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Trauer, Bestürzung und Kalkül

Indien hofft jetzt auf mehr internationales Gehör bei seinen Terrorismusproblemen, für die es Pakistan und Afghanistan verantwortlich macht

aus Delhi BERNARD IMHASLY

US-Außenminister Colin Powell wurde am Sonntag auf CNN gefragt, ob Pakistan seine Zusammenarbeit mit den USA abhängig mache vom Ausschluss Israels und Indiens bei der anstehenden Militäraktion. Die USA würden diesen „Sensibilitäten Pakistans Rechnung tragen“, war seine kryptische Antwort. Indische Medien spekulierten umgehend, Indiens Intimgegner habe gleich noch verlangt, dass sich US-Präsident George W. Bush im Kaschmir-Konflikt auf die Seite Pakistans schlage. Dies würde es dessen Präsidenten Pervez Musharraf ermöglichen, dem einheimischen Publikum die Strafaktion gegen die Taliban zu verkaufen.

Diese Reaktionen verdeutlichen nicht nur die Rivalität beider Länder um den Nordzipfel des Subkontinents seit der Unabhängigkeit. Nach einem Jahrzehnt Erfahrung mit militanten islamischen Gruppierungen in Kaschmir verbindet sich für Indien damit auch das Wort Terrorismus. Als vor einer Woche die Bilder von der Zerstörung des World Trade Centers über die Bildschirme liefen, rief eine Zuschauerin in Delhi spontan: „Damit löst sich unser Kaschmir-Problem“. Sie nahm, vorausgesetzt Ussama Bin Laden war der Urheber, eine massive internationale Verurteilung islamistischer Gruppierungen an. Eine solche würde auch den Dschihad-Gruppen, die sich von Pakistan aus in „grenzüberschreitendem Terrorismus“ üben, den Garaus machen.

Die Horrorbilder von New York und Washington haben auch in Indien landesweit Trauer und Empörung ausgelöst, umso mehr, als in den rauchenden Trümmern die Überreste von schätzungsweise 250 Landsleuten vermutet werden. In die Benommenheit mischte sich jedoch bald auch Erstaunen darüber, „dass die USA“, in den Worten eines Offiziers, „so lange (und eine derartige Katastrophe) brauchten, um die Realität des Terrorismus in seiner Tragweite zu erkennen“.

Im Gegensatz zu den Amerikanern haben die Inder gelernt, mit den täglichen Meldungen über Bombenattentate sowie mit den Schikanen zu ihrer Prävention zu leben. In den Zügen wird man aufgefordert, unter dem Sitz nach herrenlosem Gepäck Ausschau zu halten. Man darf keine Taschen mit ins Kino nehmen. Bei öffentlichen Anlässen und Sportereignissen kann man gerade noch ein Taschentuch mit sich tragen und Flughafenkontrollen gleichen einem Spießrutenlauf. „Welcome to the world“ rufen die Inder jetzt ihren amerikanischen Leidensgenossen zu.

Die politische Reaktion der indischen Regierung ließ erkennen, dass sie die Gelegenheit ergreifen wollte, die separatistische Militanz in Kaschmir als Auswuchs einer Internationale des Terrors darzustellen. In einer Ansprache an die Nation sagte Premierminister Atal Behari Vajpayee mit einer deutlichen Anspielung auf Pakistan und Afghanistan, dass „Regierungen für den Terrorismus verantwortlich sind, der von ihren Ländern aus geführt wird“. Er erinnerte dabei an eine Äußerung, die er vor dem US-Kongress gemacht hatte, „dass keine Region eine größere Quelle von Terrorismus darstelle als Indiens Nachbarschaft“. Gleichzeitig verwahrte er sich aber gegen eine religiöse Einfärbung des Übels und rief seine Landsleute zu religiöser Toleranz auf. Dennoch kam es am Samstag in der südindischen Stadt Hubli zu antiislamischen Ausschreitungen, bei denen eine Person getötet wurde.

Vajpayees Bemerkung, jeder Inder müsse Teil des globalen Kriegs gegen den Terrorismus werden, wurde von den Medien so interpretiert, dass Delhi sich an einer internationalen Militärmacht selbst beteiligen oder den USA Militärbasen zur Verfügung stellen werde. Außenminister Jaswant Singh wollte sich nicht darauf festlegen lassen, beteuerte aber, „falls die USA operationelle Hilfe brauchen, wird sie ihnen gegeben werden“.

Diese Haltung wird in den Medien im Allgemeinen begrüßt, findet aber auch Kritiker. Indien dürfe sich der „hysterischen Kriegslüsternheit“ nicht anschließen, warnte die Times of India. Die Tageszeitung The Hindu begrüßt zwar die Teilnahme an einer internationalen Anti-Terror-Kampagne, fürchtet aber, dass sich das Land so vor den Wagen der US-Außenpolitik spannen lassen könnte.

Das gegenteilige Risiko besteht allerdings auch: dass sich nämlich die USA bei dem Versuch, Ussama Bin Laden dingfest zu machen, in die indisch-pakistanische Rivalität hineinziehen lassen. Die beiden südasiatischen Nachbarn haben seit der Unabhängigkeit 1947 drei Kriege gegeneinander geführt. Die beiderseitigen Atomtests vom Mai 1998 haben seitdem ihrer Feindschaft eine noch gefährlichere Dimension gegeben. Falls die USA aber Pakistan einen Persilschein erteilen für dessen undurchsichtigen Umgang mit den Dschihad-Gruppen, würde dies die Wirkung der Strategie gegen den Terror zunichte machen. Andererseits könnte ein in seiner Anti-Terror-Kooperation zögerliches Pakistan zu einer amerikanischen Annäherung an Indien führen. Dies, so befürchtet der amerikanische Südasien-Spezialist Stephen Cohen, würde wiederum Indien ermutigen, seine Beziehungen mit Pakistan zu verhärten. „Mit Atomwaffen in der Region wird ein solches Szenario sehr rasch sehr beängstigend.“

Mit ungewöhnlicher Eile ließ Indien seinem Willen zur Zusammenarbeit in der Terrorbekämpfung Taten folgen. Bereits drei Tage nach den Angriffen in den USA übergab das Innenministerium der US-Botschaft Dokumente und Videos, die bei getöteten Kaschmir-Rebellen gefunden wurden und Beziehungen zum Netzwerk von Bin Laden aufweisen. „Jeder zweite Guerillero hat eine Afghanistan-Verbindung“, zitierte der Indian Express einen Beamten. Ein anderer äußerte die Befürchtung, eine Strafexpedition in Afghanistan könnte zur Flucht der zahlreichen nichtafghanischen Kämpfer unter den Taliban zu den Kaschmir-Guerillas führen. Unter den Dokumenten war auch eine Zeichnung im Logbuch der Gruppe al-Dawa mit drei Ballons namens Indien, Israel und USA. Der Ballon Indien ist bereits geplatzt.

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