DIE GRÜNEN MÜSSEN KONFLIKTFREUDIGER WERDEN: Geräuschlosigkeit wird bestraft
„Der Abwärtstrend ist gebrochen.“ Dieser von der grünen Bundesparteispitze geprägte Satz klingt wie eine Wahlanalyse, in Wirklichkeit ist er eine Selbstsuggestion. Denn aus der Berlinwahl folgt keineswegs, dass die Serie der verlorenen Wahlen zu Ende ist. Und wenn die Grünen politisch so weitermachen, drohen sie bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.
Sechzehnmal in Folge haben die Grünen brutal verloren. Stets sprangen gut ein Viertel ihrer Wähler ab. Das wirkte in der Öffentlichkeit wie ein anhaltender Niedergang. Das war es aber nicht. Es war ein plötzlicher, aber dauerhafter Einbruch. Und der fand bereits 1998 statt: als die SPD mit Gerhard Schröder endlich ihre Dauerschwäche ablegte und die Grünen sich mit dem Beschluss, einmal fünf Mark für den Liter Sprit verlangen zu wollen, viele Sympathien verscherzten. Nun finden Wahlen nur alle vier Jahre statt. Deswegen dauerte es eine Weile, bis sich dieser Verlust der Zustimmung durch die Landtage verbreitet hatte.
Diesmal trösten sich die Grünen damit, dass sie nur knapp ein Zehntel der Stimmen verloren hätten – was wacker „Stabilisierung“ genannt wird. Die vorletzte Berlinwahl liegt aber erst zwei Jahre zurück. Damals hatten die Berliner Grünen bereits ein Viertel der Wähler verloren. Der Einbruch von 1998 ist also in Berlin verarbeitet. Wenn nun die Zustimmung weiter schwindet, muss das eine neue Ursache haben. Es ist der Krieg gegen den Terror.
Der wird den Grünen noch einiges abverlangen. Vieles spricht dafür, dass es diesmal noch glimpflich lief, weil Claudia Roth mit ihrer Forderung nach einem Bombenstopp einen Kontrapunkt setzte. Doch nach allem, was man hört, war Roths Intervention nicht Teil einer neuen Strategie – es war bloß eine Einzelaktion.
Es wäre besser Taktik: Die Erfahrungen mit den abgewählten rot-grünen Koalitionen in Hamburg und Hessen illustrieren, dass ein geräuschloses Funktionieren nicht honoriert wird. In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein dagegen hatten die Grünen auf eine Konfliktstrategie gesetzt und konnten die Koalitionen fortsetzen.
Dem Wähler ist klar, dass der kleine Koalitionspartner sich oft nicht durchsetzen kann. Doch möchte er die Grünen wenigstens kämpfen sehen. Das sollte auch die Bundesspitze endlich begreifen, denn weitere Verluste drohen. Erfahrungsgemäß kostet schon das Regieren an sich stets einige Stimmen. Bei der nächsten Wahl geht es deshalb nicht nur um die Koalition, sondern auch darum, ob die Grünen überhaupt noch einmal in den Reichstag einziehen dürfen. MATTHIAS URBACH
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