: Lebensmittelkontrolle außer Kontrolle
Bericht der EU-Kommission: Deutschland erfüllt nicht „die grundlegenden Anforderungen“ für effektive Lebensmittelkontrollen. Lücken in Bundesgesetzen, Verfilzung in den Ländern. Neues Amt soll’s richten
BERLIN taz ■ Jetzt haben es die deutschen Landwirtschaftsminister schriftlich: Die Lebensmittelkontrolle in der Bundesrepublik funktioniert nicht. Deutschland erfülle bei den einschlägigen EU-Richtlinien „nicht die grundlegenden Anforderungen“, ist das Fazit des gestern veröffentlichten Berichts über die „Kontrollen von Rückständen in lebenden Tieren und tierischen Erzeugnissen“ aus der Veterinärbehörde der EU (www.europa.eu.int/comm/food/fs/inspections). Der Grund: „Ernsthafte Lücken bei Gesetzgebung und Verfahren auf der Bundesebene und große Defizite bei der Umsetzung in den Ländern.“
Elf Tage waren die drei Inspektoren des EU-Veterinäramtes im Mai in Deutschland unterwegs. Die Zustände in den Behörden ließen ihnen die Haare zu Berge stehen: Die Labors sind mit wenigen Ausnahmen überlastet und schlecht besetzt. Die Behörden testen zum Teil weit weniger als gesetzlich vorgeschrieben, sie verfolgen Verstöße nur selten und zu zaghaft, die Kontrolleure kontrollieren sich teilweise selbst, es fehlt eine zentrale bundesweite Koordination bei der Lebensmittelüberwachung.
Bei der Tierzucht sei „die Verordnung von Veterinärmedikamenten, besonders von Antibiotika über das Futter, weithin in Gebrauch“, schreiben die Inspektoren. Die EU-Direktiven, die das untersagten, würden „umgangen, indem man toleriere, dass Veterinäre für die einzelnen Bauern so genannte Hofmischungen verteilen“. Schwere Defizite gebe es auch bei der Kontrolle der Futtermittelfabriken; die Häufigkeit der Kontrollen von Tierarztpraxen sei „weit unterhalb der nationalen Verpflichtungen“, Fälle von illegalem Tierdoping würden nicht gründlich genug verfolgt. In Bayern etwa, so monieren die Prüfer, agierten private Tierärzte als offizielle Veterinäre und überprüften praktisch sich selbst: Für die Überwachung der Hormonverbote nähmen sie Proben auf den Höfen, die sie selbst als Arzt betreuten. 1998 wurden in Bayern weniger als die Hälfte der erforderlichen Proben auf Hormone im Fleisch und überhaupt keine für Milch genommen, ein Jahr später nur 16 Prozent der Milch-, 27 Prozent der Eier- und 30 Prozent der Honigproben. „Vergleichbare Daten aus 2000 gab es nicht“, schreiben die EU-Inspektoren.
Für eine Kontrolle der Kontrolleure soll ab Anfang nächsten Jahres das Bundesamt für Verbraucherschutz sorgen. „Wir werden festlegen, welche Proben zu nehmen sind, wo diese Daten zentral zu erfassen sind, und wir werden diese Daten transparent machen“, kündigte der Staatssekretär im Verbraucherministerium, Alexander Müller, gegenüber der taz an. Die Kompetenzen dafür liegen bei den Ländern, sollen aber teilweise an das neue Amt abgetreten werden. Das Kalkül: Im Bundesrat können die Länder schlecht öffentlich gegen eine bessere Lebensmittelkontrolle stimmen.
BERNHARD PÖTTER
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