piwik no script img

Ein Ort, so traurig wie lustig

Wo heute die taz gemacht wird, wurden früher Feuerungsanlagen verkauft, Geld eingetrieben und Filme vorgeführt: Reminiszenzen aus den Akten der Baubehörde zum Haus an der Kochstraße 18

von CHRISTIAN SEMLER

Wie es sich für ein wilhelminisches Gebäude aus der Zeit um 1910 geziemt, ist die Fassade zu unserem alten Redaktionsgebäude in der Kochstraße das Prächtigste, was wir zu bieten haben. Sogar der Kunstführer Dehio weiß die vorschwingenden Glas- (Eisen-)konstruktionen unserer Frontfenster zu rühmen, ganz zu schweigen von den Atlanten, die das obere Sockelgeschoss besetzen und heute von der schweren Last unserer täglichen Zeitungsarbeit künden. Diese Atlanten, gefertigt aus Sandstein, sind angeblich das Werk des Bildhauers Nikolaus Friedrich, aber so sicher ist sich auch der Dehio da nicht. Der Architekt hingegen steht fest. Es ist laut Dehio C. Kühn, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Avantgardisten unserer Tage. Der Architekt zeigt sich in der Kochstraße 18 als Meister im Einrühren neobarocker und Jugendstilelemente.

Eigentlich sollte das Haus zu Westberliner Zeiten einer Straßenerweiterung der Kochstraße zum Opfer fallen, ein Mordversuch, als den ihn Wolf Jobst Siedler, der Fan wilhelminischer Baukunst, bestimmt charakterisiert hätte. Dass es nicht so weit kam, haben wir der „Stiftung Umverteilen“ zu verdanken. Sie kaufte das Gebäude und verkaufte es 1988 an die taz, als von Wiedervereinigung und Hausse der Grundstückspreise im ehemaligen Zeitungsviertel der Innenstadt noch nicht die Rede war.

Der marmorn verkleidete Eingangsflur mit seinen großen Spiegeln steht der Fassade in nichts nach. Vier römische Gottheiten halten dort Wache. Es sind fein gearbeitete Flachreliefs, hergestellt aus einer gehärteten Gipsmischung, was unschwer an der in jüngster Zeit zugefügten, weißblinkenden Fingerverletzung eines der Götter feststellbar ist. Zu sehen sind leider nur drei der vier, nämlich Vulkan, Merkur und Venus samt Amor. Die vierte Gottheit links neben der Eingangstür ist leider verschwunden und durch einen Spiegel ersetzt. Wer war er oder sie? Auch intensive Nachforschungen brachten bislang kein Ergebnis.

Bauherr war der Bauunternehmer Kuhn aus der Weddinger Müllerstraße. Clevererweise hatte er für sein Unternehmen eine GmbH gegründet, um das Risiko zu mildern.

Wer waren die ersten Mieter? Symbolisierten die Gottheiten der Eingangshalle ihre Metiers? Zweifellos.

Die „Imperial Continental Glas Association“ lagerte nicht nur Feuerungsanlagen, sondern stellte sie im Kellergeschoss sogar her, eine Ordnungswidrigkeit, die alsbald polizeilich untersagt wurde. Hier sehen wir also Vulcanus am Werk.

Mercur hingegen stand für die „Mutua Confidentia WYS, Müller und Co“, ein Inkasso und Auskunftsbüro, das mit 80 Beschäftigten in den beiden oberen Stockwerken wirkte. Dort scheint nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein, wie aus dem anonymen Schreiben eines Angestellten ans Polizeipräsidium vom Juli 1911 hervorgeht. Dort heißt es: „[Die] in der vierten Etage vorhanden gewesne Wasserleitung [ist] abgeschraubt worden, so dass das Personal gezwungen ist, sich einen Trunk Wasser aus der im Closett befindlichen Leitung zu holen. Die Closetts aber sind nur von 9 bis 9 Uhr 30, von 12 bis 12 Uhr 30 und von 15 Uhr 30 bis 16 Uhr innerhalb der von 9 bis 17 Uhr währenden Arbeitszeit geöffnet.“

Offenbar hatte Mutua Confidentia in der Folgezeit polizeilichen Besuch, denn aus den Akten können wir entnehmen, dass um den nachträglichen Einbau einer Kantine im 6. Stockwerk nachgesucht wurde, ein Ort, wo sich heute neben Archiv und Dokumentation Randy Kaufmans Bar befindet. Ein ebenso lustiger wie trauriger Ort, denn hier pflegen die zahlreich von der Konkurrenz aufgekauften Redakteure mit den Kollegen ihren Abschied zu feiern.

Venus stand zweifellos für Konfektion & Kosmetika, aber über die Erstmieter aus den genannten Branchen konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.

Im zweiten Jahr des Weltkriegs wird die Kochstraße 18 von patriotischer Aufwallung ergriffen. Beantragt wird bei der Baubehörde eine Fahnenstange, gefertigt aus einem Mannesmann-Stahlrohr „in erprobter Standsicherheit“. 3 Meter 50 sollte das Rohr bis zum Dachboden reichen und dort einen gusseisernen Untersatz erhalten. Heute weht am Mast die taz-Fahne.

In der Weimarer Republik halten in der Kochstraße 18 die Medien Einzug, und zwar in Gestalt der „Radia-Film“, die dort Lager- wie Vorführräume anmietet. Wie der Baubehörde nicht verborgen bleibt, wird dort allerdings auch geschnitten und geklebt, was entsprechende baupolizeiliche Auflagen nach sich zieht.

Gegen Ende der Weimarer Republik zieht eine Film-Entregnungsfirma ein. Sie liegt jahrelang im Clinch mit der Baupolizei. Schließlich muss sich der Entregner mit seinen Berufsgenossen an den Stadtrand bequemen.

Mittlerweile hatte das Haus zweimal den Eigentümer gewechselt. Kuhns GmbH verkaufte es 1927 an die Janus-Versicherungen, von der es 1937 die Nordstern-Versicherung übernahm. Die Akten über die Nazizeit sind so bemerkenswert dünn, das eine spätere Säuberung nicht ausgeschlossen erscheint.

Nach 1945 verhandelt die Nordstern im Namen der Nachkriegsmieter, Konfektions- und Pharmafirmen, mit dem Magistrat von Großberlin über eine zeitgemäße Baumaßnahme: da das Eckhaus Friedrichstraße/ Kochstraße ausgebombt und abgerissen worden sei, wäre es nicht schlecht, an der seitlichen Brandmauer der benachbarten Kochstraße 18 ein paar Fenster einzubauen – natürlich widerruflich. Magistrat und eine Beamtenvereinigung, der das angrenzende Grundstück gehört, stimmten zu. Von dieser humanen Maßnahme ist heute freilich nichts mehr zu sehen, denn kurz nach dem Einzug der taz wurde das Eckgrundstück wieder bebaut – strikt funktional und bar aller Prachtentfaltung.

Mit den Seitenfenstern enden die Akten der Baubehörde. Sie setzen erst wieder ein mit der taz und füllen schon zwei pralle Aktenordner. Ist doch neben dem alten Prachtbau der Erweiterungsbau der taz von Gerhard Spangenbergs getreten, auch er ein oft gelobtes, von den Berlin-Touris aus sicherer Entfernung angestauntes Bauwerk. Aber das ist eine andere Geschichte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen