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15 Minuten Sonne

Die letzte Brücke für Hilfslieferungen ins Land müssen die Afghanen selbst bauen: politische Stabilität

aus Delhi BERNHARD IMHASLY

Am Sonntag fuhr der erste Zug von Termez über die wiedereröffnete „Freundschaftsbrücke“ zwischen Usbekistan und Afghanistan, um auf der anderen Flussseite eine erste Ladung von Nahrungsmitteln und Medikamenten zu löschen. Sie stammten vom Berg an Hilfsgütern, der sich auf der usbekischen Seite in den letzten Wochen aufgetürmt hat – keine 200 Kilometer entfernt von Kunduz und dem Flüchtlingslager von Bagh e-Sherkat. Aus diesem Lager war nur drei Tage zuvor die Meldung eingetroffen, dass im Lauf des letzten Monats 177 Lagerinsassen an Hunger und Erschöpfung gestorben seien, die meisten von ihnen Kinder.

Die geografische Nachbarschaft von überfüllten Lagerhäusern und Hungertod zeigt, wie wichtig der Zeitfaktor ist, der allein verhindern kann, dass die militärische und politische Rettung Afghanistans einhergeht mit einer humanitären Katastrophe. In seiner Begrüßungsrede beim Treffen der „Afghanistan Support Group“ (ASG) der Geberländer in Berlin sprach der deutsche Außenminister Joschka Fischer am 5. Dezember von der „hoffentlich letzten Durststrecke“, welche dem Land noch immer bevorstehe, und der UNO-Bevollmächtigte Lakhdar Brahimi wies warnend darauf hin, wie eng die politische Stabilisierung mit der Bewältigung der Notlage zusammenhänge.

Massiver Druck der USA

7,5 Millionen Menschen sind in den nächsten vier Wintermonaten auf Hilfe von außen angewiesen, falls ihnen das Schicksal der Kinder von Bagh e-Sherkat erspart werden soll. Von den sechs Milliarden Dollar, welche das Land in den nächsten fünf Jahren braucht, fallen 600 Millionen in diesen vier Monaten an. Man könnte annehmen, dass in einem von dauerhafter Dürre geplagten Wüstenland mit einem harten Winterklima die Versorgung mit Nahrung erste Priorität hat.

Doch der Stau von Hilfsgütern in Termez hat gezeigt, dass Sicherheit noch wichtiger ist. Einen ganzen Monat lang nach dem Fall der Taliban in Nordafghanistan weigerte sich die Regierung von Usbekistan, die einzige Brücke für Hilfstransporte zu öffnen. Sie befürchtete, dass usbekische Taliban den Übergang benutzen würden, um in ihr Land „zurückzusickern“.

Es bedurfte schließlich des massiven Drucks der USA und der persönlichen Intervention von Außenminister Colin Powell, um eine Öffnung durchzusetzen. In Afghanistan selber, wo große materielle Not mit einem riesigen Waffenarsenal einhergeht und die Gewaltbereitschaft anheizt, ist die Gewährleistung von Sicherheit noch dringlicher. Die Verteilung von Getreide für 1,3 Millionen Bewohner des Kabul-Tals am vergangenen Wochenende war die erste nennenswerte Aktion des UNO-Welternährungsprogramms im Land – zufällig am gleichen Tag, als in Kandahar die letzte Taliban-Bastion fiel. Doch sie erfolgte nur deshalb zuerst in der relativ komfortablen Hauptstadt, weil das Fehlen einer logistischen Infrastruktur – verursacht durch mangelnde Sicherheit für ausländische und einheimische Mitarbeiter – in den besonders betroffenen Gegenden des Hazarajat und im Nordosten eine intensive Verteilung immer noch nicht zulassen.

Mark Malloch-Brown, der UNO-Koordinator für Afghanistan, legte in Berlin den Akzent daher auf die rasche Entwaffnung der Millionen von Männer, und sei es in einer Aktion „Geld gegen Waffen“. Dies ist allerdings nicht nur ein logistisches Problem.

Im Entwurf zum Petersberg-Abkommen wurde trotz Einspruch der UNO-Vermittler ein Passus gestrichen, welcher die rasche Demobilisierung der Milizen vorsah. Afghanische Delegierte insistierten, dass alle „Kämpfer“ in die nationale Armee integriert werden sollen. Bis dieser ehrgeizige Plan in die Tat umgesetzt werden könnte, ist der Winter allerdings längst wieder vorbei.

Die Sicherheit spielt auch bei der Rückkehr der Flüchtlinge, der zweiten Priorität neben der Nahrungshilfe, eine entscheidende Rolle. Dies gilt einmal für die 3,5 Millionen Afghanen in Pakistan und Iran, von denen das UNHCR annimmt, dass rund 400.000 in den nächsten Monaten wieder zurück ins Land strömen werden. Sie und eine halbe Million von Binnenflüchtlingen werden dies nur dann tun, wenn ihnen eine sichere Rückehr – und Ankunft – zugesichert werden.

Dies wird aber nur möglich sein, sagte UNHCR-Hochkommissar Ruud Lubbers in Berlin, wenn es den Hilfswerken gelingt, ihre regionale personelle Präsenz wieder auszubauen – auch dies abhängig von der Existenz lokaler Sicherheitsgarantien.

Ausweisung aus Pakistan

Die Dringlichkeit wird nicht nur von humanitären Motiven verschärft, sondern auch von politischen Weichenstellungen. Pakistan hat bereits begonnen, Flüchtlinge in Lager nahe – oder gar jenseits – der Grenze zu bringen. Und es hat seine Beamten aufgefordert, Listen von Afghanen zu erstellen, die seit Jahren in pakistanischen Städten wohnen und nun zur Heimkehr aufgefordert werden sollen. Erst als das UNHCR protestierte, sah Islamabad davon ab, sie gegen ihren Willen in Flüchtlingslager zu verfrachten.

Während die Sofortmaßnahmen vornehmlich in den Händen der Hilfswerke liegen, haben die Geberländer und internationalen Organisationen beim ASG-Treffen in Berlin ihren Blick auf den Wiederaufbau gerichtet. Sie einigten sich dabei auch hier auf einen Plan, der die Garantie von Leib und Leben an erste Stelle setzt. Die physischen (Landwirtschaft, Infrastruktur) und die sozialen Komponenten (Bildung, Gesundheit, Frauen) sollen dabei parallel laufen.

Im physischen Bereich geht es, nach drei Jahren von Dürre, um die Belebung der Landwirtschaft in Form von Saatgutprogrammen und den Wiederaufbau der Bewässerungssysteme. Damit eng verbunden ist die massive Erhöhung des Budgets für Minenräumung, um große Flächen fruchtbaren Landes wieder urbar zu machen. In diesen Bereich gehört auch der Wiederaufbau der Straßen und der Neubau von Schulen und Krankenhäusern. Der Straßenbau wird neben seiner Wirkung für den Handel und die Versorgung mit Landwirtschaftsgütern vor allem Beschäftigung schaffen – mit dem zusätzlichen Vorteil, dass die Männer gezwungen sein werden, ihre Kalaschnikows gegen Schaufeln und Pickel auszutauschen.

Frauen braucht das Land

Dagegen soll die Beschäftigung von Frauen in den Sozialsektoren Bildung und Gesundheit forciert werden. Die Tatsache, dass die beiden Frauen in der Übergangsregierung Ärztinnen mit Erfahrungen im Flüchtlingswesen sind, lässt erwarten, dass dies vielen Frauen neben sozialer Ausstrahlung langfristig auch ökonomische Selbstständigkeit bringen wird. Zwar muss die gesamte Lehrerausbildung von Grund auf neu gestartet werden, doch bleibt Afghanistan – es zählte einmal mehr Lehrerinnen als Lehrer – immer noch ein Pool von ausgebildetem Lehrpersonal. Die meisten von ihnen hat der zwanzigjährige Krieg allerdings in rund 70 Länder verstreut, 84.000 allein nach Deutschland. Und es wird schwierig sein, neben den Flüchtlingen aus den Lagern auch die qualifizierten Fachkräfte zur Rückkehr zu motivieren. Auch hier könnte eine Garantie für Sicherheit und Stabilität Wunder wirken.

Diese Garantie einzulösen ist allerdings nicht in erster Linie die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, sondern der Afghanen selbst. Vom 22. Dezember an, wenn die Interimsregierung in Kabul voraussichtlich ihre Arbeit aufnehmen wird, werden sie zeigen müssen, dass sie dazu überhaupt willens und in der Lage sind – oder, mit den Worten des designierten Innenministers Yunis Kanuni, „nicht nur Kriege führen, sondern auch den Frieden gestalten können“.

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