: Wohnung der Rausgeschmissenen
Hanno Harnisch, ehemals Stasi-Spitzel, dann Sprecher der PDS, hat den Liedermacher Wolf Biermann früher bewundert. Heute wohnt er in der damaligen Wohnung des DDR-Dissidenten, der heute vor 25 Jahren aus der DDR ausgebürgert wurde
von PHILIPP GESSLER
Woran wird sich in – sagen wir – 25 Jahren ein politisch interessierter Zeitgenosse noch erinnern, wenn er den Namen Hanno Harnisch hört? Womöglich daran, dass er in den 90er-Jahren mal Sprecher einer aufstrebenden Partei namens PDS war, und zwar auf Bundesebene. Wahrscheinlich an das wunderbare Foto von den damaligen Parteispitzen Gregor Gysi und Lothar Bisky in Harnischs knallroten Trabbi-Coupé: auf der Motorhaube die PDS-Fahne, am Steuer der Parteisprecher, eine Zigarette im Mundwinkel. Gegebenenfalls auch daran, dass Harnisch im Spätsommer 2001 von seiner Parteichefin Gabi Zimmer gefeuert wurde, obwohl das damals natürlich nicht so genannt wurde. Vielleicht erinnert sich der Zeitzeuge in 25 Jahren aber auch nur noch an eine Nebensache im Leben Harnischs, die ihn gleichwohl sogar für Historiker interessant macht: Ausgerechnet der Sprecher der SED-Nachfolgepartei, den die Stasi als „Inoffizieller Mitarbeiter“ (Deckname: „Egon“) führte, wohnte in der Wohnung Wolf Biermanns.
Heute vor genau 25 Jahren wurde dem prominenten DDR-Dissidenten, Liedermacher und Dichter Wolf Biermann nach einem Auftritt in Köln entgegen aller Rechtsbestimmungen des Arbeiter- und Bauernstaates die Staatsbürgerschaft entzogen. Nicht wenige Historiker betrachten diesen hilflosen Akt des SED-Regimes, vor allem aber den Protest, den er in der DDR auslöste, als Anfang vom Ende des ostdeutschen Staates.
„Chausseestraße 131“ hieß einer der Platten Biermanns, die Honecker und Co. so übel aufstießen – die Adresse Biermanns in Mitte. Auf dem Cover sieht man Biermann in seiner Wohnung, mit skeptisch-traurigen Blick in einem Ohrensessel sitzend. Seine Gitarre ist auf dem Sessel daneben drapiert. Ein Ort der Opposition war das, ein Pilgerort für Prominenz aus dem Westen gar: Rudi Dutschke und Joan Baez sollen hier gewesen sein.
Heute braust der Verkehr unablässig vorbei, hier endet die Friedrichstraße und die Torstraße. Die Fassade des Hauses ist schmucklos, schmutzig, bräunlich-grau. Der Putz könnte noch aus DDR-Zeiten stammen. Das Drücken des Klingelknopfes bleibt zunächst erfolglos. Ist der Termin geplatzt, kneift Harnisch? Doch da, von der anderen Seite kommt ein massiger Zwei-Meter-Mann mit blonden Haaren herbei, gekleidet mit einer hellen Lederhose, offenem Hemd und einer grünlichen Safariweste. Er winkt lässig, ein fester Händedruck, ein gewinnendes Lächeln. Zwei Treppen geht es hinauf, vorbei an Grafitti, hinein in eine Altbauwohnung. Die Wohnung.
Harnisch geht voran – es ist dunkel. Der neue Vermieter hat, obwohl vor drei Wochen darum gebeten, das kaputte Flurlicht nicht repariert. Harnisch hat sowieso gerade Ärger mit ihm. Man will sich vor Gericht treffen. Der Vorwurf: Der Mieter habe den Zuschnitt der Wohnung verändert. Das stimmt nicht, sagt Harnisch – er habe Zeugen dafür. Harnisch ist zuversichtlich.
Dann wird es hell, eine geräumige Bürgerwohnung öffnet sich. 190 Quadratmeter, viereinhalb Zimmer, Stuck an der Decke, dunkles Parkett, 1.000 Mark Kaltmiete. Neben der Tür auf einem Bord eine kleine Papstbüste – die von Marx gleich daneben. Niemand ist zuhause, dennoch dudelt das Radio. Ohne Unterlass, als müsse es etwas übertönen. Viele antike Möbel fallen auf, überall Bücher, wohl ein Dutzend getrocknete Blumensträuße an den Wänden.
Von Biermann, sagt Harnisch gleich, sei wohl nichts mehr übrig. Hier habe zwischen 1976 und 1990, also nach Biermann und vor ihm, eine gute sozialistische Familie gewohnt: Die Mutter war Köchin in der Parteischule. Gegenüber der Wohnung lag die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin, ebenso ständig beäugt von der Stasi. Ein historischer Ort.
Harnisch ist ein Profi, er weiß, was Journalisten wünschen: Ein gestelltes Foto in dem verschlissenen Ledersessel, der dem auf dem Biermann-Plattencover gleicht? Okay. Seine Gitarre in den anderen Sessel legen wie auf dem Cover auch? Warum nicht. Aber das Cover selbst in den Hand nehmen -–das nicht. Das wäre doch unpassend, meint Harnisch. Er wurde in der Wendezeit zum Chefredakteur des staatstragenden, gleichwohl ein wenig frechen Jugendsenders „dt 64“ gewählt. Deshalb diese permanente Radiodudelei?
Harnisch bittet, im Wohnzimmer auf einem prächtigen Biedermeiersofa, mit rotem Samt bezogen, Platz zu nehmen. Auf dem Tisch liegt ein Prospekt für den diesjährigen Bundespresseball. An der Wand ein altes Schild des „Grauen Klosters“, einer Art Eliteschule mit jahrhundertealter Tradition in Mitte. Dorthin schickten viele Kader ihren Nachwuchs trotz oder gerade wegen des altsprachlichen Zweiges. Ein SPD-Bundestagsabgeordneter und Exbürgerrechtler sei im gleichen Jahrgang und Gruppenführer in der paramilitärischen Gesellschaft für Sport und Technik (GST) gewesen, plaudert Harnisch. Davon wolle der heute aber nichts mehr wissen.
Harnisch, geboren 1952, gehörte zu einer Art Elite in der DDR, wie er einräumt: Schließlich war sein Vater Kulturjournalist und später Sprecher des DDR-Bauministeriums. Seine Mutter war Schauspielerin – eine Kollegin Eva-Maria Hagens. Letztere war ein DEFA-Star und galt als Brigitte Bardot des Ostens. Wolf Biermann und Eva-Maria Hagen verliebten sich ineinander (die Tochter Nina Hagen stammt allerdings aus ihrer ersten Ehe). Für seine Mutter holte der kleine Hanno in dieser Wohnung einmal etwas ab und traf dabei kurz den Biermann. Er habe ihn damals bewundert, sagt Harnisch, eine Bekanntheit sei er in seinen Kreisen gewesen.
Auch das Kölner Konzert Biermanns am 16. November 1976, das den Anstoß für seine Ausbürgerung gab, habe er damals vom Fernseher mitgeschnitten, erzählt Harnisch – irgendwo müsse auch noch das Band rumfliegen. Die Platte Biermanns zeigt er vor, das Geschenk eines Freundes. Darauf die Widmung: „ein Stück Geschichte jagt das nächste ... auch für mich war diese Platte eines“. „Natürlich“, sagt er, habe er Biermann damals gut gefunden. Der habe ihm „aus der roten Seele gesungen“. Den Liedermacher zu hören, das sei „nicht gerade Volkssport“ gewesen. Und dass Biermann damals noch an den Sozialismus geglaubt habe, „war watt Verbindendet“, berlinert Harnisch. Er hat den Hang, ironisch zu brechen, was ihm wichtig ist.
„So oder so, die Erde wird rot“ – zitiert Harnisch eine Zeile Biermanns. Der Liedermacher sei mit seinen damals noch sozialistischen Idealen durchaus „konstituierend“ für sein eigenes Leben gewesen, murmelt Harnisch. Er sei auch immer „etwas linker und revoluzziger als andere“ gewesen. Gleichwohl war er mit den Kindern Robert Havemanns befreundet und habe an den Lippen des neben Biermann bekanntesten DDR-Dissidenten gehangen. Er habe in Ostdeutschland ja auch nie große Karriere gemacht. Nach drei Semestern Philosophiestudium in Rostow am Don sei er durch denunzierende Spitzelberichte an die Stasi über seinen recht undisziplinierten Lebenswandel von der Uni geflogen: Bei einem Berlinaufenthalt wurde Harnisch der Pass weggenommen. Zwischen 1976 und 1977 arbeitete er als Schlosser
Dann habe ihm die Stasi einen Deal angeboten, erzählt Harnisch: Wenn er ihnen Informationen liefere, dürfe er weiter studieren. Harnisch ging darauf ein, betont aber, nie Freunde verpfiffen zu haben. Und schriftlich habe es auch nie etwas von ihm gegeben – schließlich komme er ja vom Radio. Erst im Frühherbst 1989 endet die IM-Tätigkeit.
Dass ausgerechnet ein ehemaliger IM dann Anfang 1990 in die Wohnung Biermann einzieht, habe schon einen „kräftigen Hautgout“. Über ein Tauschinserat sei er auf sie gestoßen. Sie habe ihm sofort gut gefallen: „schöne große Wohnung im Stadtzentrum“, billig, mit Zimmern für die Kinder und das Büro, das er damals zu Hause gebraucht habe. Dass sie einst Biermanns Wohnung war, habe er schon damals gewusst.
Vor acht Jahren dann, als Harnisch schon PDS-Sprecher war, stand die Geschichte „PDS-Sprecher in Biermann-Wohnung“ erstmals in der Zeitung. Damals habe er den Liedermacher angerufen – das halbstündige Telefonat sei nicht unfreundlich gewesen. Biermann habe offenbar nicht wieder einziehen wollen. Dennoch schaukelte sich die Affäre in der Presse hoch. Biermann übergab dem Diepgen-Spezi und CDU-Rechtsausleger Uwe Lehmann-Brauns seinen alten Mietvertrag samt Prozessvollmacht, um gegen Harnisch gerichtlich vorzugehen. Die Sache verlief im Sande. Er habe damals die Möglichkeit gehabt, in eine schöne 6-Zimmer-Wohnung umzuziehen. Harnisch verzichtete: Als PDS-Sprecher hätte das was von „Kneifen“ gehabt.
Als 1997 Harnischs Stasi-Vergangenheit aufflog, rutschte die Geschichte mit Biermann und seinem Nach-Nachmieter noch mal in die Zeitungen. Zwei Jahre später arrangierte – um des Fotos willen – ein Spiegel-Reporter nach einem Konzert Biermanns im „Robert-Havemann-Saal“ des Rathauses Mitte ein Zusammentreffen. Der PDS-Sprecher war mit seiner damals achtjährigen Tochter gekommen. Biermann schnauzte Harnisch als „Verbrecher“ und „Spitzel“ an – seitdem hatte er keinen Kontakt mehr mit ihm. Wenn seine Tochter nicht dabei gewesen wäre, sagt Harnisch, hätte er sich den Anwurf Biermanns nicht gefallen lassen. Als Verbrecher lasse er sich von niemanden beschimpfen, ohne dass der was „auf die Zwölf“ bekomme. Seine Tochter war „ziemlich heftig geschockt“. Heute habe sie die Angelegenheit wahrscheinlich vergessen. Dass „der Barde“, wie Harnisch Biermann nennt, seine „Ideale verraten“ habe, tue ihm weh.
Harnisch führt noch einmal kurz durch die Wohnung. Sein Sohn hat nun das Zimmer, das die Stasi vermutlich zur Überwachung der gegenüberliegenden Ständigen Vertretung genutzt hat. Darauf deuten die beiden Telefonanschlüsse darin hin, meint Harnisch – zu Biermanns Wohnung gehörte dieses Zimmer früher wohl nicht. Am Pfosten der Tür zur Küche klebt das PDS-Fax, das in wenigen Zeilen mitteilt, Harnisch sei nicht mehr Parteisprecher. An einem Korkbord daneben hängt ein Zeitungsausschnitt, der Gysi am Wochenbett seiner Frau mit Tochter Anna zeigt. Er wünsche der Partei alles Gute, sagt Harnisch. Der Rausschmiss von seinem Posten sei „hochgradig“ überraschend gewesen. Mit „Frau Zimmer“ habe er „keinen Gesprächsbedarf“ mehr, betont Harnisch knapp. Aus der Partei auszutreten, daran denke er nicht, sagt der Rausgeschmissene in der Wohnung des Rausgeschmissenen. Doofer Zufall. Der Trabbi auf der Straße hebt sich von der Fassade der Chausseestraße 131 rot und lustig ab. Trist ist das Novemberwetter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen