „willkürlich zusammenmöbelte“. Eine Beobachtung, die ihm auch heute als Rechtsanwalt oft nicht erspart bleibt und die das Unrechtsbewusstsein mit Blick auf die Staatsgewalt geschärft hat.
Das Engagement in der Internationalismusbewegung führte ihn 1986 zur Alternativen Liste. Es war die Zeit, in der die späteren Grünen über diese Fragen diskutierten: Ist der Parlamentarismus „das Spielbein oder das Standbein“ unserer Partei? Dürfen wir das Gewaltmonopol des Staates anerkennen? Zwei Jahre später wurde der Student in der AL für ein halbes Jahr hauptamtlich angestellt: Er sollte Aktivitäten gegen die Tagung des Internationalen Währungsfonds in Berlin koordinieren. An einer Demonstration gegen die Finanzinstitution nahmen 80.000 Menschen teil. Heute sieht er darin einen Vorläufer der Globalisierungsdebatte: „Wir haben uns schon damals mit den ungleichen Austauschbedingungen auf dem Weltmarkt beschäftigt.“
Im Rahmen der Tagungsvorbereitung bekam Ratzmann auch Kontakte zur DDR-Opposition, die die Finanzmagnaten bei einer Rundreise durch Ostberlin vor dem Pergamonmuseum mit DDR-Kleingeld bewarf. Wegen seiner Beziehungen nach Ostberlin wurde er von Till Meyer, schon damals Exterrorist der „Bewegung 2. Juni“, für die Staatssicherheit bespitzelt. Diese Erfahrungen begründen eine bis heute andauernde Skepsis gegenüber Teilen der PDS.
Kollektive Küche
Im Haus der Demokratie gründete Ratzmann 1991 mit zwei Kollegen eine Anwaltskanzlei, die schnell zu einer beliebten Anlaufstelle für die außerparlamentarische Linke wurde. „Wir wollten nicht nur Geld verdienen“, beschreibt er seine Berufsphilosophie. Im Arbeitsrecht beschränkt man sich bis heute konsequent auf die Vertretung von Arbeitnehmern. Einen Schwerpunkt stellt auch die Vertretung von Opfern rechtsradikaler Gewalt dar. Zu den größten Erfolgen zählt er es, die Opferrente für den britischen Bauarbeiter Noel Martin durchgesetzt zu haben, der durch einen Steinwurf eines Rechtsradikalen querschnittsgelähmt wurde. Zurzeit betreut er den Gewerkschafter Hannes H., der nach den Protesten gegen den EU-Gipfel in Göteborg zu 14 Monaten Haft verurteilt worden war. In einer Reminiszenz an Zeiten der Wohngemeinschaft wird selbst die Nahrungsmittelversorgung in der Kanzlei kollektiv organisiert: Einmal in der Woche gibt es Großeinkauf.
Künftig muss das Vorstandsmitglied der Vereinigung Berliner Strafverteidiger aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Kantine im Preußischen Landtag vorlieb nehmen. Im Parlament will Ratzmann den Blick für die sozialen Ursachen von Kriminalität schärfen und für „Resozialisieren statt wegsperren“ eintreten. In der Innenpolitik sollen mehr Transparenz bei der Polizei hergestellt und die Entscheidungskompetenzen in der Ausländerpolitik im Sinne der Betroffenen genutzt werden. „Man kann es auch anders machen“, unterstreicht Ratzmann nachdrücklich, als würde er vor Gericht plädieren. Seine präzise Innenansicht der Justiz dürfte ihm dabei von Nutzen sein wie seine Erfahrungen mit der rot-grünen Koalition 1989. „Heute wie damals herrscht eine Aufbruchstimmung.“
Die Angst, die Grünen könnten in einer Koalition von SPD und PDS überflüssig sein, teilt der Anwärter für das Abgeordnetenhaus nicht. „Ich hätte keine Probleme damit, Opposition gegen Rot-Rot zu machen.“ Den PDS-Fraktionsvorsitzenden Harald Wolf kennt Ratzmann schließlich noch gut aus dessen Zeit in der Alternativen Liste.
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