: Schmutz und Sudel am Ende
48 Stunden vor der Wahl sind alle noch einmal zuversichtlich: Steffel erreicht 40 Prozent, Gysi wird Bürgermeister, Rot-Grün schafft die absolute Mehrheit. Nur Wowereit hält das übliche Arbeitsreferat
Mit wehenden Fahnen haben die Grünen als letzte Partei ihren Wahlkampf beendet. Entschlossen hielten Justizsenator Wolfgang Wieland und der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele gestern grün-blaue Fahnen hoch. Der Rest der Parteiprominenz, darunter der Bundesvorsitzende Fritz Kuhn, Umweltminister Jürgen Trittin und die Spitzenkandidatin Sibyll Klotz, reihte sich hinter einem grünen Transparent auf. Dann zog die kleine Spontandemonstration zur Abschlusskundgebung Unter den Linden.
Dort berichtete Umweltminister Trittin demonstrativ, er habe soeben das Atomkraftwerk Philippsburg wegen Störungen vom Netz genommen. Bei der gut gelaunten Basis kam das Signal an: Regieren lohnt sich eben doch. Parteichef Kuhn zeigte sich optimistisch: „Ich glaube, dass Rot-Grün in Berlin machbar ist.“ Nach letzten Umfragen fehlen dafür 6 Prozent. Besonderen Beifall aber bekam Spitzenkandidatin Klotz. „Wir haben nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen“, rief sie ihren Anhängern zu.
Die Situation sei „aufregend, aber nicht aussichtslos“, hatte sich Klotz zuvor bei einer Sonderfahrt in der Straßenbahn noch einmal Mut gemacht. Eine Wählerin dürften die Grünen mit dieser Aktion bereits vor den Kopf gestoßen haben: Eine alte Frau versuchte an der Friedrichstraße vergeblich, in die bunt dekorierte Bahn einzusteigen.
Die Union scheint sich dagegen bereits mit ihrer Niederlage abgefunden zu haben. Hätte es dafür noch eines letzten Beweises bedurft, so lieferte ihn der glücklose Spitzenkandidat Frank Steffel bei der „Wahlkampf-Endspurtveranstaltung“ der CDU am Donnerstag in der Moabiter Universal Hall. Wer schon vor der Wahl nach Sündenböcken sucht, gibt zu, dass er verloren hat.
Das wissen auch Angela Merkel und Eberhard Diepgen. Entsprechend bedröppelt schauten die beiden drein, als Steffel zu einer selten gehörten Medienschelte peinlichster Art anhob und über „die beispiellose Schmutz- und Sudelkampagne unserer politischen Gegner“ klagte. Zum Beispiel das Fernsehen: „Eine große Berliner Abendsendung“ habe ihn in dreieinhalb Monaten Wahlkampf kein einziges Mal eingeladen.
Noch schlimmer sei aber der „Schweinejournalismus“ des Stadtmagazins Zitty, das ihn auf dem Titelbild unvorteilhaft abgebildet hatte. Am Freitag beantragte Steffel eine einstweilige Verfügung wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte. Gegen Ende seiner Rede stellte der Kandidat dann fest, dass 40 Prozent der Wähler immer noch unentschlossen seien. „Das ist unsere Chance.“ Steffel beendete den Wahlkampf, wie er ihn geführt hatte: ungeschickt und voller Selbstmitleid.
Jubel, Trubel, Heiterkeit dagegen bei den siegesgewissen Sozialdemokraten, als am Donnerstag kurz nach 18 Uhr die Gladiatoren in die Arena einliefen: Der Landesvorstand, sämtliche SPD-Senatoren, Bundesinnenminister Otto Schily, Landeschef Peter Strieder und Gerhard Schröder himself. Doch nicht dem Bundeskanzler flog die Zuneigung der Genossen an diesem Abend entgegen – in Berlin heißt der Liebling der Partei eindeutig Klaus Wowereit. „Woh! Wäh! Reitt! Woh! Wäh! Reitt!“, skandierte der Saal wieder und wieder an diesem Abend. Der so Gefeierte blieb auch in den Stunden vor seinem erwarteten Triumph seiner Linie treu. Keine emotionale, aufputschende Rede hielt Wowereit, sondern das immer Gleiche Arbeitsreferat vom Mentalitätswechsel. Dafür gibt es den Umfragen zu Folge am Sonntag 30 bis 35 Prozent, und das reichte den Genossen, um Wowereit zu bejubeln. Dass ihre Parteiführung sie immer noch im Unklaren lässt, ob sie bald mit der PDS oder mit FDP und Grünen regiert, nahm an diesem Abend keiner übel. „Wer die PDS nicht dabei haben will, muss SPD wählen! Wer die Ampel nicht will, muss SPD wählen!“, rief Parteichef Strieder, und keiner lachte.
Das bestechendste Wahlargument aber hatte PDS-Spitzenkandidat Gregor Gysi wenige Stunden zuvor geliefert. „Man muss PDS wählen, so lange es noch nicht gewöhnlich ist“, forderte Gysi seine Anhänger vor dem Berliner Ensemble auf. Ein „PDS-Mitglied als Regierender Bürgermeister“ garantiere schließlich „weltweite Aufmerksamkeit“. Von seiner historischen Mission im Roten Rathaus zeigte sich Gysi nach wie vor überzeugt: „Es wird schon klappen“, schloss er seine Rede. ALEX, LKW, SAND
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