: Zum Feilschen in die Sperrzone
Beim WTO-Gipfel in Katar wird erst seit gestern richtig verhandelt. Auch schärfste Sicherheitsvorkehrungen können Proteste nicht verhindern
aus Doha ANDREAS ZUMACH
Noch gestern Morgen war Robert Zoel- lick, Chefunterhändler der Bush-Administration, sichtlich genervt. Fast eine Stunde lang hatten WTO-kritische Demonstranten am Samstagabend mit einer Blockade die erste Pressekonferenz der US-Delegation verhindert. „Die Welt ist nicht zu verkaufen“ und „Wir wollen Demokratie und Transparenz“ skandierten die rund 30 Protestler. Die schwer bewaffneten US-Marines, die den Zugang zum Pressesaal bewachen und alle Journalisten gründlich durchsuchen, griffen nicht ein. Die Aktion blieb ebenso friedlich wie die vom Freitagabend, als während der Eröffnungssitzung der Ministerkonferenz rund 100 VertreterInnen von Nichtregierungsorganisationen (NGO) gegen eine neue Welthandelsrunde protestierten – zumindest solange die Wünsche der meisten Staaten des Südens nach Korrekturen an den Abkommen der letzten Runde nicht erfüllt sind.
Anders als vor zwei Jahren in Seattle, wo rund 50.000 Menschen tagelang gegen die WTO demonstriert und den Delegationen durch Sitzblockaden zeitweise den Zugang zum Konferenzgebäude versperrt hatten, sind die Proteste in Doha klein. Und sie finden nur innerhalb des Konferenzzentrums statt, das mit drei scharf bewachten Sperrgürteln weiträumig abgeriegelt ist. An den Sperren stehen die Soldaten der Eliteeinheit von Katars Armee – die einzige Truppe, die dem Emir als verlässlich gilt. In die Sperrzone hinein dürfen nur ebenfalls scharf bewachte Sonderbusse, die die Delegierten, Journalisten und NGO-Vertreter in ihren Hotels abholen. Mitglieder der Delegation Malaysias, die sich am Samstag zu Fuß zum Kongress aufgemacht hatten, wurden von Soldaten mit einem Warnschuss gestoppt.
Ob die Chance auf eine Einigung unter den 142 Regierungsdelegationen unter derartigen Sicherheitsvorkehrungen und ohne nennenswerte „Störungen“ durch die Zivilgesellschaft größer ist als bei der gescheiterten Konferenz von Seattle, war bis gestern noch nicht abzusehen. Zunächst einmal bekräftigten alle Minister und Delegationsleiter ihre bereits aus den Vorgesprächen in der Genfer WTO-Zentrale sattsam bekannten Positionen, unterstrichen die „Unverhandelbarkeit“ bestimmter „Essentials“ und warfen anderen Ländern „mangelnde Kompromissbereitschaft“ vor. Einige Delegationen legten sogar noch zu. So verschärfte etwa die Cairns-Gruppe der 17 größten Agrarexporteure ihre Forderungen an die EU nach Abbau von Exportsubventionen und internen Stützungsmaßnahmen. Doch dieses Vorgehen in den ersten Konferenztagen dient vor allem dazu, dem Publikum zu Hause zu signalisieren, dass man entschlossen für die Interessen des eigenen Landes kämpft.
Richtig verhandelt wird erst seit gestern – in Arbeitsgruppen zu den sechs Haupstreitthemen (siehe Kasten). Jedes Land kann an den Arbeitsgruppen teilnehmen, in denen es seine Interessen berührt sieht. Eine erstes Zwischenergebnis sollte noch am Sonntag dem Plemum vorgelegt werden. WTO-Generaldirektor Mike Moore preist dieses „neue“ Verfahren immer wieder als „demokratischer, transpartenter und daher erfolgversprechender“ als die Vorgehensweise in Seattle. Damals – wie schon bei der Vereinbarung der Abkommen der Uruguay-Runde – hatten die vier großen Wirtschaftsmächte USA, EU, Japan und Kanada alle wesentlichen Fragen zunächst hinter verschlossenen Türen ausgekungelt und anschließend den übrigen WTO-Mitgliedern als vollendete Tatsache präsentiert. „Das wird auch diesmal trotz des neuen Verfahrens wieder genauso laufen.“ Diese Befürchtung ist im Konferenzzentrum von Doha von NGO-Vertretern und Delegationsmitgliedern aus afrikanischen und asiatischen Staaten immer wieder zu hören.
Ob das Feilschen um die Abschlussdokumente tatsächlich wie bisher geplant bis morgen Mittag zu einer Einigung führt, ist völlig offen. Schon ist die Rede von einer Verlängerung bis Mittwoch. Die kommenden Nächte sind bereits fest verplant für Verhandlungen. Eine vielleicht letzte Gelegenheit für die 142 Deleagtionen, Einigkeit zu demonstrieren, boten am Wochenende die Zeremonien zur Aufnahme Chinas und Taiwans. Doch ist auch diese Einigkeit eher vordergründig. Für nicht wenige Länder des Südens ist China ein bedrohlicher Wirtschaftskonkurrent. Der Illusion, China werde sich der Anliegen der Entwicklungsländer annehmen und damit ihr Gewicht in der WTO stärken, gibt sich kaum eine Regierung in Asien, Afrika oder Lateinamerika hin. Es gibt bereits konkrete Anzeichen, dass China seine Politik in erster Linie mit den USA, der EU, Japan und Kanada abstimmen wird. Chinas Einfluss in der WTO war schon vor seiner offiziellen Aufnahme am Samstag erheblich. Peking setzte durch, dass die ursprünglich ebenfalls für diesen Tag vorgesehene Aufnahme Taiwans erst 24 Stunden später, am Sonntagabend, vollzogen wurde.
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